Caspar David Friedrich

Vom Salz in der Suppe

Am 30. November wird bei Grisebach eines von nur sechs erhaltenen Skizzenbüchern Caspar David Friedrichs versteigert 

Von Stefan Weixler
23.11.2023
/ Erschienen in Kunst und Auktionen 19/23

Um dem „Studierstuhl in einer dumpfen Kammer“ zu entfliehen, brach Johann Gottfried Herder 1769 zu einer Seereise mit unbestimmtem Ende auf – und hatte bei „flatterndem Segel, rauschendem Wellenstrom und fliegenden Wolken“ ein regelrechtes Erweckungserlebnis. „Was gibt ein Schiff, das zwischen Himmel und Meer schwebt, nicht für weite Sphären zu denken“, schwärmte er. Er fühlte sich eins mit sich selbst, spürte das Wunderbare, Erhabene, Mysteriöse und Dämonische des Daseins. Und weil das Irrationale aus dem damals herrschenden Weltbild der Aufklärung verbannt war, beschloss Herder gleichsam, der Suppe des Lebens das fehlende Salz zurückzugeben. „O Seele, wie wird dirs seyn, wenn du aus dieser Welt hinaustrittst?“, spekulierte er beispielsweise: „Du flatterst in den Lüften oder schwimmst auf einem Meere.“ Mit Worten wie diesen, die er seinem Reisejournal anvertraute und bald auch im illustren Kollegenkreis der Weimarer Klassik fallen ließ, hauchte er der Gegenwart mit einem Schlag Sinnlichkeit ein. Und genau das tat er auch mit der Vergangenheit. Um die „Volksgeister“ zu begreifen, sammelte er beispielsweise altes Liedgut, beschrieb die Geschichte als Prozess mit „Empfindungen, die hie und da schwärmerisch, gewaltsam, gar abscheulich werden.“

Caspar David Friedrich, „Abtei im Eichwald“, Öl / Lwd., 1809 / 10, Berlin, Nationalgalerie

Die Herder’sche Weltsicht schlug im deutschsprachigen Raum ein wie ein Komet. Die daran anknüpfende Dichtung des „Sturm und Drang“– etwa Goethes Bestseller „Werther“ – machte eine ganze Generation lesesüchtig. Die Jugend fantasierte sich hinein in die Romanfiguren, literarisierte den Alltag. Und selbst die Zeitläufe schienen dem Bild, das Herder von ihnen gezeichnet hatte, umgehend entsprechen zu wollen. Denn die Französische Revolution von 1789 und die nachfolgenden Koalitionskriege veranstalteten mit Europa eine regelrechte Achterbahnfahrt der Emotionen. Auf der Suche nach Halt sprossen in dieser Epoche des gesellschaftlichen Umbruchs Mystizismus, Ästhetizismus, Privatismus, Nationalismus etc. pp. – in allen erdenklichen Abmischungen. Und die Kunst stand nicht nur bereit, all diese quasireligiös grundierten Strömungen zu begleiten – sie schwang sich sogar mehr und mehr selbst zur Religion auf. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelang es Richard Wagner mit seinen Musikdramen – kraft beigemischter „hypnotischer Gifte“, wie Friedrich Nietzsche mutmaßte –, als Hohepriester eines von „St. Petersburg bis Montevideo“ betriebenen Sinnenkults wahrgenommen zu werden.

Ein frühes Kind dieser hochgradig eskapistisch gearteten Zeit – der sogenannten Romantik – ist der gebürtige Greifswalder Caspar David Friedrich (1774–1840). Mitte der 1790er-Jahre absolvierte er ein Studium an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen. 1798 zog es ihn dann dauerhaft nach Dresden, wo er zunächst viele Jahre lang einzig und allein an seinen zeichnerischen Fertigkeiten feilte. Am liebsten in der freien Natur, die er sich ausdauernd erwanderte, um als lebendiger Teil von ihr dann mit dem Bleistift die Essenz herauszudestillieren. „Ich muß mich dem hingeben, was mich umgibt, mich vereinen mit meinen Wolken und Felsen, um das zu sein, was ich bin“, meinte er einmal. So entstanden Skizzenbücher zu Flora und Fauna, die Miniaturbildbänden gleichen. Ludwig Gotthard Kosegarten – der Naturpoet von Rügen, mit dem er seit den frühen 1790er-Jahren bekannt war – hat ihn bestimmt inspiriert, sich auf diesem Weg eine ganz eigene, am Ende radikal neue Bildsprache anzueignen. Vielleicht auch sein Freund Gotthilf Heinrich Schubert, der Naturforscher, Botaniker und Mystiker.

Caspar David Friedrich, „Hünengrab im Schnee“, Öl / Lwd., 1807, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Aber man kommt kaum umhin, den Philosophen und Theologen Friedrich Schleiermacher als Fixstern seines Kosmos zu betrachten, der die christliche Lehre mit dem Zeitgeist Herder’scher Prägung verbinden wollte. Denn Worte wie „Mitten in der Endlichkeit eins werden mit dem Unendlichen und ewig sein in einem Augenblick, das ist die Unsterblichkeit der Religion“, scheinen als Subtext sein gesamtes Werk zu begleiten. Insbesondere die frühen Ölbilder mit Manifestcharakter wie den „Tetschener Altar“ von 1807/08, auf dem ein Gipfelkreuz bei Sonnenuntergang zu sehen ist, oder das Bildpaar „Mönch am Meer“ und „Abtei im Eichwald“, das auf der Berliner Akademieausstellung von 1810 gezeigt und anschließend von Friedrich Wilhelm III. erworben wurde. Spätestens in diesem Zusammenhang hatte der Künstler Schleiermacher auch persönlich kennengelernt, der im Vorfeld der Schau als Mitglied des Preußischen Innenministeriums bei ihm aufgetaucht war. Doch dessen 1799 publizierte Schrift „Über die Religion“, deren zweite Ausgabe 1806 im Berliner Verlag seines Jugendfreunds Georg Andreas Reimer erschienen war, hatte er damals wohl schon längst verinnerlicht.

Wie planvoll Friedrich seine transzendierenden Bildräume inszenierte, an ihrer metaphysischen Emphase tüftelte, lässt sich anhand einer sensationellen Einlieferung bei Grisebach nachvollziehen: Am 30. November kommt in Berlin das „Karlsruher Skizzenbuch“ zum Aufruf. Entstanden ist es zwischen Mitte April und Anfang Juni 1804 – aber begleitet hat es ihn wohl sein ganzes Leben lang. Denn diverse „Baumporträts“ daraus tauchen in späteren Gemälden wieder auf. Am häufigsten und längsten die prägnante Eiche auf Seite 9, die 1807 für das „Hünengrab im Schnee“, 1809/10 für die erwähnte „Abtei im Eichwald“ und 1817/19 für den seit dem Zweiten Weltkrieg verlorenen „Klosterfriedhof im Schnee“ verwendet wurde. Und selbst noch das „Große Gehege bei Dresden“ von 1832 speist sich aus der bildnerischen Ernte des Künstlers dieser Monate.

Friedrichs Skizzenmaterial hat sich nur in fünf weiteren Fällen in gebundener Form erhalten. All diese Bücher befinden sich in Museen. So ist dieses Kleinod aus dem früheren Besitz seines Malerfreundes Georg Friedrich Kersting mit 1 Million Euro sicherlich nicht zu hoch angesetzt.

Update (01.12.2023): Das Skizzenbuch erzielte während der Auktion „Ausgewählte Werke“ am 30.11.2023 bei Grisebach einen Hammerpreis von 1.450.000 Euro.

Zur Startseite