Nicht nur in den berühmten Museumspalästen in Amsterdam und Den Haag gibt es Eindrucksvolles zu entdecken, auch Nordbrabant, Groningen oder Gelderland haben einiges zu bieten – Hollands Museen locken 2017 mit tollen Neuerwerbungen und grandiosen Ausstellungen
Von
01.03.2017
Täglich strömen Tausende ins Amsterdamer Rijksmuseum. Und es sind nicht nur die Touristen, die kommen. Das Museum ist der Stolz und die Nationalgalerie der Niederlande. Ausgestellt werden rund 8000 Exponate aus Kunst, Kunsthandwerk und Geschichte: Gemälde von Rembrandt, Vermeer und Avercamp, prachtvolle, mit Intarsien verzierte Prunkschränke und wertvolles Porzellan aus China. Hier kann man das Goldene Zeitalter des 17. Jahrhunderts und seine Auswirkung auf die folgenden Epochen in einer Fülle und Qualität erleben wie nirgends sonst. Besonders reizvoll: Die Sammlungen spiegeln das Leben jener geschäftstüchtigen und sittsamen Seefahrer und Kaufleute wider, die sich ihre Häuser an den Grachten bauen ließen, nur fünf Minuten zu Fuß von hier. Eines der beliebtesten Ausstellungsstücke ist ein Spielzeug: Petronella Oortmans Puppenhaus, ein maßstabsgetreu ausgestattetes Modell des Wohnhauses einer reichen Amsterdamer Familie um 1686. Im Philips-Flügel sind noch bis 21. Mai eine Schau zur gemeinsamen Geschichte der Niederlande und Südafrikas sowie ein Überblick über die Neuerwerbungen aus der Abteilung Fotografie zu sehen. Bis zum 21. September läuft die Ausstellung „Small Wonders“ mit Miniaturschnitzereien aus Kunst- und Kuriositätenkabinetten.
Von da sind es nur ein paar Schritte zum Van Gogh Museum. Der Entwurf des Gebäudes stammt von Gerrit Rietveld, die Erweiterung vom Japaner Kisho Kurokawa. Zu Lebzeiten blieb van Gogh Anerkennung versagt, heute schmücken sich die Museen der Welt mit seinen Gemälden. Doch keines besitzt eine so direkte Verbindung zu dem fraglos größten niederländischen Maler des 19. Jahrhunderts wie das in Amsterdam. Nach dem Tod des Künstlers 1890 sicherte dessen Bruder Theo den Nachlass. Theos Witwe Johanna vermachte die mehreren Hundert Gemälde und ebenso vielen Zeichnungen 1925 ihrem Sohn Vincent Willem. Aus der Stiftung, die Vincent Willem van Gogh gründete, entstand 1973 das Van Gogh Museum. Dessen Sonderausstellungen stehen 2017 ganz im Zeichen von Vincent van Goghs großer Sehnsuchtsstadt: Paris. Henri de Toulouse-Lautrec und die Plakatgestalter der französischen Avantgarde beleuchtet „Prints in Paris 1900 – From Elite to the Street“ ab Anfang März. Am 13. Oktober eröffnet dann die Ausstellung „The Dutch in Paris“, in der neben van Gogh Künstler wie Kees van Dongen, Piet Mondrian und etliche weitere Paris-Liebhaber vertreten sind.
Architektonisch interessant ist auch das Concertgebouw. Das Konzerthaus in Sichtweite des Van Gogh Museum wurde 1888, drei Jahre nach dem Rijksmuseum, eröffnet. Beim Bau orientierte sich sein Architekt Dolf van Gendt am Leipziger Gewandhaus. Mit durchschlagendem Erfolg: Die Akustik im großen und kleinen Saal gilt als eine der besten für klassische Musik weltweit. Damit steht das Concertgebouw in einer Reihe mit der Symphony Hall in Boston, dem Théâtre des Champs-Elysées in Paris, dem Großen Musikvereinssaal in Wien und der Philharmonie in Berlin.
Das verpflichtet: Auch das Concertgebouw-Orchester genießt bei Musikkennern höchste Wertschätzung. Den Grundstein hierfür legte der Dirigent Willem Mengelberg, der dem Orchester ungewöhnlich lange, nämlich von 1895 bis 1945 vorstand. Unter den Chefdirigenten waren später noch weltbekannte Künstler wie Bernard Haitink, Riccardo Chailly und Mariss Jansons. Im letzten Jahr hat Daniele Gatti die Orchesterleitung übernommen. Doch das bedeutet nicht, dass hier nicht auch Liebhaber anderer Musik-richtungen auf ihre Kosten kämen. Im Juli und August finden die „Robeco Summer- Nights“ statt, mit über 80 Konzerten, auch aus Pop und Jazz.
