Ausstellungen

Die Kunst und das Meer

Mit seiner beeindruckenden Sammlung und ambitionierten Ausstellungen ist das Museum Kunst der Westküste auf Föhr zum Geheimtipp geworden 

Von Matthias Ehlert
04.11.2016

Die Nordseeinsel Föhr steht oft im Schatten ihrer Schwesterinsel Sylt. Gerecht ist das nicht, denn Föhr ist eine Schönheit, die sich nicht zu verstecken braucht. Kilometerlange Sandstrände, an denen man auch im Herbst noch wunderbare Wattwanderungen unternehmen kann, charmante Dörfer mit riedgedeckten Häusern und dazwischen sattgrüne Wiesen, auf denen glückliche Pferde, Kühe und Schafe weiden. Mit „friesischer Karibik“ wirbt diese erholsame Idylle für sich, die vom Weltnaturerbe des Schleswig-Holsteinischen Wattenmeers umspült wird.

Und in einer Hinsicht ist Föhr ganz klar Sylt überlegen. Die Insel bietet ihren Gästen – allein 40.000 kommen jeden Sommer – ein beneidenswert gutes Museum. Keine übliche Friesen-Heimatstube ist das, sondern ein aus mehreren Gebäuden bestehendes großzügiges Kunstareal mit einer beeindruckenden Sammlung und einem ambitionierten Ausstellungsprogramm. Museum Kunst der Westküste nennt sich dieses, im Jahr 2009 eröffnete kulturelle Kleinod in dem 400-Seelen-Dorf Alkersum. Es geht auf die private Initiative eines schwedischen Unternehmers zurück. Frederik Paulsen jun., der Chef des Pharmakonzerns Ferring, hat es gestiftet – in Gedenken an seinen Vater, den Firmengründer. Dessen familiäre Wurzeln liegen auf Föhr, er selbst floh 1935 vor den Nazis nach Schweden, bevor er im Alter nach Alkersum zurückkehrte.

Als Grundstock des Museums dient die rund 680 Werke umfassende Sammlung, die Frederik Paulsen jun. aufgebaut hat. Sie widmet sich den Themen Meer und Küste und erstreckt sich auf Künstler von Holland bis Norwegen aus der Zeit von 1830 bis 1930. Hochkaräter wie Max Liebermanns „Badende Knaben“ (1902), Peder Severin Krøyers „Die blaue Stunde in Skagen“ (1907) oder Max Beckmanns „Strandlandschaft bei beginnender Flut“ (1904) sind darunter. Die Mehrheit stellen skandinavische und deutsche Künstler (u.a. Anna Ancher, Johan Christian Dahl, Emil Nolde, Edvard Munch), aber auch die niederländische Malerei ist mit Andreas Schelfhout, Jozef Israëls und Hendrik Willem Mesdag gut vertreten. Viel Augenmerk legt die Sammlung auf die nordfriesische Malerei, deren wichtigsten Exponenten wie Otto Heinrich Engel und Hans Peter Feddersen in den vergangenen Jahren Einzelausstellungen gewidmet wurden. Natürlich sind nicht alle Werke zugleich zu sehen, aber in den zweimal jährlich wechselnden Sammlungsaustellungen lässt sich schön verfolgen, wie das Farben- und Lichtspiel des Meeres und die Vielfalt maritimer Motive jede Malergeneration aufs Neue inspirierten.

Nun könnte sich das Museum auf diesem Bilderschatz ausruhen und ihn immer wieder aufs Neue arrangieren. Doch der Ehrgeiz der Direktorin Prof. Ulrike Wolff-Thomsen und ihres Teams reicht weiter. Gezielt holen sie zeitgenössische Künstler nach Föhr und lassen sie in einen Dialog mit der Sammlung treten. Was für reiche Früchte das trägt, zeigen etwa die zwei aktuellen Ausstellungen „Jenseits der Zeit“ und „Über die Tiefe“ von Jochen Hein, der 2015 als Artist in Residence auf Föhr weilte. Der Hamburger Maler ist insofern ein Glücksfall, als er sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Meer und Wasser beschäftigt. Seine oft riesigen, in fotorealistischer Manier ausgeführten Panoramen suchen geradezu eine Überwältigung des Betrachters. Sie huldigen dem Zauber der Natur in reinster Oberflächlichkeit und erzielen dadurch ihre besondere Tiefe. Der magische Moment mit seinem Glitzern, Schäumen und den unwiederbringlichen Mustern ist bei Hein alles, er braucht keine metaphysische Grundierung. Malerei wird hier zum meditativen, Kopf und Seele durchlüftenden Akt und knüpft damit an Erfahrungen an, die so mancher Strandwanderer auf Föhr wohl selbst verspürt.

Service

Abbildung ganz oben:

Jochen Hein

Ausstellung

Jochen Hein, »Jenseits der Zeit«, »Über die Tiefe« , Museum Kunst der Westküste, bis 8. Januar 2017

Dieser Beitrag erschien in

WELTKUNST Nr. 120/2016

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