Ein wiederentdeckter Tizian führt die Altmeister-Auktion im Wiener Dorotheum an
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05.05.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 8/22
Nobler kann eine Provenienz nicht sein – vorausgesetzt, dass der Provenienzvorschlag des Kunsthistorikers Paul Joannides auf Zustimmung trifft. Demnach nämlich wäre der überaus kunstsinnige Rudolph II., in Prag residierender Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, der erste mit Namen bekannte Besitzer des Gemäldes „Die büßende Magdalena“ von Tizian (1485/90 – 1576) gewesen. Seit der Plünderung der kaiserlichen Sammlung durch die Schweden, seit 1648 also, lassen sich, nun wohl ohne letzte Zweifel, die zahlreichen Stationen des Bildes durch ganz Europa bis in das Wiener Dorotheum verfolgen. Hier wird das lange verloren geglaubte Werk zum Schätzpreis von 1 Million Euro aufgerufen. Zuvor ist es durch die Hände zweier weiterer Experten gegangen, um die Zuschreibung zu sichern und die vermutete Provenienz letztlich abzuklären. Denn zu bedenken war, dass mehrere Versionen und Repliken ein und desselben Themas aus unterschiedlichen Schaffensphasen des Malers und seiner Werkstatt überliefert sind. Nach eingehenden Prüfungen gilt diese „Büßende Magdalena“ als eigenhändiges Werk Tizians ohne Werkstattbeteiligung.
Ganz eindeutig lässt sich die Gestalt der Maria Magdalena, überliefert aus mehreren frühchristlichen Quellen, nicht fassen. Daraus ergeben sich verschiedene Typen in verschiedenen Episoden mit verschiedenen Attributen. Tizian hat sich für die reuige Büßerin entschieden; ihr Bild als verehrungswürdige Heilige hatte sich seit dem Mittelalter durchgesetzt. Um 1500 jedoch erhielt sie zunehmend menschliche Züge, die den Künstlern den Vorwand auch zu sinnlicher Darstellung boten. Tizian, ohnehin Maler schöner Frauen mit pfirsichweicher Haut, kostete dies eindringlich aus, in seinen früheren, besonders nahsichtigen Fassungen der 1530er- Jahre mehr noch als in den späteren der 1550er-Jahre. Zu ihnen zählt das Gemälde der Auktion. Nach Bildvergleichen wird eine Datierung kurz vor 1560 vorgeschlagen.
Beide Male erscheint die Heilige als ganz leicht in die Diagonale gerückte Hüftfigur. Die Haltung ihrer Arme gleicht der, die man von der antiken Venus Pudica kennt. Während Tizians Maria Magdalena anfangs nur spärlich von ihrem biblisch motivierten Haarkleid (Lukas 7,37 f.) bedeckt ist, umhüllt sie sich in dieser späteren Fassung auch mit teilweise durchsichtigen, sehr feinen Tüchern, vielleicht eine Anspielung auf ihre vornehme Herkunft. Zu ihrer rechten Seite steht eine gläserne Karaffe, zu ihrer linken liegen ein aufgeschlagenes Buch, darunter ein Schädel, häufig Vanitas-Attribute eremitischer Heiliger wie etwa des Heiligen Hieronymus. Maria Magdalena steht allein vor einer gebirgigen Landschaftskulisse, die den Rückzug aus ihrem luxuriösen Leben symbolisiert. Die Büßende wendet ihre tränenfeuchten Augen gen Himmel. Sie schaut demütig, Gnade erhoffend.