Ausstellungen

Reine Experimente!

Mit „Wolke & Kristall“ feiert die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen den Erwerb der Sammlung Dorothee und Konrad Fischer. Die Ausstellung ist zugleich eine späte Würdigung des progressiven Galeristenpaars aus Düsseldorf

Von Tim Ackermann
31.10.2016

Mit leicht verschwommenen Konturen tritt die junge Familie aus dem Schwarz des Hintergrunds. Den Gesichtern der Eltern, Konrad und Dorothee, meint man ein leises, selbstsicheres und entspanntes Lächeln abzulesen. Die Augen des Sohnes Kasper strahlen den Betrachter in unschuldigstem Blau an. Gerhard Richter leistet 1971 bei seinem Bild „Familie Fischer“ ganze Arbeit. Es ist ein so ruhiges wie optimistisch in die Zukunft blickendes Gemälde, das die Hoffnung des aufstrebenden Galeristenpaars wiedergibt. Wenn man sich dennoch eine leichte Kritik erlauben darf, dann die, dass sich Richter ganz auf die Kernfamilie Fischer konzentriert. Es fehlen die Künstler: Carl Andre, Sol LeWitt, Bruce Nauman, Gilbert & George, Bernd & Hilla Becher. Man kann dem Maler seine Fokussierung allerdings nicht verübeln. Hätte er die gesamte „Fischer-Familie“ gemalt – die Gesichter hätten sich im Hintergrund gedrängelt wie auf Peter Blakes berühmtem Albumcover zur Beatles-Platte
„Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“.

Bei Konrad Fischer wurde die Kunst schnell persönlich. Als Bruce Nauman 1968 Violinentöne, Schritte und das Geräusch aufprallender Bälle auf Tonband aufnahm, schuf er die „Six Sound Problems“, denen er gleich den Titelzusatz „for Konrad Fischer“ hinzufügte. Und nicht nur der Land-Art-Künstler Richard Long schrieb Widmungen: ein Kreis Schieferbrocken „for Konrad“, eine Fotocollage „for Dorothee“. Mag eine frühe Titelzuschreibung noch damit begründet sein, dass ein Werk speziell für den Düsseldorfer Galerieraum entstand, so wurden die Widmungen bald Zeugnisse aufrichtiger Wertschätzung. Kunstproduktion und Freundschaft – das war bei Fischer nicht zu trennen, und passenderweise stand auf den Einladungen Zeit seines Lebens ja auch immer: Ausstellungen „bei Konrad Fischer“, niemals „in der Galerie Konrad Fischer“.

 

Ab 1967 gab es bei ihm Dinge zu sehen, die man in Europa noch nie ­gesehen hatte. Wer sich über die neuesten Entwicklungen von Minimal Art, Konzeptkunst oder Land-Art informieren wollte, notierte sich die Galerieadresse. Innerhalb von zwei Jahren feierten hier die schon erwähnten Amerikaner Carl Andre, Sol LeWitt, Bruce Nauman sowie Lawrence Weiner und Robert Smithson ihre Europa-Debüts. Anderen Künstlern wie Hanne Darboven, Fred Sandback oder ­Richard Long widmete Fischer überhaupt als erster Einzelausstellungen. Fischer war jedoch nicht nur Kunsthändler, er war auch Leiter der westdeutschen Kommunikationszentrale und – man darf der Legende glauben – Herbergsvater für die Künstler aus Übersee. Seine Dachkammer bot temporäre Behausung für die New Yorker ­Andre und Weiner, den Kalifornier Nauman oder Jan Dibbets aus London. So hielt Fischer die Fäden in den Händen und knüpfte seine Galerie ins Zentrum des Netzwerks. 

Die Ausstellung mit dem Titel „Wolke & Kristall“, die jetzt in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf Werke von 25 Künstlern der weiteren „Fischer-Familie“ präsentiert, kann als späte Würdigung eines verdienten Sohnes der Stadt und seiner nicht minder einflussreichen Ehefrau verstanden werden. Die Schau symbolisiert aber noch viel mehr, ist sie doch Ausdruck der Freude über einen gelungenen Coup: den Erwerb der Sammlung Dorothee und Konrad Fischer – die man sogar nur für die Hälfte des Gesamtschätzwert bekam – sowie die Schenkung des Archivs der Galerie. Über 200 Werke gehen aus dem Nachlass des Galeristenpaars dauerhaft in den Sammlungsbestand des Museums über und werden aus diesem Anlass präsentiert. Umfangreiche Landesgelder, die Unterstützung mehrerer Stiftungen wie der Kulturstiftung der Länder oder der Kunststiftung NRW sowie private Förderer machten den Ankauf möglich. Die 2015 verstorbene Dorothee Fischer hatte den Deal selbst ausgehandelt. „Meiner Mutter war zum Ende ihres Lebens wichtig, dass die Sammlung in Düsseldorf ihren Weg ins Museum findet“, erzählt die Tochter Berta Fischer. Für die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ist das ein Glücksfall, kann sie doch so in ihrem Bestand eine Lücke schließen. Die klaffte ­immerhin seit dem Gründungsjahr 1961, als mit Werner Schmalenbach ein Direktor die Leitung übernahm, der gern das Scheckbuch für Meisterwerke von Picasso und Jackson ­Pollock zückte, nicht aber für Violinentöne oder Schieferkreise.

