Christie’s und Sotheby’s locken bei den Londoner Altmeister-Auktionen mit ruhenden Schönheiten und majestätischer Architektur
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04.07.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 11/22
Ist es nur Zufall? Oder sollte tatsächlich die Kunde der berühmten, 1508 von Giorgione begonnenen und 1510 von Tizian vollendeten „Schlafenden Venus“ aus Venedig nach Wittenberg geraten sein – und dort in die Werkstatt des Hofmalers Lucas Cranach d. Ä. (1472–1553)? Es lässt sich nämlich nicht übersehen, dass Cranachs „Ruhende Quellnymphe“ – Star der Altmeister-Auktion bei Christie’s London – sehr, sehr ähnlich in die Natur gelagert ist. Zu bedenken ist auch, dass es, als der Maler seit etwa 1518 die erste seiner mindestens 18 Variationen des Motivs schuf, wohl kaum andere „Modelle“ gab. Cranach hat seine Nymphe stets nur geringfügig abgewandelt, indem er ihren linken Arm mehr oder weniger auf ihrem linken Bein oder auf ihrem Leib ruhen ließ – etwa im Sinne einer „Venus pudica“. Auch sind die Beine unterschiedlich gekreuzt.
Auf den ersten Blick könnte man die „Ruhende Quellnymphe“ für Venus selbst halten, da ein Taubenpaar, Attribut der Göttin, zu ihren Füßen im Gras pickt. Allerdings hängen ein Bogen und ein mit Pfeilen bestückter Köcher am nahen Baum. Diese Requisiten hat Cranach erst 1537 in das Motiv der Quellnymphen eingeführt – ein Terminus post quem für die Entstehung des Bilds, wohl um 1540/45. Bogen und Pfeile weisen die Nymphe als eine Gefährtin der Jagdgöttin Diana aus, einer Tochter des Göttervaters Jupiter. Nach Homer ist er – griechisch „Zeus“ genannt – auch Vater der Nymphen, die folglich ebenso göttlicher Herkunft sind. Mit ihnen zieht Diana durch Wald und Feld; gemeinsam ruhen sie an Gewässern. Dass die jungen Göttinnen zuweilen miteinander baden, erzählt Ovid in seinen Metamorphosen. Da nämlich straft die jungfräuliche Diana den Jäger Aktäon, der die Entkleidete heimlich im Bade beobachtet. Sie verwandelt ihn in einen Hirsch, der von den eigenen Hunden gerissen wird.
Die Quellnymphe schläft nicht tief; sie blinzelt unter den Augenlidern hervor. Natürlich ist auch sie nackt – bis auf das transparente „Etwas“, das der ältere Cranach sehr vielen seiner Frauenakte mitgab. Niemand konnte eine enthüllende Verhüllung besser malen als er. Vielleicht wird sich die Nymphe, wenn sie erwacht, in die rote Draperie hüllen, die sie abgelegt hat und die ihr jetzt noch als Lager dient. Sehr durchdacht hat der Maler diese satten Rotakzente gesetzt, die sich an den Korallenketten der Nymphe und am Köcher der Diana wiederholen und Kontraste zur grünen Vegetation bilden. Die Kulisse der ein wenig molligen Schönen – Wasser, Bäume und Himmel – entspricht den Anfängen der Landschaftsmalerei. Aus der nahen Felsengrotte sprudelt ein Quell und nährt das an ihre Lagerstatt grenzende Wasser, das auch die weidenden Hirsche tränkt. Die ehemals als antik gedeutete Inschrift bestätigt die ländliche Idylle: „FONTIS NYMPHA SACRI SOMNUM NE RVMPE QUIESCO“. In dieser Abkürzung eines im 15. Jahrhundert entstandenen humanistischen Texts bittet die Nymphe, ihre Ruhe nicht zu stören: ein geistreiches Anliegen an den Betrachter, der – wie Aktäon – zwangsläufig zum Voyeur wird. Gemessen an der Produktion aus Cranachs Werkstatt ist diese Tafel recht stattlich. Ihr Maß von 82,1 mal 120,5 Zentimetern wird die Taxe von 6 Millionen Pfund mitbestimmt haben.
Über einen Auftrag von Robert Jenkinson, 2nd Earl of Liverpool und von 1819 bis 1822 Premierminister, ist nichts bekannt; wohl aber über sein lebhaftes Interesse am Arbeitsfortschritt der „Recumbent Magdalene“. Denn der italienische Bildhauer Antonio Canova (1757–1822) hatte sich bereits mit Zeichnungen und einem Modell auf die Skulptur vorbereitet, wobei er auf etliche Vorbilder ruhender Marmorfiguren in Rom zurückgreifen konnte: beispielsweise auf die hellenistische „Ariadne“ im Vatikan, den „Schlafenden Endymion“ auf mehreren römischen Sarkophagen, auf die „Verzückung der heiligen Theresa“ von Giovanni Lorenzo Bernini – und nicht zuletzt natürlich auch auf seinen eigenen „Schlafenden Endymion“ und seine viel bewunderte „Pauline Bonaparte als Venus“.