Die Fahrt von Amsterdam nach Groningen dauert mit dem Zug nur rund zwei Stunden. Doch dieser Abstecher in den Nordosten lohnt sich. Das Groninger Museum ist ein Universalmuseum und das wohl bedeutendste in den nördlichen Niederlanden. Ausgestellt werden wie im Rijksmuseum die Malerei des »goldenen« 17. Jahrhunderts sowie Artefakte und Zeugnisse von geschichtlicher Bedeutung. Beim Kunsthandwerk gibt es einen speziellen Schwerpunkt, das »Groninger Silber«. Dazu kommen noch Kunst und Design der Moderne bis in die Gegenwart.
Bis zum 30. April ist hier die Ausstellung „Rodin – Genius at Work“ zu sehen. Dabei handelt es sich um die umfangreichste Schau zum Schaffen des 1840 in Paris geborenen und 1917 in Meudon gestorbenen Künstlers, die je in den Niederlanden stattgefunden hat. Auguste Rodin holte nicht nur seine Skulpturen buchstäblich von ihren Sockeln. Mit den unruhigen, aufgebrochenen Oberflächen seiner Figuren stand er als Impressionist auch an der Schwelle zum Expressionismus – und hat damit Generationen von Bildhauern nach ihm beeinflusst. Rund 140 Plastiken aus Bronze, Gips und Marmor werden in der Ausstellung gezeigt, darunter sein berühmter „Denker“, der „Kuss“ und das großartige Standbild des Schriftstellers Honoré de Balzac.
Einer der größten Maler, die je gelebt haben, war zweifellos Johannes Vermeer. Die Atmosphäre, der zarte Schmelz des Lichtes, die Leuchtkraft der Farben – all das fasziniert die Betrachter seit Jahrhunderten. Und es ist für viele ein Grund, Den Haag zu besuchen, die nach Amsterdam bedeutendste Museumsstadt des Landes. An den Meisterwerken, die das Mauritshuis in Den Haag von ihm besitzt – am „Mädchen mit dem Perlenohrring“, der grandiosen „Ansicht von Delft“ und dem frühen Gemälde „Diana mit ihren Nymphen“ –, kann man sehen, dass die leuchtenden Farben auf seinen Bildern entstanden, indem er mit feinem Pinsel winzige Punkte kontrastierender Farbtöne nebeneinander auf die Leinwand setzte. Was dabei bis heute rätselhaft ist: Im 17. Jahrhundert waren die entsprechenden optischen Gesetze von den Komplementärkontrasten noch gar nicht entdeckt.
Das Mauritshuis hat mit Werken wie Rembrandts „Die Anatomie des Dr. Tulp“, Carel Fabritius’ „Der Distelfink“, dem „Porträt von Robert Cheseman“ von Hans Holbein d. J., mit Gemälden von Jan Steen, Paulus Potter, Frans Hals, Hendrick Avercamp und zahllosen anderen großen Meistern noch mehr zu bieten. Es ist ohne Frage eines der bedeutendsten europäischen Museen. Und sein Besuch ein Muss für jeden Kunstliebhaber und solche, die es werden wollen.
Die Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts findet man in Den Haag im Gemeentemuseum. Der 1935 fertiggestellte Bau des Architekten Hendrik Petrus Berlage ist ein Juwel des Art déco. 1964 eröffnete hier die erste Museumsausstellung mit amerikanischer Pop-Art in Europa. Von Malerei und Bildhauerei über Möbel, Kunsthandwerk und Design bis zu historischen und elektronischen Musikinstrumenten reichen die Bestände. Allein von Piet Mondrian besitzt das Museum über 300 Arbeiten aus allen Werkphasen. Ab dem 3. Juni zeigt es eine große Retrospektive, die sein Schaffen an den Lebensstationen Amsterdam, Paris, London und New York Revue passieren lässt.
Der De-Stijl-Bewegung, jenem Zusammenschluss von Künstlern, Designern und Architekten, den man sich in seiner Wirkung ähnlich prägend vorstellen muss wie das Bauhaus in Deutschland – nur radikaler, kreativer und fröhlicher, widmet das Gemeentemuseum zum 100-jährigen Jubiläum noch weitere Ausstellungen. Von Februar bis Mai geht es um die Frage, wer eigentlich die welt- berühmte Farbkombination aus Rot, Gelb und Blau erfunden hat: Piet Mondrian oder der wesentlich weniger bekannte Bart van der Leck? Und ab Juni werden Architektur- und Möbelentwürfe der De-Stijl-Künstler präsentiert, die ihren Einfluss auf den Rest der Welt bis zur Einrichtung in unseren Wohnzimmern von heute aufzeigen.
Nach all den Bewegungen und Schulen wird es Zeit, sich einem großen Einzelgänger zuzuwenden, für den in Den Haag auch ein Museum eingerichtet worden ist. Maurits Cornelis Escher, 1898 in Leeuwarden geboren, 1972 in Hilversum gestorben, kürzte seine Vornamen mit Initialen ab und wurde als M.C. Escher mit seinen Darstellungen von unendlich verschachtelten, perspektivisch quasi unmöglichen Räumen weltbekannt. Bei seinen Bilderfindungen ließ sich M.C. Escher von einer geometrischen Figur inspirieren, die ein Generationsgenosse des Künstlers – der britische Psychiater, Mathematiker und Schachtheoretiker Lionel Penrose – entwickelt hatte: das sogenannte Penrose-Dreieck (auf dieselbe Figur war unabhängig von Penrose auch der schwedische Künstler Oscar Reutersvärd gekommen, dessen Werke jedoch bis in die 1980er-Jahre unbekannt blieben).
