Zwischen Honigsammlern und Hyänenbändigern: Der südafrikanische Fotograf Pieter Hugo zeigt uns einen Kontinent voller Extreme. Seine berührenden Aufnahmen sind jetzt im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen
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17.02.2017
Agbogbloshie ist das Ende. Wenn die letzte Nachricht ausgesandt, das Display zerkratzt, der Prozessor hoffnungslos veraltet ist – wenn also die von uns so innig geliebten Smartphones, Tablets und Laptops ihre natürliche Lebenszeit überschritten haben, dann treten sie eine lange Schiffsreise an, bis sie irgendwann im Hafen der ghanesischen Hauptstadt Accra anlegen. Sie werden in einen Lastwagen verladen, der sie in den Stadtteil Agbogbloshie bringt. Dort landen sie auf einer riesigen Müllkippe für Elektroschrott, einem höllischen Ort, der so verseucht ist, dass er von seinen Bewohner „Toxic City“ genannt wird.
Denn Menschen leben hier, in einfachsten Bretterverschlägen. Auf großen Feuern verbrennen sie die Plastikhüllen der weggeworfenen Elektrogeräte, um an die wertvollen Rohstoffe im Inneren zu kommen: an Eisen, Aluminium und Kupfer. Der Fotograf Pieter Hugo hat die Müllkippe 2009 besucht. Er nennt sie ein „dunkles, schmutziges Monument des digitalen Zeitalters“.
Hugos Porträts der Bewohner von Agbogbloshie gehören zu den eindrucksvollsten Exponaten seiner aktuellen Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg. Denn der südafrikanische Fotograf, Jahrgang 1976, präsentiert die Menschen ohne moralischen Fingerzeig.
Der unbekannte Arbeiter, der sich für einen Moment aus einer Vierergruppe herausgelöst hat, um für den Fotografen zu posieren, mag müde wirken. In seiner Körperhaltung ist er jedoch nicht weniger selbstbewusst als ein Schmied oder ein Arbeiter, den August Sander um 1930 porträtierte.
Ähnlich wie der deutsche Fotograf, der die „Menschen des 20. Jahrhunderts“ zu seinem Lebensprojekt machte, drängt sich Hugo seinen Protagonisten nicht auf, er lässt ihnen ihren Raum und damit ihre Würde. Dass manche der Arbeiter auf seinen Bilder mürrische schauen, habe damit zu tun, dass sie für die Dauer des Fotos Zeit und dadurch auch Geld verlieren, erklärt er.
Der Vergleich mit Sander bietet sich noch an mehreren Stellen in der Ausstellung an: Die Serie „The Hyena & Other Men“, über Schausteller, die mit Hyänen und Affen durch die Städte Nigerias ziehen, erinnert an Sanders „Bärentreiber im Westerwald“ (1929). Bilderzyklen, die absurd geschminkte Laienschauspieler in „Nollywood“-Trashfilmproduktionen oder Honigsammler im Dschungel vorstellen, lassen sich ebenfalls mit dem von Sander bekannten Impuls begreifen, ein möglichst vollständiges Bild der Gesellschaft in der Fotografie reproduzieren zu wollen.
Allerdings ist auch klar, dass sich Pieter Hugo immer wieder Themen sucht, die selbst auf einem Kontinent voller Extreme in den Randlagen zu finden sind. Manche Bilder, deren Exotik wir aus westlicher Perspektive nur allzu leicht erliegen, dürften auf ein afrikanisches Mittelschichtspublikum nicht weniger exotisch wirken.
Pieter Hugo, dessen Karriere in den frühen 2000er-Jahren als Auftragsfotograf für Magazine begann, hat sich in den vergangenen zehn Jahren immer stärker zum Künstler entwickelt. Der politisierte Blick und der Entschluss, sich mit Bildern einmischen wollen, sind geblieben – egal ob er in der Serie „Kin“ (2006-2013) ein Panorama der heutigen südafrikanischen Gesellschaft entstehen lässt oder im Zyklus „Californian Wildflowers“ auf die desolate Lage von Wohnungslosen in den USA aufmerksam macht.
Dabei gelingen ihm immer wieder einzelne besondere Aufnahmen, die auf singuläre Weise herausragen. Zum Beispiel in der großformatigen Aufnahme einer obdachlosen Frau in San Francisco, deren Überwurf aus geschupptem Plastik in der Sonne silbrig glänzt. Ihre Augen hat sie geschlossen und wirkt so ruhig und entrückt, als hätte sie ein Madonnenmaler des 15. Jahrhunderts erdacht.
Zudem führt die Wolfsburger Ausstellung vor Augen, wie mühelos Hugo in seinen Serien zwischen Porträt und Stillleben hin- und her wechselt. Dieser Ansatz erinnert an das Frühwerk von Wolfgang Tillmans, der interessanterweise gerade in der Tate Modern in London in einer großen Schau gezeigt wird.
Ein Unterschied ist allerdings offenkundig: Während Tillmans Fotografien im Betrachter stets ein unbestimmtes aber deutliches Gefühl der Hoffnung auslösen, wecken Hugos Aufnahmen eine ebenso diffuse Stimmung des Pessimismus und der Melancholie. Der Grund dafür ist schwierig zu ermitteln. Es wäre wohl nicht falsch, in den verschiedenen Zeiten und Gesellschaften danach zu suchen.
Pieter Hugo:
„GREEN POINT COMMON, CAPE TOWN“, aus der Serie „KIN”, 2006-2013 (Foto: Pieter Hugo, | Priska Pasquer, Köln)
„Pieter Hugo: Between the Devil and the Deep Blue Sea“, bis 23. Juli,
Kunstmuseum Wolfsburg
www.kunstmuseum-wolfsburg.de