Amedeo Modigliani

Der letzte Bohemien

Sein Leben gleicht einem Roman, seine Gemälde gehören zum Kanon der klassischen Moderne. Doch auch das zeichnerische Werk von Amedeo Modigliani ist enorm, und die Preise auf dem Kunstmarkt steigen

Von Michael Lassmann
23.03.2023
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 3/23

Ein romanhaftes Leben inmitten des Künstlervolks der Pariser Bohème, das Leitmotiv des verkannten Genies in finanziellen Nöten; dafür als romantischer Ausgleich ein libertäres Liebesleben, an denen sich bourgeoise Sehnsüchte entzünden konnten; ferner eine schicksalhafte Erkrankung an Tuberkulose und zuletzt ein unverdient früher Tod: Mit Ausnahme seines beunruhigenden Drogenkonsums war die Biografie Amedeo Modiglianis (Livorno 1884 – 1920 Paris) zweifellos ein Stoff, aus dem man eilig Libretti für tragische Opern hätte zimmern können. Freilich war noch die Welt der Belle Époque im Untergang begriffen, und wenigstens aus Sicht seines Freundes Ludwig Meidner war „Unser Modigliani … wahrscheinlich sogar der letzte echte Bohemien“.

Amedeo Modigliani Dichter Blaise Cendrars Dorotheum
Für Amedeo Modiglianis Bleistiftzeichnung des Dichters Blaise Cendrars aus dem Jahr 1918 erzielte das Wiener Dorotheum im November 2013 131.500 Euro. © Dorotheum, Wien

Sein zeichnerisches Werk ist angesichts seines kurzen Schaffens erstaunlich umfangreich. Gespeist war es inhaltlich durch seine jahrelange Auseinandersetzung mit der Plastik – etwa in seinen „Karyatiden“ –, formal aber auch durch die venezianische Renaissance sowie seine Ausbildung an der Académie Colarossi, einer der fortschrittlichsten Privatakademien von Paris. Die Verknappung seiner Formensprache auf oft eilig hingeworfene Konturen wird gern im Zusammenhang mit dort praktizierten Fingerübungen wie dem „15-Minuten-Akt“ gesehen, die den Blick auf das Wesentliche fokussieren halfen. Während die Gemälde seit der Jahrtausendwende im zweistelligen Millionenbereich angekommen sind und 2018 bei Sotheby’s, New York, für eine „Nu couché“ sogar ein extravaganter Wert von 139 Millionen Dollar ermittelt wurde, sind seine Zeichnungen – meist rasch improvisierte Köpfe und Akte in Bleistift-, Kohle- oder Tuschetechnik – im Vergleich noch erschwinglich. Zur Begriffsklärung: „Erschwinglich“ bedeutet, dass Käufer bei rund sieben von zehn Transaktionen noch mit einem fünfstelligen Gebot ans Ziel gelangen. Auf die Problematik der Fälschungen, die immer wieder auftauchen, kann hier nicht eingegangen werden. Ein werkimmanenter Vergleich ergibt nicht immer hinreichende Anhaltspunkte für eine eindeutige Zuordnung, und so bleibt eine möglichst lückenlose Provenienz immer noch der zuverlässigste Indikator für die Authentizität eines Blattes. Sorgfältige Recherche sticht Sujet-Vorlieben, und so erklärt sich auch das zum Teil beträchtliche Preisgefälle zwischen ansonsten vergleichbaren Qualitäten.

Mit 277 Losen nahm der Umfang der Offerte seit 2013 im Vergleich zum vorigen Jahrzehnt um 12 Prozent ab, während der Anteil der Rückgänge von 35 Prozent auf ein gutes Viertel sank. In Modiglianis Wahlheimat Frankreich wurde mit über 40 Prozent der größte Anteil der Ware angeboten. Christie’s und vor allem Sotheby’s versorgten zusammen rund ein Viertel aller Lose, die sie über ihre Filialen in New York, Paris und London anboten. Der Preis für Modiglianis Zeichnungen steigt: Zwar blieb der Anteil der Hammerpreise unter 10.000 Euro mit rund fünf Prozent konstant, doch legten höhere Preislagen im sechsstelligen Bereich zu. 30 Prozent der Transaktionen bewegten sich über 100.000 Euro (zuvor 27 Prozent), rund 12 Prozent der vermittelten Lose erzielten über eine Viertelmillion (vor 2013 waren es noch knapp 6 Prozent). Sechs Top-Lose schafften den Sprung über die halbe Million, was vorher lediglich zweimal gelungen war, und erstmals wurde 2016 in New York sogar ein Millionenwert realisiert.

