Er ließ die Antike auf der Leinwand lebendig werden: Die detailreichen Bilder von Lawrence Alma-Tadema begeisterten das Kunstpublikum im 19. Jahrhundert und inspirierten später auch das Hollywood-Kino. Die große Überblicksschau aus seiner Geburtsstadt Leeuwarden ist nun ins Untere Belvedere nach Wien gezogen
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30.12.2016
Die Sonne des Südens hat ihre Antlitze erröten lassen. Gleißendes Licht bringt die Farben der Blumen in ihrem Haar zum Leuchten und fängt sich in den Tuniken, die die schlanken Körper der drei jungen Römerinnen umspielen. Es waren Gemälde wie dieses, die John Ruskin dazu brachten, keine hohe Meinung von Lawrence Alma-Tadema zu entwickeln. Für ihn war er der „schlechteste Maler des 19. Jahrhunderts“.
Die große Mehrheit des Publikums in England sah das jedoch anders. Sie verehrten den Mann, der ihnen seine Visionen von der Antike detailgetreu frei Haus lieferte. Königin Victoria liebte seine Bilder. Die Londoner Gesellschaft riss sich um sie und zahlte exorbitante Preise. Jene, für die seine Gemälde unerschwinglich blieben, leisteten sich Radierungen davon, zu Abertausenden. Zeitschriften steigerten ihre Auflagen, in dem sie Reproduktionen seiner Motive druckten. Tatsächlich gab es um das Jahr 1885 in Großbritannien keinen Künstler, der mit seinen Bildern mehr Geld verdiente, außer vielleicht Edwin Landseer, der Tiermaler.
Sir Lawrence Alma-Tademas Vorname lautete ursprünglich Lourens. Er war Friese, geboren 1836 in Dronrijp und aufgewachsen in Leeuwarden, wo man ihm die erste Station seiner tourenden Retrospektive widmete, obwohl hier nur vier seiner insgesamt rund 350 Bilder entstanden. Eigene Bestände und Leihgaben von Museen und Privatsammlern hatten es den Kuratoren ermöglicht, im Fries Museum 95 eigenhändige Werke Alma-Tademas zusammenzutragen. Dazu kamen Arbeiten auf Papier, Möbel aus seinem Atelier, die er als Ausstattung für seine Malerei benutzte, sowie Gemälde von Malerinnen und Malern aus seinem Umkreis. Und vor allem eine Menge Filme.
In den vier Bildern, die Alma-Tadema in Leeuwarden gemalt hat, erkennt man ein großes Talent, aber sicher kein überragendes Genie. Eines ist ein Selbstporträt, es zeigt einen ernsten, entschlossenen 16-Jährigen. Ein anderes ist ein Bildnis seiner Mutter. Es ist so klein, dass es bequem in eine Reisetasche passt. Alma-Tadema trug es bei sich, als er sein Elternhaus verließ, um sich an der königlichen Akademie für schöne Künste in Antwerpen einzuschreiben.
Die folgenden fünfzehn Jahre hörte man kaum etwas von ihm. Einmal, 1864, erhielt er auf dem Salon in Paris eine Medaille. Damals hatte er sich, angeregt durch seinen Antwerpener Lehrer, den Historienmaler
Jan August Hendrik Leys, auf Szenen aus dem Alltag der Merowinger spezialisiert. Später verlegte er sich eine Weile auf die populäreren altägyptischen Motive. Aber der Durchbruch, der bald zu einem Triumphzug werden sollte, gelang Alma-Tadema erst mit der Übersiedlung nach England.
Womit er die Menschen faszinierte, war wohl genau das, was Ruskin an Alma-Tadema störte: akribisch recherchierte, in den Details fast pedantisch ausgeführte Gemälde mit antiken Themen. Das war mehr als nur eine Modeerscheinung. Alma-Tadema betrieb sozusagen Live-Berichterstattung von der Wiederentdeckung der griechisch-römischen Kultur in diesen Jahren. 1875 malt er zum Beispiel das Bild „Eine Audienz bei Agrippa“. Und im Zentrum der Komposition steht eine Statue, die erst zwölf Jahre zuvor bei Rom entdeckt worden war, der inzwischen weltberühmte Augustus von Prima Porta.
Dem Diener in „Ein römisch-britischer Träger (Hadrian in England)“ von 1884 malte er offene Ledersandalen, die noch bis aufs letzte Bändchen dem Original entsprechen. Alma-Tadema war Maler, er war als solcher aber auch Archäologe, der zu den Ausgrabungsstätten in Pompeji reiste, um die Forschungsergebnisse vor Ort zu studieren. Wenn bei ihm eine junge Frau in einer Villa Fische im Bassin füttert („Water Pets“, 1874), dann war das nicht nur hübsch anzusehen. Man durfte sicher sein, dass auch das Mosaik, worauf die Schöne ihr Kissen legte, exakt tatsächlichen Vorbildern glich.
In einer Zeit, in der die visuelle Kultur, ganz anders als heute, die Ausnahme war, schuf Lawrence Alma-Tadema Kino vor der Erfindung des Kinos. Er vermittelte den Betrachtern buchstäblich eine Vorstellung davon, wie das Leben vor 1800 Jahren ausgesehen haben könnte. Und sie dankten es ihm, auch später noch, als er schon lange tot war und seine Bilder von den meisten vergessen.
Das letzte seiner im übrigen durchgängig erstaunlich kleinformatigen Werke in der Ausstellung ist das Gemälde, das sich auf seiner Staffelei befand, als der Künstler starb, „Kleopatra im Isis-Tempel in Philae“. Nur drei Jahre danach malte Kasimir Malewitsch sein legendäres schwarzes Quadrat. Nach den Maßstäben des Avantgardeprinzips war Alma-Tadema also schon da komplett veraltet.
Doch seine Kunst lebte weiter, und zwar, wie um einen Kreis zu schließen, im echten Kino. Es waren seine Bilder, die die Blaupausen lieferten für die Ausstatter in Hollywood – von frühen Stummfilmen bis zu Ridley Scotts „Gladiator“ aus dem Jahr 2000.
„Lawrence Alma Tadema – Classical Charm“, bis 18. Juni 2017 im Museum Unteres Belvedere, Wien und von 7. Juli bis 29. Oktober 2017 im Leighton House Museum, London