Große Sammlungen haben jüngst den weltweiten Kunstmarkt befeuert. In Deutschland war 2022 ein Jahr des Expressionismus
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09.01.2023
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 209
Lauter Weltkrisen und dennoch ein starker Kunstmarkt, wie geht das zusammen? Viele Auktionshäuser haben 2022 Rekordergebnisse eingefahren. Allein die Sammlung des Microsoft-Gründers Paul Allen hat bei Christie’s mit Werken von Seurat, Cézanne, van Gogh, Gauguin, Klimt und vielen anderen atemberaubende 1,62 Milliarden Dollar erzielt. Allerdings kann das, was an der Spitze passiert, so zusagen die Spielwiese der Milliardärinnen und Milliardäre, nicht ohne Weiteres auf das mittlere Marktsegment übertragen werden. Viele gediegene Kunsthandelsadressen leiden unter rapide steigenden Kosten, der Altersstruktur ihrer Sammlerinnen und Sammler und dem Wegfall chinesischer und russischer Kundschaft. Auch der Hype um NFTs hat sich 2022 seit dem Krypto-Bankrott schnell verflüchtigt: Im Kunstbereich haben NFTs auf Auktionen laut der Datenbank Artprice in der Summe weltweit nur noch 13 Millionen Dollar Umsatz zu verzeichnen, im Vergleich zu 232 Millionen Dollar im Vorjahr, als ein Künstler namens Beeple überraschend in die Top Ten aufgestiegen war. Da gegen hat die Liste der internationalen Spitzenwerke jetzt mit Pop-Art und Impressionismus eine geradezu klassische Anmutung: Noch vor den oben genannten Namen aus der Allen Collection steht Warhols „Shot Sage Blue Marilyn“ aus dem Nachlass der Schweizer Kunsthändler Thomas und Doris Ammann. Der Siebdruck, der einen Pistolenschuss in Warhols Factory von 1964 im Titel trägt, ging bei Christie’s zum Rekordzuschlag von 170 Millionen Dollar an den Galeristen Larry Gagosian. Außerdem zählen Lucian Freud, Basquiat und Magritte zu den teuersten Werken des Jahres.
In Deutschland sind die Umsätze der größten Auktionshäuser ebenfalls mit sensationellen Einlieferungen ver knüpft: Ein Meilenstein des deutschen Kunstmarkts ist Max Beckmanns „Selbstbildnis gelbrosa“ von 1943, das der Industrielle und Kunstsammler Reinhold Würth, Jahrgang 1935, im Dezember bei Grisebach in Berlin zum Hammerpreis von 20 Millionen Euro, der unteren Taxe, er steigerte. Hierzulande ist das zum ersten Mal überhaupt ein zweistelliger Millionenzuschlag. Endlich! Früher oder später werde das Bildnis „in unseren Ausstellungen auftauchen“, ließ Würth verlauten, „da kann es sich jeder kostenlos anschauen.“ Rund 20000 Werke von Holbeins Darmstädter Madonna bis zur Kunst der Gegenwart zählt seine Sammlung mittlerweile.
Die Top Ten des vergangenen Jahres in Deutschland stammen bis auf eine Skulptur – Lempertz schlug einen kleinen Denkmalentwurf von Alberto Giacometti für 2,2 Millionen Euro zu – von deutschen Künstlern (leider wieder nur Männer). Bis auf ein abstraktes Bild von Gerhard Richter sind es Expressionisten. Auch hinter dieser Entwicklung steckt ein einzelner Sammler: der prominente Würzburger Unternehmer Hermann Gerlinger mit seiner umfangreichen Brücke Kollektion. Sie verhalf Ketterer erstmals zu einem Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro: Ernst Ludwig Kirchners „Blaues Mädchen in der Sonne“ ging für 4 Millionen Euro netto an den Münchner Kunsthändler Raimund Thomas; die auf einen Bruchteil geschätzte Skulptur „Hockende“ wanderte für 3,6 Millionen Euro in die USA. (Zur Erinnerung: Kirchners Rekord steht seit 2006 mit der aus dem Berliner BrückeMuseum restituierten, berühmten „Straßenszene“ bei 34 Millionen Dollar.)
Nicht alles von Kirchners Hand fand 2022 Abnehmer, doch manches schoss erstaunlich in die Höhe. Um Aquarelle mit Waldmotiven gab es Bietgefechte in Zürich bei Koller und in München bei Karl & Faber und Ketterer, wo der Hammerpreis für Kirchners „Bergtannen im Winter“ von geschätzten 25.000 Euro bis auf 150.000 Euro anstieg. Aber auch andere Expressionisten konnten 2022 punkten. Bei Grisebach erzielte Max Pechsteins „Russisches Ballett“ 2 Millionen, bei Ketterer ersteigerte ein Unternehmer aus Nordrhein Westfalen für 3,4 Millionen Euro Karl Schmidt Rottluffs „Lesende“, ein Porträt der Dichterin Else LaskerSchüler, und kündigte kürzlich an, es dem Von der Heydt Museum Wuppertal als Dauerleihgabe zu über geben. Rekorde für die deutsche Moderne fielen international: Franz Marcs „Füchse“ (1913), kürzlich aus dem Museum Kunstpalast in Düsseldorf restituiert, brachten bei Christie’s in London 37 Millionen Pfund. Käthe Kollwitz’ ergreifende Grafik „Pietà“ von 1903, die Darstellung einer Mutter mit totem Kind, stieg bei Kornfeld in Bern, wo schon zuvor starke Ergebnisse für die Künstlerin eingespielt wurden, auf 1,1 Millionen Franken. Für Gabriele Münter gibt es ebenfalls eine neue Höchstmarke. Ihr Ölbild „Gelbes Haus mit Apfelbaum“, eine leuchtende Darstellung ihrer Murnauer Idylle, wurde bei Christie’s in London für 1,45 Millionen Pfund zu geschlagen. Das Bucerius Kunst Forum in Hamburg widmet Münter ab 11. Februar eine große Ausstellung. Das ist wichtig: Wenn dieser Markt bestehen will, gilt es, auch jüngere Generationen für den Expressionismus zu begeistern.