Amadeo Modigliani Selbstporträt 1899 Christie's
Ein mit Kohle ausgeführtes „Selbstporträt“ des Künstlers von 1899 konnte im Juni 2018 bei Christie’s, London, die Taxe von 400.000 Pfund verdoppeln. © Christie’s, London

Im deutschsprachigen Raum ist man bescheidenere Zahlen gewöhnt: Im Wiener Dorotheum erzielte im November 2013 eine zarte Bleistiftzeichnung mit einem Halbporträt des befreundeten Schweizer Dichters Blaise Cendrars 131.500 Euro, ließ damit allerdings die Taxe von 45.000 weit hinter sich. Zuvor war im Mai bei Sotheby’s, New York, eine 1909 entstandene „Studie für die Amazone“ von 70.000 auf das Sechsfache der Taxe gehoben worden. Den Auftrag für die Gemäldefassung aus demselben Jahr – den ersten bezahlten Auftrag für den Künstler überhaupt – verdankte er seinem Freund aus frühen Pariser Jahren, dem jungen Arzt Paul Alexandre, der ihn neben anderen jungen Künstlern nach Kräften förderte und ihm großzügig seine Verbindungen zur Verfügung stellte. Sein Bildnis „Dreiviertel-Porträt Paul Alexandre, die linke Hand in der Tasche“ stieg im Juni 2014 bei Sotheby’s, Paris, von 200.000 auf 420.000 Euro.

Eine schillernde Figur der Pariser Literaten-Szene war der Schweizer Astrologe und Okkultist Conrad Moricand, den Modigliani mehrfach porträtierte. Eine Bleistiftarbeit von circa 1917, die im Mai 2015 bei Lempertz, Köln, zum Aufruf kam, zeigt ihn wie in Trance mit geneigtem Kopf und halbgeschlossenen Augen; rund zwei Jahrzehnte später setzte ihm Henry Miller in seinen Erinnerungen „A Devil in Paradise“ ein zwiespältiges Denkmal. Sein Bildnis erreichte nicht einmal die bescheidene Taxe von 20.000 Euro und musste bereits für 18.000 abgegeben werden. Dafür landete Christie’s, New York, zwölf Monate später mit dem „Kopf einer Karyatide“ den bisherigen Preisrekord für eine Zeichnung: 1,3 Millionen Dollar gab es für die von Patani abgesegnete Bleistiftstudie von 1910 / 11; das Haus war hier nur von 400.000 Dollar ausgegangen. Im folgenden Monat erwies sich bei Karl & Faber, München, einmal mehr, dass Bieter in Deutschland selbst bei moderaten Taxen zaudern. Das Brustbildnis der Avantgardekünstlerin Hélene Povolozky „à Elena“ konnte die vorgeschlagenen 20.000 Euro nicht bestätigen und wurde drei Tausender unter Taxe abgegeben. Ein mit Kohlestift ausgeführtes und 1899 datiertes „Selbstporträt“ des heranwachsenden Künstlers konnte hingegen bei Christie’s, London, im Juni 2018 die Taxe von 400.000 Pfund mühelos verdoppeln.

Amedeo Modigliani Kopf 1911/12 Artcurial
250.000 Euro erzielte Amedeo Modiglianis überlanger „Kopf“ von ca. 1911/12 im September 2019 bei Artcurial in Paris. © Artcurial, Paris

Überraschenderweise tauchen reine Akte im Vergleich selten an der oberen Preisspitze auf. Im Mai 2018 realisierte Farsetti, Prato, mit 200.000 Euro zwar eines der besten Ergebnisse dieser Motivgruppe, blieb damit jedoch 20 Prozent hinter den Erwartungen. Versehen mit einer Widmung des jüdischen Autors und Malers Max Jacob ist ein überlängter „Kopf“ von 1911 / 12, der in der Geometrisierung der Form ähnlichen Kompositionsmustern folgt wie einige der Karyatiden-Köpfe und im September 2019 bei Artcurial, Paris, mit einer geschätzten Viertelmillion Euro hochgehalten wurde. Jacobs selbst hatte Modigliani wiederholt gesessen, und mit diesem Authentizitätsnachweis konnte das Blatt unschwer auf 600.000 Euro gehoben werden. Bestens dokumentiert ist auch ein mit Grafitstift erstelltes Porträt der Geliebten und Mutter der unehelichen Tochter des Künstlers, Jeanne Hébouterne, die wie er an der Académie Colarossi studiert hatte. Die 120.000 Euro, die man bei Christie’s, Paris, dafür veranschlagt hatte, waren für eine Arbeit mit so engem autobiografischen Bezug kaum ernst zu nehmen, und so blieb sie auch erst bei 320.000 Euro stehen.

Für gute Kollegen gilt dieser Bonus offenbar nur eingeschränkt: Eine Bleistiftzeichnung des russisch-stämmigen Malers und engen Freundes Modiglianis „Chaim Soutine, an einem Tisch sitzend“, brachte bei Lempertz Ende 2021 eher bemessene 100.000 Euro, ließ damit jedoch die Taxe von 70.000 deutlich hinter sich. Eine Gouache mit der ungewöhnlich bewegten Dreiviertelfigur einer „Karyatide“ blieb im vergangenen Mai bei Farsetti mit 300.000 Euro bei der Taxe stehen, während der bislang letzte Wert wiederum enttäuschte: Bei Genève Encheres überzeugte „Madame Dorival“ im Dezember als Sitzfigur nicht ganz und blieb mit 26.400 Franken hinter der Erwartung des Hauses (Taxe 30.000 Franken) zurück.

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