Paula Modersohn-Becker

Zum inneren Kern

Sie gilt als Wegbereiterin der Moderne und als Vorkämpferin des Feminismus, weil sie sich trotz aller Widrigkeiten als Künstlerin durchsetzte. Auf dem Kunstmarkt wird das Angebot an Gemälden von Paula Modersohn-Becker langsam knapp

Von Michael Lassmann
12.05.2023
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 8/23

Zeugnisse von Wegbegleitern zum tragisch kurzen Leben und Schaffen Paula Modersohn-Beckers (Dresden 1876 – 1907 Worpswede) gibt es reichlich: von engen Freunden wie Rainer-Maria Rilke, Kollegen wie Heinrich Vogeler, von ihrem Ehemann Otto Modersohn und natürlich von ihr selbst – durch ihre Tagebücher, ihre Briefwechsel, angeblich sogar durch recht unverblümte Eintragungen in ihrem Haushaltsbuch. Entsprechend gut orientiert ist man daher auch über die vielen verschiedenen Künstler, deren Einfluss sie sich mehr oder weniger ausdauernd, jedenfalls aber nur vorübergehend überließ. Die Liste reicht von Leonardo und Van Dyck über Cézanne, Gauguin und Maillol bis hin zu den Nabis; vollständig ist sie keinesfalls. Gewiss nicht darin zu finden sind die Mitglieder der Künstlerkolonie in Worpswede, mit denen Paula Becker durch ihre Ehe mit Modersohn immer noch gern in Verbindung gebracht wird, obwohl sie sich in den letzten Jahren ihres Lebens zunehmend von ihnen entfernte; den engen Grenzen naturverbundener Heimatkunst, in denen sich viele dort bewegten, war sie längst entwachsen.

Wenn die Malerin selbst an solchen bodenständigen Sujets festhielt, die sie in der Umgebung von Worpswede fand, dann wohl deshalb, weil sie in der scheinbaren Anspruchslosigkeit dieses Themenkreises eine kongeniale Entsprechung für die von ihr angestrebte Vereinfachung der Form erblickte. Zu ihren Lieblings-Sujets gehörten Landschaften und Stillleben, Figurenbilder mit einfachen Landfrauen, häufiger noch Kindern und, in der Auseinandersetzung mit sich selbst, der Blick auf die enge Bindung von Mutter und Kind; schließlich auch das Selbstporträt und seine logische Erweiterung, der weibliche Akt.

Paula Modersohn-Becker Kind am Baumstamm
Deutlich über Taxpreis wurde im April 2016 auf Schloss Ahlden der Karton „Kind am Baumstamm“ abgegeben, der den Käufer statt der geschätzten 280.000 Euro runde 100.000 teurer kam. © Schloss Ahlden

Gestalterisch verfolgte sie weiterführende Ziele, die über den regionalen Bezug des Motivischen hinausweisen. An naturalistischer Detailbetrachtung uninteressiert, überwand sie auch die flüchtige Oberflächenbeschreibung der Impressionisten. Becker suchte einen profunderen Zugang zum inneren Kern ihres Gegenstands als eine Annäherung über die optische Erscheinung versprach, und sie fand ihn durch längere Aufenthalte in Paris, wo sie zunächst an der Académie Colarossi, später an der Académie Julien studierte. Ihre Bilder beschreiben Menschen und Dinge in ihrer Zuständlichkeit, und die Reduktion auf die zeichenhafte, von allzu Individuellem und Zufälligem geklärte Form erschien ihr offenbar als Weg, um diesen Anspruch einzulösen.

Aufgrund der flächenhaften Organisation des Bildraums, in der der Farbe neben ihrer beschreibenden auch eine ordnende Funktion zukommt, sieht man sie als Wegbereiterin des Expressionismus. Aber wie es vielen Künstlern geht, die ein bisschen zu früh dran sind, wurde sie zu Lebzeiten kaum verstanden; nicht vom breiten Publikum, und letztlich auch nicht immer von ihrem Mann, obwohl dieser von ihrer enormen Begabung überzeugt war und sie nach Kräften in ihrer Karriere unterstützte. Noch 1903 kommentierte er ihre Arbeit in seinem Tagebuch so: „Sie haßt das conventionelle und fällt nun in den Fehler alles lieber eckig, häßlich, bizarr, hölzern zu machen. Die Farbe ist famos, aber die Form?“ Und resigniert setzte er hinzu: „Rath kann man ihr schwer ertheilen, wie meistens.“

Paula Modersohn-Becker Kinder zwischen Birkenstämmen
Bei Lempertz in Köln ließen die „Kinder zwischen Birkenstämmen“ die Taxe von 180.000 klar hinter sich. © Lempertz, Köln

Wie es aussieht, wird das Angebot an Gemälden langsam knapp: Die aktuelle Offerte wurde mit nur noch 44 Losen in den vergangenen zehn Jahren um mehr als ein Drittel reduziert. Ein weiteres Drittel der verbliebenen Auswahl überzeugte offenbar nicht; damit sank die Quote der erfolgreichen Transaktionen um 10 Prozent. Was verkauft werden konnte, wurde dafür allerdings teurer, wobei Preise im vierstelligen Bereich ohnehin nicht vorkamen. Signifikant ist der Kursanstieg vor allem im oberen Preisbereich, denn der Anteil der Zuschläge über 100.000 Euro stieg sprunghaft auf über 60 Prozent an; vor 2013 waren lediglich 40 Prozent der vermittelten Lose über diese Schwelle gehoben worden. Erstmals gelangen auch zwei Werte über 400.000 Euro.