Und zweifellos erinnert auch die Pose dieser Magdalena an die zahlreichen Gemälde der ruhenden Göttin Venus, wie sie in physischer Gelassenheit daliegt, wie sich das Tuch um die Hüften und Beine schmiegt und sie nachzeichnet. Das lange Haar aber, das auf die Schultern fließt, kennt man eher von den Bildern der büßenden Magdalena. In solchen Details zeigt sich die Virtuosität des Marmorbildhauers Canova, der die Materie aufzuweichen scheint, als modelliere er mit dem Meißel wie der Maler mit dem Pinsel. Sein Marmor ist nicht so kühl wie der seines in Rom lebenden Zeitgenossen und Konkurrenten Bertel Thorvaldsen, obwohl beide Bildhauer ähnliche Ideale des Klassizismus verfolgten. Canovas „Liegende Magdalena“ zählt zu seinen letzten Werken. Vielleicht ist sie sogar die letzte vollendete Skulptur, die Summe seiner Schaffenskraft. Angesichts dieser Qualität mutet es merkwürdig an, dass seine Autorschaft vorübergehend ungewiss war, dass er als Schöpfer der Magdalena erst wiederentdeckt werden musste.
Canovas Meisterschaft liegt nicht allein in der Behandlung des Marmors, sondern auch in seiner Interpretation der Heiligen. Er lässt sie ruhen, und zwar als Halbakt, womit er auf ihre sündige Vergangenheit anspielte; zweifellos zielte er – wiederum wie die Maler – auch auf die Darstellung eines schönen Frauenkörpers. Und er hat ihr diesen rätselhaften Ausdruck der Ekstase verliehen: einer verzweifelten Reue oder einer bedingungslosen Hingabe an Jesus? Ein Kreuz liegt an ihrer rechten Schulter. Ihre Physiognomie verrät eine nahe Ohnmacht: Der Blick scheint zu brechen, der Mund schwer zu atmen. Aus dem rechten Auge rinnt eine Träne, der Kopf ist zurückgeworfen. Hier muss jene barocke Theresa von Bernini in den Sinn kommen, die wegen ihrer ambivalenten Ekstase zwar keineswegs von den Zeitgenossen einhellig gepriesen, aber wegen unübertroffener Virtuosität bewundert wurde. Bewunderung gebührt auch der klassizistischen „Liegenden Magdalena“. Der Bieter der lebensgroßen Skulptur muss mindestens fünf Millionen Pfund einsetzen und bereit sein, sie noch einmal den Musei Civici in Bassano del Grappa zu überlassen. Im Herbst 2023 soll sie dort gezeigt werden.
Das „Interieur der Nieuwe Kerk in Haarlem, Blick nach Nordwesten“ ist einer strengeren Ausrichtung der Renaissance beziehungsweise des Klassizismus zuzuordnen und als eine Gegenströmung des Barocks zu deuten, wie man sie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Holland beobachten kann. Die auf der kleinen Eichentafel links unten angebrachte Signatur „Pieter Saenredam fe Ao 1658“ bestätigt die gewohnte Meisterschaft des Holländers, der sich, nachdem er anfangs Porträts und Landschaften gemalt hatte, ganz auf das Kircheninterieur spezialisierte. Zwar wirkte Saenredam (1597–1665) – neben Gerard Houckgeest und Emanuel de Witte – nicht allein auf diesem Feld; er aber entwickelte einen besonders klaren, zuweilen puristischen Stil, was dieses Gemälde exemplarisch vorträgt. Saenredam ist letztlich der Begründer dieser zu seiner Zeit neuen Gattung der Malerei. Gewiss trug sein systematischer, langwieriger Werkprozess zur hohen Qualität seiner gemalten Innenansichten bei. Er soll nämlich seine an Ort und Stelle gefertigten Skizzen akribisch in maßgerechte Perspektivzeichnungen übertragen und diese auf den endgültigen Bildgrund durchgepaust haben. Erst dann griff er zu Pinsel und Ölfarben. Sotheby’s London taxiert das „Interieur“ auf 1,2 Millionen Pfund.
Der Entwurf der Nieuwe Kerk stammt von Jacob van Campen, einem Freund des Malers. Sein 1650 vollendeter Bau weicht von der üblichen mehrschiffigen Basilika ab. Allerdings hat sich der Baumeister nicht so ganz von der gotischen Form verabschiedet. Das lässt sich dem angedeuteten Kreuzrippengewölbe über den zentralen Pfeilern ablesen – in den Raumecken allerdings tragen diese mit ionischen Kapitellen ausgestatteten Stützen gemeinsam mit Säulen und Pilastern bereits renaissancetypische Kassettendecken. Saenredam muss dieses besondere Interieur sehr geschätzt haben, denn er hat es mehrmals gemalt. Wie stets wählte er einen niedrigen Blickpunkt, hier vor allem, um die Majestät der Mittelpfeiler hervorzuheben. Demselben Zweck dienen die beiden winzigen Figuren, die zugleich Leere und Ruhe des Raums betonen. Die Konzentration auf die geometrischen, man möchte fast sagen kubistischen Formen spricht für den modernen Blick des Malers.
Sotheby’s, London,
Auktion 6. Juli, Besichtigung 2. bis 6. Juli
Christie’s, London,
Auktion 7. Juli, Besichtigung 2. bis 7. Juli