Ausstellungen

Otto Freundlich: Kein Affe Michelangelos sein!

Die kritiklose Nachahmung einer kritiklosen Natur lehnte er ab. Sein Ansatz war ein „Kosmischer Kommunismus“. Unter diesem Titel zeigt das Kunstmuseum Basel seit 10. Juni die Ausstellung zu Otto Freundlich, die zuvor im Museum Ludwig in Köln zu sehen war.

Von Peter Dittmar
03.05.2017

Er verstand sich als politischer Künstler. Als Avantgardist. Nicht der Künste, sondern der gesellschaftlichen Veränderungen, der Erziehung eines „neuen Menschen“ verpflichtet, dem Besitz nichts, Gleichheit alles bedeutet. Seine Kunst sollte helfen, den Weg in eine bessere Zukunft zu finden. „Ich lebe nicht für mein Privatleben, sondern kämpfe für die Befreiung der Menschen und Dinge von den Gewohnheiten des Besitzes und gegen alles sie Begrenzende, was ihrer wahren Natur nicht entspricht“, bekannte er in einem Brief. Das war 1927. Da lagen bereits vielerlei Enttäuschungen hinter ihm – und das größte, tödliche Unrecht stand ihm noch bevor. Denn Otto Freundlich, 1878 im pommerschen Stolp in einer assimilierten jüdischen Familie geboren, in Berlin, München, Paris, Chartres, Köln, wiederum Berlin und ab 1924 in Paris zu Hause, wurde nach der Flucht in die Pyrenäen 1943 verraten, verhaftet und in Sobibor ermordet.

„Kosmischer Kommunismus“ – eine ambivalente Charakterisierung

Im Februar 1918, im Vorfeld der Bemühungen um die Gründung der „Novembergruppe“, die eine „sozialistische Republik“ und das „Entstehen einer einheitlichen Kunstepoche für unsere Zeit“ anstrebte, hatte er geschrieben: „Ich bin der Ansicht, dass die Grundlagen der jungen Kunst auf dem Gefühl eines kosmischen Kommunismus ruhen, von dem der wirtschaftliche Kommunismus ein notwendiger, wenn auch untergeordneter Teil ist.“ Deshalb wählte das Museum Ludwig in Köln für seine Otto-Freundlich-Retrospektive den Nebentitel „Kosmischer Kommunismus“. Das ist allerdings eine höchst ambivalente Charakterisierung. Denn in seinen Werken, fast durchgängig nur „Komposition“  genannt, spiegeln sich die politischen Intentionen allenfalls in einigen wenigen Titeln wie „Mein Himmel ist rot“, „Hommage an die farbigen Völker“, „Aufschwung“, „Aufstieg“, „Die Geburt des Menschen“. Und als er – wie 1918 bei dem „Volksblatt zum Kommunistischen Manifest“ für Pfemferts Aktion – fünf zum Himmel aufblickende Figuren in Linol schnitt, war er meilenweit von dem entfernt, was einmal „Sozialistischer Realismus“ genannt werden sollte. Selbst mit der sozial engagierten Kunst seiner Zeitgenossen von Steinlen über Kollwitz, Masereel bis zu Nückel verbindet ihn nichts. In der Druckgrafik, meist für die Aktion, herrschen geschwungene Linien, sphärische Formen mit Andeutungen von Körpern und Köpfen vor, die aus anthroposophischem Geist entstanden sein könnten. Da hat vielleicht der Austausch mit der Pianistin und Anthroposophin Friedja Schugt-Maus 1916 in Köln Spuren hinterlassen.

Seine Plastiken variieren – von starker Vereinfachung bis zur weitgehenden Abstraktion – vorwiegend das Thema „Kopf“. Erst die Skulpturen aus den Dreißigerjahren verzichten auf Anklänge an Gegenständliches. Sie alle sind nur als Gipse überliefert, die posthum in Bronze gegossen wurden. Teils sind sie auch nur durch Fotos dokumentiert – etwa der „Große Kopf“, der – wohl bewusst verfälschend – als „Der neue Mensch“ auf dem Umschlag des Ausstellungsführers Entartete Kunst erschien und deshalb zum bekanntesten Werk von Freundlich wurde. Dazu kommt seit 2010 – ein Zufallsfund beim U-Bahn-Bau im Berliner Bombenschutt – ein schwarz glasierter, unvollständig erhaltener Kopf aus Terrakotta, die einzige bekannte keramische Arbeit von Freundlich.

