Herman Melville bei Christie’s

Der Wal, der Schiffe versenkte

Der Roman „Moby Dick“ ist ein Meisterwerk der Weltliteratur. Nun kommt die Melville-Sammlung von William S. Reese bei Christie’s Online zum Aufruf

Von Peter Dittmar
01.09.2022

Eine Dublone war es, die Kapitän Ahab an den Großmast nagelte. 16 Dollar wert, wie er sagte. Haben sollte sie, wer zuerst Moby Dick, den weißen Wal, ausrief. Damals, Mitte des 19. Jahrhunderts, verdiente ein Handwerker ein bis anderthalb Dollar pro Tag. Rein rechnerisch wären die 16 Dollar inflationsbedingt gegenwärtig etwa 625 Dollar wert. Nach der Kaufkraft entsprächen sie allerdings etwa 7500 Dollar. Das ist etwas mehr als die 6750 Dollar, die für die Acht-Escudos-Dublone aus Ecuador, den Numismatikern als Moby-Dick-Münze vertraut, zu zahlen sind. Ihr Gegenwert würde jedoch nicht ausreichen, um ein Exemplar der Erstausgabe von Herman Melvilles Moby Dick zu ersteigern. Das verraten die Schätzpreise der Online-Auktion von Christie’s, bei der bis zum 14. September die Melville-Sammlung von William S. Reese, des einflussreichen Antiquars von Americana, der 2018 gestorben ist, versteigert wird.

Darunter sind natürlich auch verschiedene Ausgaben von Melvilles bekanntestem Buch, dessen Editionsgeschichte recht deutlich die Hindernisse auf dem Weg zum Ruhm erkennen lässt. Die Kritik hatte nämlich viel an dem dicken Roman auszusetzen. Und so wurden zu Lebzeiten des Autors lediglich 3215 Exemplare verkauft, was ihm ganze 1259 Dollar eintrug. Das änderte sich erst im 20. Jahrhundert. Zu verdanken ist es dem amerikanischen Biografen Carl Van Doren, der 1919 in einem Antiquariat eine Erstausgabe für 1,50 Dollar erwarb. Es war die amerikanische Version, die am 14. November 1851 bei Harper & Row erschienen war. Nicht ganz ein Monat nach der englischen bei Richard Bentley in London, die am 18. Oktober 1851 vorlag. Diese Editionspraxis erwies sich als sinnvoll, um in beiden Ländern das Copyright zu sichern.

Moby Dick
Die englische Ausgabe in drei Bänden hieß noch „The Whale“. Christie's erwartet für die Ausgabe mit dem Originaleinband 60.000 Dollar. © Christie's Images Ltd.

Die englische Ausgabe in drei Bänden hieß noch The Whale, beschränkt auf 500 Exemplare. Außerdem hatte der Verleger 35 Stellen, die seiner Meinung nach den gebührenden Respekt vor der Religion und dem Königshaus missen ließen, gestrichen. Zudem fehlte in dieser Ausgabe der kurze Epilog, in dem Ismael, der Ich-Erzähler und einzige Überlebende der „Pequod“ seine Rettung schildert. Christie’s erwartet für eine Ausgabe mit dem Originaleinband 60.000 Dollar. Der beste Zuschlag liegt allerdings erheblich höher. 110.000 Dollar waren das im Juni 2019 bei Sotheby’s. Richard Bentley, der Londoner Verleger, hatte in den ersten vier Monaten 300 Exemplare verkauft. Die restlichen, meist ungebunden, bot der Verlag dann in den beiden nachfolgenden Jahren mit einem schlichteren Einband an. Deshalb reduziert sich für einen modernen Halblederband die Erwartung um jeweils 10.000 Dollar. Das gilt auch für ein ebenfalls auf 50.000 Dollar taxiertes weiteres Exemplar dieser Erstdrucke mit der Jahreszahl 1853.

