Fotografien von Dora Maar

Die Herrin der Blicke

Dora Maar, Geliebte und Modell Pablo Picassos, war eine bedeutende Fotografin. Das Pariser Auktionshaus Artcurial präsentiert ihr Werk nun erstmals eigenständig in einer Auktion

Von J. Emil Sennewald
27.06.2022
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 10/22

Es ist an sich schon ein Ereignis: Dora Maar – eine der bekanntesten Angehörigen des Pariser Surrealisten-Zirkels um André Breton und schon damals als inspirierte, feinsinnige Fotografin gelobt – wird erstmals eigenständig bei einer Auktion präsentiert. Mehr noch: 750 ihrer Bilder, die zwischen 1920 und 1940 entstanden sind und bisher noch nie öffentlich gezeigt wurden, werden – auf 400 Lose verteilt – als moderne Prints mit Negativ und Kontaktabzug angeboten. Dieser Schatz aus Familienbesitz ermöglicht nun endlich eine Tiefenbohrung ins Werk dieser Künstlerin und liefert uns – wie es der Fotografie-Historiker und Experte Antoine Romand ausdrückte – „neue Puzzlestücke zum Verständnis dieser fotografischen Produktion“.

Dora Maar, Malerin und Fotografin jugoslawischer Abstammung, hatte neben „einem sehr schönen ovalen Gesicht“ bemerkenswert „bronzegrüne Augen“, allerdings einen „etwas schweren Kiefer“ – wie es die heute hundertjährige Künstlerin Françoise Gilot 1964 in ihrem Biopic Leben mit Picasso beschrieb. Vor allem beeindruckte sie aber offenbar „durch ihre Unbeweglichkeit, die mehr als Würde, fast Steifheit ausdrückte“. Ihre höchst lebendigen Fotografien erzählen zumindest von Beweglichkeit in Geist und Blick. Direkt aus dem Nachlass der 1907 als Henrietta Theodora Markowitsch geborenen, 1997 verstorbenen Dora Maar – einer Zeitzeugin der großen Umbrüche des 20. Jahrhunderts – bringt Artcurial am 27. und 28. Juni in Paris neuen Wind in den Bereich der surrealistischen Fotografie.

Eine scheinbar schlichte Baum-Allee, um 1930 in Untersicht aufgenommen, wird durch den Blick Dora Maars zum unheimlichen Dokument bildnerischer Traumzustände – die Pappeln wachsen wie haarig-organische Stränge ins Grau des Bildgrundes. Ein Los vereint bei einem Einstiegspreis von nur 1000 Euro zwei historische, auf Papier kaschierte Kontaktabzüge dieses Motivs mit den Original-Negativen (Silbergelatine auf Cellulose) und der Nummer zwei einer dieses Jahr realisierten Edition von fünf Neubelichtungen. Dass Surreales immer der Inszenierung bedarf, zeigt eine Komposition mit Miniatur-Stuhl vor einem Vorhang (Taxe 1500 Euro).

Maar nimmt eine klare Position im Bilder-Kanon der Moderne ein, die sich dem „optischen Unbewussten“ zuwandte. Rosalind Krauss beschrieb dies 1993 in ihrem gleichnamigen Essay als von Libido durchlaufene Ästhetik, deren Grund allzu menschliche Triebe und Ängste sind.

Davon zeugt ein geradezu geisterhaft wirkendes Foto, das Dora Maar 1939 im südfranzösischen Antibes aufgenommen hat: Es zeigt die abstrakt-expressionistische Bildhauerin Mary Callery, die – an der Wand lehnend – über ihre linke Schulter in einen Raum blickt, in dem Pablo Picasso steht („Mary Callery et Pablo Picasso inondé de lumière“, Taxe 1500 Euro). Den Blick in die Ferne gerichtet, wird er dermaßen durch das vom Fenster aus einfallende Sonnenlicht angestrahlt, dass er wie ein Gespenst aufleuchtet. Dabei wirkt die Szene nicht gestellt. Vermutlich unbewusst hat Maar die spektrale Qualität dieses Malers erfasst, der früh die Figur des Künstlers charismatisch überhöht ins Zentrum seines Werkes zu stellen verstand. Dass er dies mit bisweilen maliziösem Witz und sehr viel Selbstgewissheit tat, dokumentiert die akrobatische Pose im Rattansessel im Garten des Hauses von Mougins, in dem er mit Dora Maar und den Éluards 1937 den Sommer verbrachte (Taxe 2500 Euro). Paul Éluard hatte Maar Picasso vorgestellt – daraufhin wurde sie seine „Frau, die weint“.

Verstand es Maar, sich mit ihrem fotografischen Werk an dem für ihre Zeit wichtigen Kreuzungspunkt von Optisch-Unbewusstem und Schaulust zu verorten, so wird die Künstlerin im Rahmen dieser außergewöhnlichen Auktion auch als Dokumentaristin der Moderne präsentiert. Sowohl Fotos wie das Schaufenster eines Tattoo-Ladens in London 1934 und ein Londoner Bettler im gleichen Jahr lassen erkennen, dass Maars imaginäre und symbolische Gesten nicht das Reale aus dem Blick verloren (Taxe je 1500 Euro). Das Bild eines Vaters mit einem lustigen Zipfelmützenkind, um 1935 am Eingang einer Pariser Metrostation fotografiert, lässt sich fast schon als frühe humanistische Fotografie ansehen – wäre da eben nicht der merkwürdige Kontrast zwischen der Alltagsfigur des Mannes und dem weiß aufleuchtenden Kind in Rückenansicht (Taxe 1500 Euro). Und auch die Karyatiden des imposanten Portikus der neuen Ermitage in Sankt Petersburg verwandeln sich durch den fotografischen Blick Dora Maars 1935 in fast lebendig-emporwachsende Formen (Taxe 2000 Euro).

Mit dieser anhand der Künstlerin Dora Maar vorgeführten Neuentdeckung der surrealistischen Weltsicht steht Artcurial voll im Trend. Auch Cecilia Alemani, die Hauptkuratorin der aktuellen Venedig-Biennale, bringt mit ihrer Schau „The Milk of Dreams“ ins Bewusstsein zurück, was dieser Sicht zugrunde liegt: nämlich eine bis ins Unbewusste strukturierend wirkende optische Matrix, die Anfang des 20. Jahrhunderts noch frisch und künstlerisch formbar war.

Service

Auktion

„Dora Maar: Unpublished, photographic collection“,

27. und 28. Juni,

Artcurial, Paris,

artcurial.com

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