Als universell ließ er nur die abstrakte Kunst gelten

Beherrscht wird die Ausstellung von den Gemälden, bei denen Freundlich Farbflächen ohne Konturen gegeneinander setzte. Denn „die Natur war kritiklos, und wer sie nachahmte, war selbst kritiklos.“ Für ihn verband sich die gegenständliche Kunst mit bürgerlichem Idealismus und Besitzdenken. Als universell ließ er nur die abstrakte Kunst gelten. Sein Credo war der Verzicht auf Illusion, Dreidimensionalität und die Nachahmung des Gegenstandes. „Ich habe mich als Künstler auch von den großen Namen der Kunstgeschichte frei gemacht, da ich es nicht für verdienstlich hielt, zeitlebens ein Affe Michelangelos zu sein,“ schrieb er 1921 unter der Überschrift „Die schöpferische Macht des Kommunismus.“ Allerdings war er sich der Diskrepanz zwischen seiner politischen Überzeugung und seiner Malerei bewusst. „Was wir gedacht und geschaffen haben, ist ohne Wert für den gegenwärtigen Kampf“, heißt es in seinen Bekenntnissen eines revolutionären Malers von 1935, „trotzdem ist es nicht wertlos. Aber es fehlt die mithelfende Kraft der Menschen, der Genossen. Warum sollten sie nicht bereit sein, das Schwierige zu verstehen, wenn sie wissen, daß es für sie geschaffen und gedacht wurde?“

Hier klingt die Überzeugung an, zu den Wissenden zu gehören, die als „Erzieher und Vorläufer der neuen kommunistischen Gesellschaft“ berufen sind, „von Etappe zu Etappe unter Einsatz ihres Lebens die neue Gesellschaft des Menschentums zu verwirklichen.“ Und die deshalb verpflichtet seien, den – angeblich durch den „wissenschaftlichen Sozialismus“ determinierten – Willen des Kollektivs als ein dem Individuum übergeordnetes Prinzip durchzusetzen. Es ist jene Gedankenwelt, die auch die russische Avantgarde nach dem Roten Oktober beherrschte, wonach sie ausersehen sei, ästhetisch zu vollenden, was die Partei politisch vorbereitet hatte. Freundlich war dabei von jener Unduldsamkeit getrieben, die Wolfgang Harich als „revolutionäre Ungeduld“ charakterisierte. Die Funktionäre der Partei nannte Freundlich „Parteidrohnen“, die „in ihren Parteikinderschuhen schon Parvenüs sind“. Der „Novembergruppe“, dem „Arbeitsrat für Kunst“ wie dem „Deutschen Werkbund“, die er alle 1918 mitgegründet hatte, warf er ein Jahr später, als er mit Aplomb seinen Austritt publik machte, „kollektives Auftreten von Erbärmlichkeiten“ vor, denn „diese drei Institute gleichen einander wie Drillinge, gezeugt in dem Bette der Bürokratie, getauft mit dem Wasser der bürgerlichen Kirche, durchtränkt von dem Geiste des Snobismus, des Strebertums und der ganzen merkantilen Infektion“. Dass ihm das eher Feinde als Freunde eintrug, war er sich bewusst. Aber: „Ich fürchte mich vor dem Zerbrochenwerden nicht, denn ich zerbreche mich selbst dauernd“. 

Zu den umgänglichen Zeitgenossen gehörte Freundlich wohl kaum, obwohl er in Deutschland wie in Frankreich stets Kontakte zu den avantgardistischen Künstlergruppen hatte: zu „Dada“ in Berlin, den „Progressiven“ in Köln, „abstraction-création“ und „Cercle et Carré“ in Paris. „Er lebte in Paris weitgehend isoliert – sein schwerblütiges pommersches Naturell ließ ihn sich fast mit jedem Kollegen überwerfen – ständig in schwerster wirtschaftlicher Not“, notierte sein Biograf Joachim Heusinger von Waldegg. Und in einem Brief an Hannah Höch bekannte er 1932: „Im allgemeinen bin ich etwas allseitig verkracht, so halb und halb, und man ist wohl nicht ganz zufrieden mit mir. So lebe ich ziemlich oder fast völlig zurückgezogen.“ Ungeachtet dessen verfasste 1938, angeregt von Alfred Döblin und Max Ernst, eine große Gruppe von Schriftstellern und Künstlern – darunter Arp, Delaunay, Gropius, Kandinsky, Picasso – zu Freundlichs 60. Geburtstag einen Spenden-Aufruf, um dem Musée du Jeu de Paume eines seiner Werke schenken zu können: die ein großes Mosaik vorbereitende Gouache „Hommage aux peuples aux coleur“ (Abb.). 

