Experten wussten, dass es existiert, doch die Kunstwelt rätselte, wo es geblieben war: Ein verschollenes Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner ist nun aufgetaucht. Eine Kunstsensation
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06.03.2024
Es ist eine kleine Kunstsensation: Ein Bild von Ernst Ludwig Kirchner, dessen Verbleib jahrzehntelang ungeklärt war, ist wieder aufgetaucht. Das Ölgemälde „Tanz im Varieté“ aus dem Jahr 1911 befand sich laut Informationen des Münchner Auktionshauses Ketterer 80 Jahre lang in einer Privatsammlung in Baden-Württemberg und soll nun für einen Schätzpreis von zwei bis drei Millionen Euro versteigert werden. Es war – auch bei Experten – bislang ausschließlich als Schwarz-Weiß-Abbildung bekannt.
Das 120 mal 145 Zentimeter große Werk ist „eines der außergewöhnlich großformatigen Bilder im Werk Kirchners“, schreibt das Auktionshaus. „Im Scheinwerferkegel inszeniert Kirchner eine Tanzszene mit einem Schwarzen Tänzer und einer weißen Tänzerin, eingefasst von einer Gruppe weiterer Tänzer.“ Der Expressionist Kirchner habe darin seine Faszination für den Tanz verarbeitet. Das Gemälde zähle zu den letzten Werken, die Kirchner (1880-1938) in Dresden zum Thema Zirkus und Varieté gemalt habe.
Nach Angaben einer Sprecherin ist das Auktionshaus noch immer damit beschäftigt, herauszufinden, wo genau das Gemälde wann war. Klar ist den Angaben zufolge, dass es kurz nach seiner Entstehung ausgestellt wurde und dann in den 1920er Jahren nochmal. Davon existieren laut Ketterer Bildaufnahmen. Kirchner selbst habe das Bild mehrfach fotografiert.
Die älteste Aufnahme dokumentiert den Angaben zufolge eine Ausstellung der „Brücke“-Maler im Frühjahr 1912 im Berliner Kunstsalon des Galeristen Fritz Gurlitt. Zum letzten Mal ausgestellt wurde „Tanz im Varieté“ Ende 1923 ebenfalls in Berlin. „Danach verlieren sich seine Spuren“, teilt das Auktionshaus mit. „Das Bild verschwindet aus der Öffentlichkeit. Sein Wiederauftauchen ist eine Sensation.“
Kirchner war Mitbegründer der Künstlervereinigung „Die Brücke“. Gemeinsam mit Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und dem heute weniger bekannten Fritz Bleyl hatte er die Gruppe 1905 in Dresden gegründet. Die vier jungen Architekturstudenten, die später nach Berlin übersiedelten, wollten Kunstgeschichte neu schreiben. „Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden“, heißt es im Manifest, dessen Originaldruck derzeit in einer Ausstellung über den Beginn der Gruppe im Brücke-Museum Berlin zu sehen ist.
„Das Werk hat ein Jahrhundert lang buchstäblich im Hintergrund der Kunstgeschichte darauf gewartet, ins Rampenlicht zu treten“, schreibt Ketterer in seiner Auktionsankündigung. Das Kirchner-Gemälde soll dort in einer Versteigerung am 7. Juni unter den Hammer kommen. (Britta Schultejans, dpa)