Max Liebermann war der erste deutsche Künstler, der Tennisspieler und Poloreiter auf die Leinwand brachte. Eine Ausstellung in seiner Villa am Wannsee widmet sich der Sicht des bedeutenden Impressionisten auf Bewegung und Sport – mit dabei sind Werke von Künstlerkollegen wie Edgar Degas, Gustave Caillebotte und Renée Sintenis aus internationalen Sammlungen
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20.03.2017
Als Papa Tennis lernte, reichte das Kleid Mamas bis zu den Fußknöcheln. Es bestand aus einem Glockenrock, einem Gürtel und einer Bluse, die einen hohen, engen Umlegekragen hatte als Zeichen einer Gesinnung, die bereits anfing, sich von den Fesseln zu befreien, die dem Weibe auferlegt sind. Denn auch Papa trug an seinem Tennishemd einen solchen Kragen, der ihn am Atmen hinderte. So erinnert sich Robert Musil in seinen Anmerkungen „über Sport“ an die Zeiten, in denen das Lawntennis, vor der Jahrhundertwende aus England auf den Kontinent geschwappt, als fashionabel galt. Sein „Mann ohne Eigenschaften“ spielt Tennis. Und Schnitzers „Fräulein Else“ auch. Bei Stefan Zweig, Maupassant und Marie von Ebner-Eschenbach, bei Lew Tolstoi und Marcel Proust genauso wie in den Jungmädchenbüchern von Else Ury gehört der Tennisplatz zu den Handlungsorten, an denen man über andere tratscht, Affären einfädelt, Liebesgeschichten beginnt.
Als „Verlobungszwinger“ haben ihn deshalb die „Lustigen Blätter“ glossiert. Der tennisbegeisterte Arzt Robert Hessen beklagte 1901 in den „Preußischen Jahrbüchern“ unter der Schlagzeile „Alkohol oder Sport?“, dass die Einrichtung von Tennisplätzen „sehr viel seltener sportliche als bloß gesellschaftliche Zwecke (verfolge), seit unter den Müttern heiratsfähiger Töchter die allerdings unbestreitbare Kunde umlief, dass in gewisser Beziehung Tennisplätze ausgiebiger selbst als Ballsäle seien“.
Wie Reiten und Polo galt Tennis damals als ein standesgemäßer Zeitvertreib der Oberschicht, en passant und meist ohne Ehrgeiz betrieben. So hat es Max Liebermann gesehen: „In meiner Jugend sind wir auch geritten, geschwommen und gerudert, aber nur zum Vergnügen. Jetzt ist das Ganze eine forcierte Angelegenheit“. Und so hat er es gemalt, wie die Liebermann-Villa am Wannsee nach der Kunsthalle in Bremen ausführlich und detailfreudig in ihrer Ausstellung „Max Liebermann – Vom Freizeitvergnügen zum modernen Sport vom 19. März bis zum 26. Juni 2017 ausbreiten wird. Was die „einfachen Leute“ trieben, Fußball, Ringen, Boxen, hat ihn – abgesehen von den Badenden im Meer – nicht interessiert. Mit einer Ausnahme, den Radierungen mit den beiden Boxern (die in Gustav Schiefers Werkverzeichnis von 1921 irrtümlich als Ringer bezeichnet werden), einmal während des tödlich endenden Kampfes, das andere Mal bei ihrer Beerdigung. Aber da ist er der Literatur, einer Anekdote in Kleists „Berliner Abendblättern“, verpflichtet.