 

Kein Jahr später geriet Freundlich erneut unter die Räder des Krieges. Bereits 1914 hatte er, nachdem er gerade erst ein Atelier im Nordturm der Kathedrale von Chartres beziehen konnte, Frankreich als „feindlicher Ausländer“ verlassen müssen. Und 1939 wurde er, weil es ihm nicht gelungen war, die französische Staatsbürgerschaft zu erhalten, erneut interniert, zwar nach einem halben Jahr entlassen, jedoch unter Hausarrest gestellt. Weil es ihm auch nicht gelang, ein Visum für die USA zu erhalten, versteckte er sich schließlich in einem Pyrenäendorf, das zur unbesetzten Zone gehörte. Bis 1943, als er denunziert und den Deutschen ausgeliefert wurde.

Seine farbsatten Bilder wirken wie Meditationstafeln, offen für beliebige Interpretationen

Dieses Leben, von Anfechtungen und Anfeindungen wie von permanentem Geldmangel geprägt, sucht man vergeblich in dem Werk gespiegelt. Der Begriff des „Kosmischen Kommunismus“ in seiner Widersprüchlichkeit, weil dem vorgeblich weltimmanentem Realismus des Kommunismus ein idealistisches Weltbild zur Seite gestellt wird, hilft da nicht weiter. Seine farbsatten Bilder wirken eher wie Meditationstafeln, offen für beliebige Interpretationen. Die Bezüge zur Glasmalerei wie zum Mosaik, auf die sich Freundlich anfangs konzentrierte, sind dabei nicht zu verkennen. Das deuten in der Ausstellung auch die Zeichnungen an, mit denen er die Gemälde vorbereitete, indem er genau das Geflecht der Flächen festlegte und die Namen der Farben, die vorgesehen waren, eintrug. So sind zu dem Gemälde „Mon ciel est rouge“ drei Vorzeichnungen zu sehen. Ist auf der ersten am unteren Rand auch als Bildidee „Die prolet. Rev. marschiert“ notiert, wobei die rote Fläche im oberen Teil noch fahnenähnlich geschwungen erscheint, begnügen sich die folgenden Blätter mit Formskizzen und Farbbezeichnungen. Das Gemälde lebt dementsprechend von den verschieden abgetönten roten Rechtecken in der oberen Bildhälfte und den Abstufungen von Schwarz unten, getrennt durch blaue und weiße Felder. Das mag man als Fahnen interpretieren, weil es der Titel nahelegt. Offensichtlich ist es jedoch nicht.

Dieselben Prinzipien beherrschen die Bilder, die, unter Verzicht auf alle gegenständlichen Anspielungen und jegliche angedeutete Räumlichkeit, seit den späten Zwanzigerjahren entstanden. Sie kosten das Spiel und die Kontraste der Farben und Formen aus, sind dynamisch und zugleich dekorativ. Manche erinnern an die Arbeiten von Sonja und Robert Delaunay, mit denen Freundlich befreundet war. Andere an Morgner, Lhote, Gleizes, Helion und ähnliche Versuche, jenseits von Expressionismus, Kubismus und einer Abstraktion à la Kandinsky der Dreidimensionalität wie der Gegenständlichkeit zu entkommen. Freundlich hat jedoch eine eigene Sprache entwickelt, die man „Farbfeldmalerei“ nennen könnte, wäre der Begriff nicht von einer späteren Generation vereinnahmt worden.

Der Besucher aber wird gleichsam zur Schizophrenie verurteilt. Denn einerseits kann er sich den politischen Implikationen die unerbittlich den Lebensweg und die Rezeption der Werke von Otto Freundlich bedrängten und beschränkten, nicht entziehen. Andererseits sieht er sich Skulpturen, Gemälden und Zeichnungen gegenüber, die einen Kunstwillen jenseits bereits begangener, gar ausgetretener Pfade erkennen lassen. Wobei das vollendete Werk nichts mehr von dem Bemühen und der Mühe seines Entstehens preisgibt, sondern selbstbewusst als reines Kunstwerk auftritt: zeitbedingt und zugleich zeitlos. 

Service

Ausstellung

„Otto Freundlich – Kosmischer Kommunismus“
Museum Ludwig, bis 14. Mai
ab 10. Juni bis 10. September im Kunstmuseum Basel
Katalog 39 €

Dieser Beitrag erschien in

KUNST UND AUKTIONEN Nr. 6/2017

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