Ausstellungen

Katharina Sieverding in der Bundeskunsthalle

Röntgenaufnahmen menschlicher Schädel in Großaufnahme? Hochaufgelöste Sonnen, die in einem abgedunkelten Raum glühend auf den winzigen Betrachter zurasen? Das Ich als gigantische Projektionsfläche? Schon die monumentale Architektur gleich am Eingang lässt keinen Zweifel dran, dass auch Frauen die große Geste zu schätzen wissen. 

Von Alexandra Wach
10.05.2017

Nicht nur Andreas Gursky oder Georg Baselitz favorisieren das Riesenformat. Auch die 72-jährige Düsseldorferin Katharina Sieverding hat in ihrem fünf Jahrzehnte umspannenden Werk immer wieder auf die Aura des Unausweichlichen gesetzt. Liegt es an den neun Meter hohen Wänden, den nicht weniger ausufernden Fotoinstallationen oder dem großspurigen Ausstellungstitel „Kunst und Kapital“, dass den Besuchern wie von selbst Respekt eingeflößt wird? Maximal überwältigt durchschreiten sie den Tempel einer Königin, an deren hypnotisierendem Antlitz kein Weg vorbei führt.

Der Blick der Künstlerin auf die Untiefen der deutschen Geschichte

Schon die ersten Schritte enden vor einem Altar der Selbstbefragung. 1973 porträtierte sich Sieverding selbstbewusst in Serie. „Die Sonne um Mitternacht schauen“ nennt sie die Parade ihres im Goldstaub fiebrig leuchtenden Gesichts. Es strahlt in tausend Tonlagen und bleibt doch unnahbar und maskenhaft. In der 16-teiligen Arbeit „Stauffenberg-Block“ verfolgte sie bereits vier Jahre früher eine ähnliche Strategie. Sie reproduzierte und vergrößerte eigene Passfotos, färbte sie feuerrot und schaute mit leisem Entsetzen in den Augen zurück auf die Untiefen der deutschen Geschichte – in einer Zeit, als der 1944 hingerichtete Hitler-Attentäter Claus von Stauffenberg nicht wenigen Deutschen noch immer als Verräter galt. Diese Verbindung aus Widerstand und Privatheit stieß bei den damaligen Rezipienten auf erhebliche Ablehnung.

Die Beuys-Meisterschülerin im Passautomat

Für die zeitgleich entstandene Serie „Maton“ begab sich die Beuys-Meisterschülerin, deren erster Zyklus „Eigenbewegung“ die studentischen Umtriebe an der Düsseldorfer Kunstakademie dokumentierte, in das Innere eines Passautomaten. Das Ergebnis der Sessions sind Bildtafeln, auf denen sie mal als lachendes Party-Girl, mal als selbstbewusster Vamp posiert, sich in wechselnden Rollenbildern, Stimmungen und Identitäten spiegelt. Mit einer Nabelschau hat diese Ego-Manie nichts zu tun. Vielmehr ist sie als eine nach vorne strebende Agenda der Selbstbehauptung in einem männlich dominierten Kunstbetrieb zu verstehen.

Absage an die weibliche Schublade

Man darf nicht vergessen, dass Sieverdings Absage, sich in die weibliche Schublade der ewigen Künstlermuse stecken zu lassen, zur Zeit der Entstehung dieser Inszenierungen als Provokation gelten musste. Ähnlich wie das Oszillieren zwischen den Geschlechtern in den mit Selbstauslöser entstandenen Serien „Motorkamera“ und „Transformer“. An der Seite des Künstlers und Lebenspartners Klaus Mettig nahm Sieverding die Position der androgynen Frontfrau ein, während ihr feminin gestyltes Gegenüber schüchtern hinter ihrem Rücken Schutz suchte. Das Paar hatte sichtlich Vergnügen an der Irritation – und entsprach damit dem Zeitgeist der erste Hälfte der Siebzigerjahre, der im Glam-Rock eines David Bowie und der munter intergeschlechtlichen „Rocky Horror Picture Show“ seinen Niederschlag fand. 

Sieverding ist eine glänzende Wahl

Angesichts dieser früh – auch von Männern – betriebenen Dominanzdemontage mutet es erstaunlich an, dass der Einzug von Künstlerinnen in die Bundeskunsthalle noch Jahrzehnte auf sich warten ließ. Sieverding erweist sich nun, nach Hanne Darboven und Pina Bausch, als glänzende Wahl für eine Solo-Rückschau, hat sie doch schon immer die Reflexion der eigenen Position mit Diskursfestigkeit und der Bereitschaft zur gesellschaftlichen Stellungnahme mühelos kombiniert. Kuratorin Susanne Kleine gewichtet diese Werkstränge mehr als gekonnt. Bereits in der U-Bahn-Station Heussallee (Abb.) und dann im Museumsentree begegnet man einem aus dem Rahmen fallenden Plakat: Eine von Wurfmessern umrandete Frau verschwimmt hinter dem Schriftzug „Deutschland wird deutscher“. Die Arbeit von 1993 verfehlt auch heute nicht ihre Wirkung – und das liegt nicht an den in Vitrinen gesammelten Protestschreiben, die diese gegen den Rechtsradikalismus gerichtete Aktion einst auslöste.

Motive aus dem kollektiven Gedächtnis

Politik manifestiert sich bei Sieverding bis heute am liebsten in Bildfolgen, die zur Kontemplation über den Zustand der Welt einladen. Die Motive findet sie in unserem kollektiven Gedächtnis, mögen es brisante Titelblätter des Magazins Der Spiegel sein oder die scheinbar wertfrei geschichteten Aufnahmen der Amazon-Logistikzentrale in Phoenix, Arizona, des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un, eines Flüchtlingslagers und eines russischen Jagdbombers, der für den Einsatz gegen syrische Rebellen bestimmt ist. So lässt sich die komplexe Gegenwart – wenn schon nicht begreifen – immerhin mit scharfem Blick nach den Schlüsselproblemzonen sortieren.

Zeitreise durch die Bilderflut

Ganz am Ende des Parcours lädt ein mit einer Sitzbank ausgestatteter Tunnel-Raum zur ultimativen Bilderflut ein. Mediales Multitasking kann hier nicht schaden, möchte man die Audio-Spur der Großprojektion „China-America“ nicht verpassen. Die Mühe, die propagandistischen Selbstdarstellungen der Regime unter Nixon und Mao zu studieren und zeitgleich das Ohr freizuhalten, lohnt sich. Denn der Mitschnitt eines Verhörs von Bertolt Brecht vor dem „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ entführt in eine Epoche, als der gerade gewonnene Weltkrieg die USA in eine paranoide Angstspirale gegen „kommunistische Infiltration“ stolpern ließ. Wie eine Zeitreise muten auch die links platzierten „Testcuts“ von 1966 bis 2010 an. Der partygetränkte Fokus auf rheinländische und Berliner Kunstakteure, von Sigmar Polke über Gabriele Henkel bis zu Klaus Biesenbach und Julia Stoschek, macht süchtig. Dieses Privatarchiv scheut keine Nostalgie. Und bleibt doch auch ambivalent genug, um nach den Machtstrukturen hinter den Machern zu fragen. 

Service

Ausstellung

„Katharina Sieverding. Kunst und Kapital. Werke von 1967 bis 2017“, Bundeskunsthalle, Bonn

bis 16. Juli, Katalog 32 €

Dieser Beitrag erschien in

KUNST UND AUKTIONEN Nr. 8/2017

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