Modersohn-Beckers Gemälde erzielen gelegentlich auch in London gute Ergebnisse, doch vornehmlich sprechen sie deutsche Sammler an; diese Tendenz verstärkte sich weiter, sodass mittlerweile über 80 Prozent der Lose vor einheimischem Publikum verhandelt werden. Hier zahlt man im Durchschnitt auch höhere Preise, sodass Einlieferer auch Spitzenqualitäten nicht im Ausland platzieren müssen. Grisebach etablierte sich als führende Adresse – von den 20 allein dort bereitgestellten Gemälden erzielten zehn sechsstellige Hammerpreise, mehr als die Hälfte aller Zuschläge in diesem Preisbereich. Auch die beiden höchsten Werte des Jahrzehnts wurden dort realisiert. Spitzen-Notierungen entfielen vor allem auf figürliche Motive aus den Jahren nach der Jahrhundertwende, reine Landschaftsdarstellungen wurden dagegen in der Regel deutlich günstiger gehandelt.

Paula Modersohn-Becker Weidenden Schimmel im Mondlicht
Für den „Weidenden Schimmel im Mondlicht“ von 1901 erzielte Van Ham in Köln 200.000 Euro davon., Köln. © Van Ham, Köln

Mit 120.000 Euro gelang Arnold, Frankfurt, im November 2013 für den Karton „Landschaft mit Birkenstamm“ von 1901 überraschend eine der besten Bewertungen in dieser Werkgruppe; erwartet hatte man lediglich 30.000. Nur wenige Tage darauf schrieb Grisebach, Berlin, mit einem der besonders gefragten Kinder-Motive einen vorläufigen Bestwert: Ein 1904 datiertes und recht holprig betiteltes „Auf einem Stuhl sitzendes Mädchen mit Kind auf dem Schoß vor Landschaft“ wurde mühelos von einer Viertelmillion auf 420.000 Euro hochgesteigert. Zwei Jahre später stellte das Haus den eigenen Rekord wieder ein. Die Tempera-Arbeit „Bäuerin mit zwei Ziegen vor Gehöft“ verbesserte sich dort von 350.000 auf 430.000 Euro. Deutlich über Taxpreis wurde im April 2016 auf Schloss Ahlden auch der Karton „Kind am Baumstamm“ abgegeben, der den Käufer statt der geschätzten 280.000 Euro runde 100.000 teurer kam. Mit 120.000 Pfund bezifferte Christie’s, London, im Februar 2018 den Wert für das „Brustbild einer alten Bäuerin mit Hut vor Landschaft“, der Hammer fiel knapp darunter bei 115.000. Für ein Plus in der Bilanz sorgten dafür bei Lempertz, Köln, im Juni 2020 zwei in engem Bildausschnitt gegebene hockende „Kinder zwischen Birkenstämmen“. Der 1904 datierte Karton ließ mit 270.000 Euro die Taxe von 180.000 klar hinter sich. Zwölf Monate später präsentierte Van Ham, Köln, gleich zwei interessante Tempera-Arbeiten, die beide die Erwartungen aber nicht ganz erfüllen konnten. Zuerst musste ein „Sitzender Junge mit Mädchen auf dem Schoß“ bei 180.000 Euro 10 Prozent unter Taxe abgegeben werden. Empfindlicher war das Zugeständnis bei dem ungewöhnlichen Tiermotiv „Weidender Schimmel im Mondlicht“ von 1901, für das man eigentlich mit einer Viertelmillion gerechnet hatte; mangels Interesses kam der Käufer jedoch mit einem Gebot von 200.000 Euro davon.

Für die meist sparsam instrumentierten Zeichnungen werden ungleich bescheidenere Preise aufgerufen. Immerhin konnten neun der 23 vermittelten Blätter über 10.000 Euro gehoben werden. Anders als bei den Gemälden war Grisebach in diesem Segment weniger dominant, doch dafür sicherten sich die Berliner vier der fünf Notierungen über 20.000 Euro. Preise über 50.000 wie vor der Jahrtausendwende waren in Ermangelung entsprechender Qualitäten nicht machbar – im Juni 2016 reichten Grisebach 26.000 Euro für die Kohlezeichnung „Sitzende Frau mit Kind auf dem Schoß“, um sich auch hier den Bestwert des Jahrzehnts zu sichern; allerdings schnitten mehrere andere Blätter ähnlich gut ab.

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