Bei Christie’s in New York erzielte Andy Warhols „Shot Sage Blue Marilyn“ 195 Millionen Dollar: das zweitteuerste jemals versteigerte Kunstwerk
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10.05.2022
Das große Fest war es gestern Nacht nicht, kein Triumph, der jubelnd im Saal gefeiert wurde wie im November 2017 bei der Versteigerung des vermeintlich von Leonardo da Vinci stammenden „Salvator Mundi“, der unglaubliche 450 Millionen Dollar erzielte. Im Saal von Christie’s New York hatte man natürlich auf ein ähnliches Feuerwerk der Gebote gehofft, als Andy Warhols „Shot Sage Blue Marilyn“ von 1964 aufgerufen wurde. Zwar stand im Katalog wie auf der Webseite lapidar „Taxe auf Anfrage“, aber es war in aller Welt kommuniziert, dass man für den Siebdruck 200 Millionen Dollar erwartete. Das war der höchste je ausgerufene Schätzwerk auf einer Auktion. Beim „Salvator“ waren 100 Millionen angesetzt.
Kurz nach halb drei Uhr deutscher Nachtzeit rief Jussi Pylkkänen, Präsident von Christie’s und dort der Auktionator für die spektakulärsten Versteigerungen, das Bietgefecht für das Werk aus der legendären Sammlung von Doris und Thomas Ammann aus. 100 Millionen nannte als Erstes jemand im Saal, was mit etwas Belustigung im Publikum aufgenommen wurde. Dann ging es schnell bis 160 Millionen, wo es stockte. Drei Telefone waren noch beteiligt. Nach einigem Zögern der letzten Bieter ging es bis 170 Millionen, dann blieb es trotz aller Animierungsversuche Pylkkänens still. Nach vier Minuten fiel der Hammer. Es heißt, der Zuschlag sei an den Kunsthändler Larry Gagosian gegangen.
Die 200-Millionen-Marke wurde also nicht wie erhofft geknackt, aber mit allen Aufgeldern muss der Käufer doch mehr als stattliche 195,04 Millionen Dollar bezahlen. Damit ist es das zweitteuerste jemals versteigerte Artefakt und das teuerste Werk des 20. Jahrhunderts. Ein durchaus monumentaler Erfolg, auch wenn die Beteiligten auf eine noch größere Sensation spekuliert hatten. Man kann es unterschiedlich deuten: Entweder war Christie’s zu ehrgeizig und zu maßlos mit der Erwartung und überschätzte die Möglichkeiten dieser weltberühmten Trophäe. Oder die überzogene Taxe wurde bewusst eingesetzt, um „Marilyn“ von den bisherigen Top-Warhol-Zuschlägen von 94 Millionen (2013) und 73 Millionen Dollar (2014) zu lösen und in neue Sphären zu treiben.
Auch über die Frage, wie berechtigt ein solcher Preis für dieses Bild ist, lässt sich streiten. Warhol hatte schon einige Jahre zuvor in Siebdrucken dieses Foto von Marilyn Monroe als Darstellung des ultimativen Starruhms überhöht. 1964 verbesserte er die Technik und die Farbkomposition, die er in vier Versionen variierte. Noch im selben Jahr schoss die Künstlerin Dorothy Podber bei einem Besuch in Warhols Atelier (der „Factory“) auf die vier hintereinander an die Wand gelehnten Bilder. Der Schaden ließ sich retuschieren, aber die Wunde steigerte die Legendenbildung. So wurden die vier „Shot Marilyns“ zu den wertvollsten Trophäen unter den immer wieder neu von Warhol gedruckten Werken nach der Fotovorlage.
Kein Zweifel, es ist Warhols berühmtestes Motiv, es hat das kollektive Bildgedächtnis unserer Zeit so geprägt wie kein anderes modernen Kunstwerk. Millionenfach wurde die Pop-Marilyn reproduziert und in Plakaten, Tassen und anderen Accessoires verbreitet – durchaus mit Einwilligung und zur Freude des Künstlers. Das eine Original dieser Darstellung gibt es dabei nicht, sondern viele oder zumindest mehrere, die sich aber nicht mit den vier „Shot Marilyns erschöpfen. Darum sind die Vergleiche mit der Leonardos „Mona Lisa“, Botticellis „Venus“ oder sogar griechischen Aphrodite-Statuen, die Christie’s in seinem pseudokunsthistorischen Marketing bemühte, nicht sehr passend.
Im Gegensatz zum „Salvator Mundi“, der heute nur durch den völlig überzogenen Rekordpreis so berühmt ist, wird die gestrige Auktion nur eine Facette, ja vielleicht nur ein eine kleine Anekdote in der Geschichte und im Nachleben von Warhols „Marilyn“ sein. Sie hat viel mehr zu bieten.