Dabei handelte es sich um ein dreidimensionales Dreieck, dessen Außenseiten mit einem Mal innen zu liegen scheinen. M.C. Escher machte daraus sein Bild „Wasserfall“, bei dem das Wasser in zwei Richtungen fließt. Seine berühmteste Zeichnung hing als Poster in Studenten-WGs von San Francisco bis Berlin. „Treppauf Treppab“ stellt menschliche Gestalten in einer Fantasiearchitektur auf einer Treppe dar, welche gleichzeitig hinauf und hinab führt. Noch bis zum 14. Mai zeigt das Museum Escher in het Paleis die Schau „Escher, close up“ mit rund einhundert privaten Fotografien des Künstlers. Sie geben nicht nur Einblicke in seine Arbeitsweise, sondern dem Publikum die Möglichkeit, die Person Escher näher kennenzulernen.
Jesuitenkloster, Hauptquartier des Militärs, Amtssitz des Gouverneurs – das Gebäude, in dem heute das Het Noordbrabants Museum in ’s-Hertogenbosch untergebracht ist, hatte schon viele Aufgaben. Einen weiten Bogen spannen dort auch die Sammlungen mit u. a. Werken von Vincent van Gogh, Jan Brueghel, Jan Sluijters und Dutch Design (z.B. Studio Job). Bemerkenswert ist ein intimes Kabinett, das eine spektakuläre Silberkollektion aus Den Bosch (17., 18. Jh.) zeigt. Bis 14. Mai wird in einer Werkschau das Design-Duo Jos Kranen und Johannes Gille vorgestellt: eine Übersicht der Entwürfe, die sie als Prototypen oder in Serie produziert haben. Vor zehn Jahren landeten sie auf der Art Basel Miami Beach mit »A Forest Chair« einen Coup. Bei dem Stuhl waren Beine und Sitzfläche aus einfachem Holz, während die Lehne metallisch silbern glänzte. Und darauf waren wie bei einem Scherenschnitt märchenhafte Szenerien zu erkennen.
Design-Klassiker mit Ironie und Witz neu zu interpretieren wurde zum festen Bestandteil der Arbeit von Kranen und Gille – die nun zum zehnjährigen Jubiläum des „Forest Chair“ eine umfassende Würdigung erfahren. Zusätzlich öffnet das Het Noordbrabants Museum ab 24. Juni „Van Gogh unter der Lupe“. Anhand von Röntgen-Aufnahmen von fünf Gemälden aus der ständigen Sammlung des Museums wird untersucht, wie van Gogh seine Bilder malte. Und – da er vor allem zwischen den Jahren 1884 und 1888 Leinwände oft mehrmals verwendete – was die Bilder unter den Bildern waren.
In einer so reizenden Umgebung wie das Kröller-Müller Museum in seinem Park liegen wenige Kunstmuseen. Die Industrieerbin Helene Müller, eine Deutsche aus Horst bei Essen, und ihr niederländischer Mann Anton Kröller waren zwei der bedeutendsten Sammler der Kunst der Moderne. Sie zählten zu den ersten Käufern von Gemälden Vincent van Goghs. Nach ihnen ist das Rijksmuseum Kröller-Müller benannt, an dessen Entstehung in der Nähe der Ortschaft Otterlo nordwestlich von Arnheim sie maßgeblich beteiligt waren. 1935 kam die Sammlung Kröller-Müller als Schenkung an den niederländischen Staat, was half, sowohl die Sammlung als auch den großen Skulpturengarten des Museums zu erhalten.
Bis heute ist das Kröller-Müller Museum der klassischen Moderne in besonderem Maße verpflichtet. Es besitzt nicht nur die zweitgrößte Sammlung von Gemälden und Zeichnungen von Vincent van Gogh. Zu den Beständen gehören auch umfangreiche Konvolute an Arbeiten von De-Stijl-Künstlern wie Gerrit Rietveld, Piet Mondrian, Theo van Doesburg und Bart van der Leck. Den klassisch-modernen Schwerpunkt bezeugen die Ausstellungen am Haus. Unter dem Titel „Arp: The Poetry of Forms“ haben die Kuratorinnen und Kuratoren vom 20. Mai bis 24. September eine große Schau mit Werken Jean Arps organisiert. Es ist die erste Retrospektive zum Schaffen des Dadaisten und Bildhauers in den Niederlanden seit den 60ern – und ein guter Grund mehr, zu einer Kulturreise in unser Nachbarland aufzubrechen.
»Die Vorsteher der Tuchmacherzunft« (1662) ist eines der vielen Meisterwerke von Rembrandt van Rijn, die im Rijksmuseum ständig ausgestellt sind (Foto: Erik Smits)
WELTKUNST Sonderbeilage „Kunst in Holland“ / Frühjahr 2017