Dabei muss man sich die frühen Sechzigerjahre in Düsseldorf als Aufbruchszeit vorstellen: Der Galerist Alfred Schmela hat mit seinen Zero-Künstlern schon die Altstadt zum Beben gebracht, und um die Ecke, in der Kunstakademie, sorgt Joseph Beuys ab 1963 mit Fluxus-Aktionen für Aufsehen. In dieser Umgebung erfindet sich der junge Konrad Fischer neu. Eigentlich ist er ja Maler – wenn auch einer mit offensichtlichem Talent zur Rauminszenierung: Unter dem Namen Konrad Lueg hat der 1939 geborene Düsseldorfer mit seinem Freund Gerhard Richter bereits die amüsante Abendveranstaltung „Leben mit Pop – eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus“ in einem Möbelhaus organisiert. Alfred Schmela macht Fischer deshalb 1967 ein Angebot: Er soll eine Dependance seiner Galerie für junge Künstler führen. Zwar zieht Schmela wenig später seine Offerte zurück, aber die Idee ist geboren: ­Fischer wird Galerist. Seine Frau Dorothee, geboren 1937 in Wuppertal, hat er an der Kunstakademie kennengelernt und 1964 geheiratet. Sie sichert mit ihrem Gehalt als Lehramtsreferendarin das Unternehmen ab.

Auch der richtige Ort ist schnell gefunden: die Toreinfahrt in der Neubrückstraße 12. Das Künstler-Lokal Creamcheese ist direkt ­nebenan, Schmelas Galerie auch nicht weit. Fischer lässt die Enden der Einfahrt mit Fenstern verschließen. So entsteht ein schlauchartiger Raum, drei Meter breit, elf Meter lang. 

„Ich habe große Dinge vor“, schreibt Fischer im Juli 1967 an Kasper König. Der Freund lebt in New York und soll Künstler auftreiben. Die Wahl fällt auf Carl Andre. Dessen Kunstwerke zu transportieren ist teuer, also wird der Bildhauer selbst ins Flugzeug gesetzt. König erinnert sich später, dass er Andres Flugticket bezahlt habe, da Fischer kein Geld gehabt habe, um den Künstler einzuladen. Als dieser nun in Düsseldorf Fischers Galerie sieht, wirft er alle Pläne über den Haufen. Spontan entwickelt er das Werk „5 x 20 Altstadt Rectangle“ – eine Struktur von fünf mal zwanzig Stahlplatten, industriell gewalzt und wie Fliesen Kante an Kante ausgelegt. Das Werk füllt fast den gesamten Boden der Galerie, die Wände bleiben leer. Am 21. Oktober 1967 eröffnet die erste Ausstellung bei Konrad Fischer. Das Publikum spaziert über den Fliesenfußboden und erkennt die Kunst nicht. Der perfekte Einstand für eine Avantgardegalerie.

Die nächste Ausstellung kombiniert Hanne Darbovens strenge „Konstruktionen“-Zeichnungen – König hat die Künstlerin in New York entdeckt – mit Vierkantrohren aus Wellpappe von Charlotte Posenenske, die Fischer von einer Ausstellung in Frankfurt kennt. Bei der dritten Schau im Januar 1968 stehen Sol LeWitts Kubusskulpturen an der Schnittstelle zwischen Minimal und Conceptual Art wie Rätsel im Raum. Im selben Jahr ­drapiert Jan Dibbets Holzbündel und eine Wasserpfütze auf dem Boden. Richard Long legt Parallellinien aus 1318 Holzstöckchen aus. 1969 malt Robert Ryman Quadrate aus Glasfaser auf die Wand. 1970 treten ­Gilbert & George als „Living Sculptures“ auf.

Der Maler Konrad Lueg war der amerikanischen Pop-Art hinterhergelaufen. Der Galerist Konrad Fischer beschreitet ganz neue Wege. „Hauptanliegen jener Zeit war es, sich möglichst weit vom traditionellen Bild zu entfernen“, erzählt Jan Dibbets in Brigitte Kölles Interviewband „Okey dokey Konrad Fischer“. Und im selben Buch bringt Bruce Nauman die besondere Atmosphäre der Düsseldorfer Galerie auf den Punkt: „Konrad war sehr offen gegenüber allen möglichen Arbeiten. Man hatte nicht das Gefühl, genau dieses oder jenes machen zu müssen. Und ich glaube, durch den Raum der Galerie entstanden viele interessante Arbeiten. Es mussten Werke hergestellt werden, die in diesen merkwürdigen Raum passten.“ 