Der Wirklichkeit nähert sich Liebermann – als Maler und im Alltag – durchaus mit Standesbewusstsein. Und mit Distanz zu jenen, die zu anderen, niederen Kreisen gerechnet werden. Das ist in seinen Bildern nicht zu übersehen. Sie beobachten, registrieren und schildern, wahren aber stets einen gewissen Abstand. In den Milieustudien genauso wie in den Porträts. „Es macht diesem Liebermann Spaß – dank witzigen Überredungskünsten und dank seiner künstlerischen Autorität – für einen Menschen- und Seelenfänger zu gelten. Aber man lasse sich nicht täuschen: In Wahrheit hat noch keiner an diesem Busen geruht,“ schrieb Julius Elias, der ihm seit gut drei Jahrzehnten verbunden war, 1918 in dem Cassirer’schen Privatdruck „Max Liebermann zu Haus“. Und der Kunstschriftsteller und Verleger Hans Wolff erinnerte sich an einen Besuch bei Liebermann, der seine Frau, weil sie statt des Dienstmädchens den Gästen den Tee eingoss, „jede Silbe scharf betonend“, zurechtwies: „Dazu ist Luise da!“ Worauf seine Frau das Eingießen unterbrach und ihm unwillig zurückgab: „Weißt du, Max, es war zwar eine Ehre, aber kein Vergnügen, mit dir verheiratet zu sein.“
Dass er sich zur Jahrhundertwende neuenThemen zuwandte, mag mit seiner Tochter zusammenhängen. Und mit Scheveningen, seit 1900 seinem neuen Sommeraufenthalt. Denn vor dem Hotel d’Orange, wo er zu wohnen pflegte, gab es seit 1899 einen Rasenplatz, auf dem Tennis gespielt wurde. Und seine Tochter Käthe, damals 15, nutzte eifrig die Gelegenheit. „Sie ist nicht allein zum Vergnügen auf der Welt, auch kann sie nicht den ganzen Tag Lawntennis spielen“, schrieb er deshalb mahnend an seine Frau. Ob Käthe Liebermann, die später Kurt Riezler, den Diplomaten und Verfasser umstrittener Tagebücher, heiratete, damals bereits dem Reiten huldigte, bleibt offen. Liebermann malte sie erst 1913 zu Pferde. Aber dass er in Scheveningen die Reiter als Motiv entdeckte, verrät ein Brief an Franz Servaes: „Was mich persönlich betrifft, so bin ich in eine neue – die wievielte weiß allein der liebe Gott und Rosenhagen – Periode getreten: in den drei Monaten, die ich jetzt in Holland war, habe ich mich wieder gehäutet, male Pferde und nackte Weiber (aber nicht auf Pferden).“ Zehn Reiterbilder malte er allein 1900. Und in den folgenden Jahren kamen mal mehr, mal weniger dazu.
Aber er war kein manischer Maler, der ein Thema und nur das eine Thema kultiviert. Er liebte die Variationen und den Wechsel. Das verrät ein Foto aus der „Woche“ von 1902. Es zeigt ihn in seinem Berliner Atelier vor der Staffelei mit der bereits gerahmten „Papageienallee“. Auf dem Boden steht die Ölstudie zum „Papageienmann“ und an der rechten Wand hängen unter anderem Ölskizzen zum „Rindermarkt in Leyden“, dem „Schulgang in Laren“ und „Spielende Kinder am Meeresstrand“. Angeschnitten – und ebenfalls gerahmt – erscheint links die zweite Fassung der „Tennisspieler“ von 1902. Sie ist, weil sie bis auf die Frau im Strandkorb am rechten Rand auf Zuschauer verzichtet, strenger als die erste Version von 1901 auf das Hauptmotiv der vier Spieler, zwei Männer und zwei Frauen konzentriert.
Liebermann war kein Gesellschaftsmaler wie John Lavery, der Brite, der mit seiner „Tennis Party“ aus dem Jahr 1885 das erste Tennisgemälde schuf. Ihm ging es auch nicht um Wettkampf und Wettstreit wie seinen Zeitgenossen Ferdinand Brüht und Ernst Oppler. Liebermann, darin durchaus Impressionist, wollte ein Stück Leben festhalten, die Bewegung und Atmosphäre. Eindruck und Ausdruck deckten sich für ihn. Deshalb werde seine Kunst, schrieb der Kunstkritiker Max Friedländer, „als Beispiel eines Schaffens von höherer Naivität, nämlich klug gehegter Naivität, vorbildlich bleiben. (Denn) Liebermann hat die deutsche Malerei von der Tyrannei des Stoffes, des Gegenstandes befreit, er hat sie vom Imitativen ebenso erlöst wie vom Zwang literarisch-kultureller Ideen, vom Einfluss der Poesie und der Philosophie, er hat die malerische Fantasie erneuert und damit einem neuen Stil der Malerei bei uns Grundlagen geschaffen.
Max Liebermann, „Pferderennen (in den Cascinen)“, 2. Fassung, 1909, Öl auf Holz, 52,5 x 74 cm, Kunstmuseum Winterthur, Geschenk von Georg Reinhart, 1924, (Foto: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Zürich, Jean-Pierre Kuhn)
„Max Liebermann und der Sport: Reiten, Tennis, Polo“, 19. März bis 26. Juni 2017, Liebermann-Villa am Wannsee, Berlin
Die Ausstellung wurde in Kooperation mit der Kunsthalle Bremen erarbeitet, wo sie unter dem Titel „Max Liebermann – Vom Freizeitvergnügen zum modernen Sport“ vom 22.10.2016 bis zum 26.2.2017 zu sehen ist.