Harper & Row gaben sich, was die Verkaufsmöglichkeiten betrifft, optimistischer – obwohl die amerikanischen Kritiken weitaus mehr als die britischen auszusetzen hatten. Von 2951 Exemplaren, nun Moby-Dick; or, The Whale, wurden immerhin 1500 in den ersten elf Tagen abgesetzt. Doch 1852 waren es nur noch um die 300. Und als am 10. Dezember 1853 in dem Verlagshaus von Harper’s ein Feuer ausbrach, wurden 287 Bände, 212 noch nicht gebunden, sowie die Druckplatten ein Opfer der Flammen. Trotzdem rangiert diese Version im Preis hinter der englischen. Bei Christie’s sollen es 20.000 Dollar sein. Denn die Zuschläge sind seit 2018 von 15.000 inzwischen auf 40.000 Dollar gestiegen.

Aus der Fülle der illustrierten Ausgaben des Moby Dick ragt vor allem die Version mit den eindrucksvollen Holzschnitten von Rockwell Kent heraus, die 1930 bei der Lakeside Press in Chicago in tausend Exemplaren verlegt worden war. © Christie's Images Ltd.

Zu der Reese-Sammlung gehören auch ein paar Bücher, die Melville als Anregung dienten. Das eine war Mocha Dick, or the White Whale of the Pacific, ein Bericht von J. N. Reynolds über die Begegnung mit einem weißen Wal bei der Mocha-Insel vor der chilenischen Küste, der zuerst 1839 in dem Magazin The Knickerbocker gedruckt wurde. Der Wal soll zwischen 1810 und 1838, als er erlegt wurde, rund ein Dutzend Schiffe versenkt haben. Um 1875 ist das dann in London als Buch erschienen. Und nun kann es nachlesen, wer bei Christie’s 2000 Dollar anzulegen bereit ist. Ein anderes Buch ist Narrative of the Most Extraordinary and Distressing Shipwreck of the Whale-Ship Essex of Nantucket which was attacked and finally destroyed by a large Spermaceti-whale in the Pacific Ocean von 1821. Darin schildert der Bootsmann Owen Chase, wie ein Potwal die Essex rammte, so dass sie unterging. Die Besatzung rettete sich in die drei Walboote. Nach einer Drift von 3000 Meilen, bei der es zu Kannibalismus kam, waren nur noch acht Mann, darunter Chase, am Leben. Diese Geschichte soll mindestens 7000 Dollar bringen.

Aus der Fülle der illustrierten Ausgaben des Moby Dick ragt vor allem die Version mit den eindrucksvollen Holzschnitten von Rockwell Kent heraus, die 1930 bei der Lakeside Press in Chicago in tausend Exemplaren verlegt worden war. Die drei Bände in einem Aluminium-Schuber werden auf 3000 Dollar geschätzt, denn die Zuschläge lagen in den letzten Jahren meist bei 4000 Dollar. Wer dasselbe ein wenig exklusiver möchte, kann jedoch auf ein besonderes Exemplar zurückgreifen, das Kent seinem Verleger Thorne Donnelley und dessen Frau mit einer Zeichnung gewidmet hat. 15.000 Dollar erfordert das. Die Illustrationen sind inzwischen so populär, dass sie auch in normalen Bänden und Paperback-Ausgaben nachgedruckt wurden. Und wem auch das noch nicht genügt, der kann zwei Konvolute von zwanzig und mehr Tellern und Tassen, einmal in Blau, einmal in Braun, ersteigern. Denn Kent hat Motive seiner Holzschnitte für die Kalifornischen Vernon Kilns auf Steingutgeschirr übertragen. Für je 700 Dollar sollen die beiden letzten von hundert Losen zu haben sein. Dazu bedarf es dann nicht einmal einer Dublone.

Service

AUKTION

„The Herman Melville Collection of William S. Reese“

Christie’s, Online Auktion

  1. bis 14. September 2022

online.only.christies.com

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