Die Wiederentdeckung eines Porträts von der Hand Gustav Klimts sorgte im Wiener Auktionshaus Im Kinsky für Furore. Nun wurde es für 30 Millionen Euro versteigert. Das ist der höchste Auktionspreis, der je im deutschsprachigen Raum erzielt wurde
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24.04.2024
Klimt und die Frauen: Das ist in der Vita des Künstlers sowohl privat wie auch professionell ein unerschöpfliches Thema. Da gibt es amouröse Abenteuer, diverse uneheliche Kinder und mit Emilie Flöge eine wunderbare Gefährtin auf der privaten Seite. Auf der anderen gilt er als Maler der Frauen, zumindest jener, die meist zu jenen jüdischstämmigen Familien gehörten, die finanzkräftig im Wien um 1900 die Kunst und Kultur förderten.
Klimt hat Zeit seines Lebens Frauen porträtiert, doch, so lässt sich heute beurteilen, diese Einkommensquelle nahm in der Zeit zwischen den beiden Porträts von Adele Bloch-Bauer erst richtig Schwung auf. Als der Maler 1918 starb, standen einige der Damenbildnisse in verschiedenen Stadien ihrer Vollendung sowie teilfinanziert im Atelier und wurden, so wie sie waren, in die Salons der Wiener Gesellschaft ausgeliefert. Zahlreiche der auftraggebenden Familien wurden zwei Jahrzehnte später von den Nationalsozialisten ihres Hab und Guts beraubt, ermordet oder vertrieben. Lange hat es gedauert, bis im Umgang mit Opfern des Holocaust und deren Nachkommen ein adäquater Umgang gefunden, Provenienzforschung und Restitution eine Selbstverständlichkeit wurden.
Als im Januar dieses Jahres das „Bildnis Fräulein Lieser“ im Kinsky in Wien präsentiert wurde, war das eine Sensation. Ob das Werk jemals öffentlich gezeigt wurde, ist ungewiss, doch wurde es vor rund 100 Jahren einmal fotografisch dokumentiert. Bislang kannte man die schöne junge Frau nur als kleine Schwarz-Weiß-Abbildung in Werkverzeichnissen oder Katalogen. Das Bild galt als verschollen. Im Original überrascht es nun durch intensive Farbkontraste und einen ungeahnt offenen Malduktus. Das Kleid blass türkis, der Umhang kräftig blau, das Blütenmeer dazwischen setzt wohlüberlegte Farbakzente. Der locker gemalte Hintergrund leuchtet zinnoberrot mit lasierend stahlgrauen Bereichen, darauf an einigen Stellen mit Bleistift eine Andeutung davon, dass womöglich streumusterartig Dekor vorgesehen war. Mit der farbigen Präsenz des Gemäldes wird auch die Frage lebendig, um wen es sich bei der Dargestellten eigentlich handelt.
Bislang ging die Fachliteratur davon aus, dass es sich bei dem abgebildeten „Fräulein“ um Margarethe Constance Lieser handelt. Doch stehen nach Recherchen der letzten zwei Monate zwei weitere Vornamen zur Option: Nachforschungen des Auktionshauses hatten ergeben, dass die Besitzerin des Gemäldes Lilly Lieser gewesen sein dürfte – die Tante von Margarethe Constance. Lilly Lieser galt als Mäzenin und bewegte sich als solche in den entsprechenden Kreisen. Insofern wäre es ziemlich naheliegend, wenn sie Klimt mit dem Porträt einer ihrer beiden Töchter Helene oder Annie beauftragt hätte. Helene, 1898 geboren, legte nach ihrer Matura im Lyzeum der Reformpädagogin Eugenie Schwarzwald als erste Frau in Österreich eine Promotion in Staatswissenschaften ab. Die drei Jahre jüngere Annie hingegen absolvierte eine Ausbildung bei Grete Wiesenthal und reüssierte als Ausdruckstänzerin.
Während ihre Mutter 1942 deportiert wurde und ein Jahr später im Getto Riga ums Leben kam, konnten die beiden Schwestern emigrieren. Die Vermögenswerte der Schwestern wurden in der Nachkriegszeit zwar restituiert, das besagte Gemälde allerdings findet in den entsprechenden Unterlagen keine Erwähnung, ebenso taucht das Werk nicht im Art Loss Register auf.
Wo das gemalte „Fräulein Lieser“ nun all die Jahre verbracht hat, war bis dato unbekannt. Recherchen der österreichischen Tageszeitung Der Standard haben jetzt ergeben, dass das Werk in der NS-Zeit wohl entzogen wurde. Lilly Lieser, deren Vermögen nach dem Anschluss eingefroren war, lebte die letzten Jahre vor ihrer Deportation von dem Verkauf ihrer verbliebenen Habseligkeiten. In diesem Zusammenhang fand es wohl ins Lager eines Lebensmittelhändlers.
Als das Werk 1961 im Handel auftauchte, wollte es Werner Hofmann, damals Gründungsdirektor des Museums moderner Kunst (MUMOK) als Leihgabe für die Sammlung sichern. Ein Versuch, der fehlschlug. In der nun veröffentlichten Korrespondenz an den damaligen Besitzer wird Hofmann recht deutlich: „Die Tatsache, dass das Bild aus jüdischem Besitz stammt und dass seine Besitzerin in den Gaskammern umgekommen ist, scheidet für den rechtlich und moralisch Denkenden die Möglichkeit aus, das Bild zu veräußern oder dem Vermögen der Familie einzugliedern.“ An eine Privatperson verkauft wurde es 1961 dennoch.
Am Verlauf der für den 24. April geplanten Auktion haben die neuen Erkenntnisse nichts geändert. Geeinigt hatte man sich vorab auf einen Restitutionsvergleich, bei dem der Erlös des Gemäldes zwischen der gegenwärtigen Eigentümerin und den Rechtsnachfolgern beider Zweige der Familie Lieser aufgeteilt wird. Eine Lösung, die womöglich dazu beitrug, dass das Bundesdenkmalamt die Ausfuhr des Gemäldes bewilligt hat. Nun wurde es an für den unteren Schätzpreis von 30 Millionen Euro an einen Bieter im vollen Saal bei Im Kinsky zugeschlagen. Das ist der höchste Auktionspreis, der je im deutschsprachigen Raum erzielt wurde.