An den Laborcharakter der ersten Galerie erinnert nun die Ausstellung in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen auch mit ihrer Architektur: Der Parcours im Erdgeschoss umfasst neun Räume mit den Maßen drei mal elf Meter, den Dimensionen der Toreinfahrt. Einige dieser Kabinette zeigen Einzelwerke, die das frühere Ausstellungserlebnis in der Galerie wieder erfahrbar machen. Man lauscht Naumans Klangproblemen und bemüht sich, nicht auf Longs Holzstöckchen zu treten. Doch auch intimere Arbeiten, Zeichnungen, Entwurfskonzepte oder Archivmaterialien finden hier ihren Platz. Im Obergeschoss messen sich dann Longs steinerner »Circle for Konrad« (1997), Sol LeWitts Kubusraster „Modular Wall Structure“ (1967/2005) oder Bodenarbeiten von Carl Andre mit den Malerhelden der amerikanischen Nachkriegsmoderne – Pollock, Rauschenberg, Stella, Warhol. Vereint wird „Steppdecke oder ­Tropenregen“ (1966) des Malers Konrad Lueg mit den Gemälden seiner Freunde Gerhard ­Richter und Blinky Palermo. (Richters »Familie ­Fischer« ist allerdings nur im Katalog ab­gebildet. Das Bild war nicht Teil des Sammlungserwerbs.)

Beim Rundgang durch die Ausstellung fällt schon auf, wie gut die Fischer-Künstler ihr Recht gegenüber den Lockrufen der farben­prächtigen Malerei behaupten. Das ist bei einer derart ephemeren Kunst erst einmal verblüffend. Ja, man fragt sich, wie es überhaupt gelingen konnte, den wirtschaftlichen Erfolg einer Galerie auf der Basis von Ideen, Gedanken, Konzepten aufzubauen. Der Zeitgeist hat sicher eine Rolle gespielt, aber vor allem auch Fischers Auge für bildnerische Qualität und seine oft beschriebene Haltung: das Beharren auf größtmöglicher Authentizität. „Alle Künstler haben seine Meinung sehr geschätzt, dabei waren zwei Worte von ihm schon viel wert! Er hat nie über Kunst theoretisiert“, sagt Berta Fischer. Bis zum Tod des Vaters 1996 habe ihre Mutter eher im Hintergrund gewirkt, dort über das Programm mitentschieden und mit geordneten finanziellen Strukturen das Vertrauen bei den Künstlern verstärkt.

Dem umtriebigen Konrad Fischer gelang es schnell, seinen Künstlern Einzelausstellungen in Museen zu besorgen sowie mit ihnen 1972 weite Teile der Sektionen „Idee“ und „Idee + Licht“ auf Harald Szeemanns Documenta zu bestücken. Das Kaufinteresse von Sammlern stellte sich bald ein. Zum Authentizitätsdogma gehörte allerdings auch, dass Verkaufsgespräche nachrangige Priorität hatten. „Einmal hat mein Vater bei einer Messe einfach nur die Telefonnummer der Galerie auf den Tisch gelegt“, erzählt Berta Fischer. „Die Kunst war beiden immer das Erste – dass sie gut war!“ Nachdem Dorothee Fischer die Galerie 19 Jahre lang allein geführt und Künstlerinnen wie Paloma Varga Weisz oder Rita McBride ins Programm aufgenommen hatte, ging die Leitung mit ihrem Tod im vergangenen Jahr an die Tochter, die sich selbst schon einen Namen als Künstlerin erarbeitet hat (Sohn Kasper ist Wissenschaftler). Zum Gallery Weekend in diesem Frühjahr zeigte die Konrad Fischer Galerie in der Berliner Dependance eine vielbeachtete Schau mit der jungen Bildhauerin Alice Channer, ansonsten stellt Berta Fischer eher langsame Programmentwicklungen in Aussicht.

Zukunft und Gegenwart der Konrad ­Fischer Galerie sind also gesichert und die Vergangenheit allemal, denn Marion Ackermann hat als scheidende Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen nicht nur dafür gesorgt, dass das Archiv der Galerie digitalisiert wird – ein Raum im Museumshaus K21 ist auch künftig für Ausstellungen des Archivs reserviert. Hängeverpflichtungen waren dabei nicht einmal Gegenstand des Kaufvertrags. Die Spitzenstücke der Fischer-Sammlung dürften ohnehin regelmäßig im Bestand des Museumsbaus K20 zu sehen sein. Als Lieblingswerk nennt Ackermann die titelgebende Arbeit „Wolke & Kristall / Blei Leib Leid Lied“, die Carl Andre 1996 direkt nach dem Tod von Konrad Fischer schuf und seinem Freund und Galeristen widmete. Graue Bleiklötze verteilen sich auf dem Boden. In einer Ecke verdichten sie sich zum Quadrat, ansonsten bilden sie einen flüchtigen, schemenhaften Skulpturenkörper. Man blickt darauf und meint, den Geist von Konrad und Dorothee Fischer in die Welt aufbrechen zu sehen.

Service

Abbildung ganz oben:

Die „Familie Fischer (295)“ mit Konrad, Dorothee und Sohn Kasper, porträtiert 1971 von Gerhard Richter (Foto: Gerhard Richter 2016 (11102016))

Ausstellung:

„Wolke und Kristall“, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, bis 8. Januar 2017

Dieser Beitrag erschien in:

WELTKUNST Nr. 122/2016

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