Ausstellungen

Paradies, später

In der Mitte des 19. Jahrhunderts beginnen die Maler, das Private als intimes Idyll zu entdecken. Der Garten wird zum Lieblingsmotiv und sorgt für eine neue Blütezeit der Naturdarstellung, die bis in die Moderne reicht.

Von Jan Maruhn
05.05.2017

„An meinem Garten arbeite ich kontinuierlich und mit Liebe, am nötigsten brauche ich Blumen, immer, immer. Mein Herz ist stets in Giverny.“ Nicht nur für Claude Monet, der hier von seinem Refugium schwärmt, war der Garten ein Sehnsuchtsmotiv. Als Ideal verklärt, steht er für die verlorene Einheit von Mensch und Natur, fern der Gefahren der Wälder und Steppen. Seine Schönheit hat etwas Überirdisches, es ist stets die Herrlichkeit des Paradiesgartens, nach der wir uns sehnen. Doch muss der Mensch selbst eingreifen, muss „arbeiten“, wie Monet bemerkt, um sein verschwundenes Paradies zurückzugewinnen.

 

Lorrain und Poussain prägten ein Sehnsuchtsbild von kultivierter Natur

Lange bevor die Menschen sich Gärten anlegten, die in erster Linie ihrem eigenen Wohlgefallen dienen sollten und nicht mehr Herrschaft, Macht und Kunstfeinheit re­präsentierten – so wie es die architektonischen Barockgärten und später dann die Landschaftsgärten mit ihren Bildnissen aus Natur noch taten –, erschufen im 17. Jahr­hundert zwei französische Maler in Rom tableauhafte Meisterwerke einer imaginierten Welt: Claude Lorrain und Nicolas Poussin­ komponierten in ihren pastoralen Landschaften die römische Campagna als ein Sehnsuchtsbild von kultivierter Natur,­ das Jahrhunderte nachwirken sollte. Und bald wollten auch sämtliche anderen Maler zurück in den verklärten Garten Eden.

Es sollte jedoch dauern, bis der Mensch sich sein Paradies zu schaffen traute. Erst im bürgerlichen Zeitalter des 19. Jahrhunderts entstanden private Gärten. Sie hatten einen ganz persönlichen Charakter, waren intim, frei und huldigten der Kontemplation. Keine Herrschaftsgeste wohnte ihnen inne, kein Absolutheitsanspruch verwirrte ihre Form. Nicht Gartenspezialisten wie André Le Nôtre oder Capability Brown entwarfen nunmehr die Anlagen, es waren häufig Künstler, die gemeinsam mit örtlichen Gärtnern und Architekten die Wege ins eigene private Arkadien skizzierten. 

 

Als die Gärten sich dem Maßstab bürgerlichen Lebens zuwandten, änderte sich alles 

Das vorherrschende Grün, dass den alten Gärten innewohnte und mit dessen Farbnuancen die berühmten Gartenarchitekten des 17. und 18. Jahrhunderts meisterhaft umzugehen verstanden, hatte Formen und Strukturen des Gartens vorgegeben. Nur wenige Farbtupfer blühender Blumen ergänzten dabei das Gesamtbild, sodass die Farbe im Garten zwar immer auch raumbildend war, aber keineswegs im Mittelpunkt stand. Als die Gärten nun kleiner wurden, als sie sich dem Maßstab bürgerlichen Lebens zuwandten, änderte sich alles: Die Anlagen verloren ihre Rolle als überwältigende Bühne für das Schauspiel der Besucher, stattdessen bestimmten die Bewohner als Nutzer des Gartens die Dimensionen. Der menschliche Körper, der auf dem Rasen die Sommersonne genoss, beeinflusste auch die Größenverhältnisse von Stauden und Büschen. Alles passte in seinen intimen Proportionen zueinander. Und der Garten blühte auf. Blumen, Sträucher, Bäume verbanden sich zu einer Komposition aus Farben und Sonnenlicht. So wurde der Garten schließlich auch für die Künstler interessant. 

Die barocken Gärten, die Landschaftsgärten haben in der Geschichte der Malerei kaum Spuren hinterlassen. Erst als sich im 19. Jahrhundert der Garten in ein privates Refugium verwandelte, wurde er zum beliebten Motiv. In Frankreich begannen Mitte des Jahrhunderts einige Maler in Bildern mitzuteilen, was in diesen Gärten geschah. Und nur über diesen Umweg konnte der Betrachter Zeuge werden von den Ereignissen und Vorkommnissen, den Geheimnissen und dem Verborgenem, das sich hinter hohen Hecken, Zäunen oder festen Mauern abspielte. 

 

Monet legte hielt die erstarrte Bewegung der Blumen fest

Claude Monet war der erste Künstler, der sich einen Garten anlegte, und er schloss auch den Reigen der Pariser auf dem Land mit seinem Seerosenidyll in Giverny, das er bis 1926 bewohnte. 1865 malte er mit seinem „Blumengarten in Sainte-Adresse“ ein programmatisches Bild. Monet suchte nicht die architektonische Struktur darzustellen, weder Wege noch Pavillons kreuzen den Blickweg des Betrachters, nur eine durch die Baumwipfel lugende Hausecke verweist auf den Garten als offenen, zu einem Wohnhaus gehörenden Außenraum. Ausschnitthaft, fast fotografisch, zielt das Augenmerk direkt auf eine opulente Blumenrabatte. Mit grobem Strich hält der Maler die erstarrte Bewegung der Pflanzen auf der Leinwand fest, und aus der Farbe entwickelt sich die Bildstruktur – grün der Rasen, weiß und rot die Blütenköpfe und blau der Himmel. Monet entwickelte hier modellhaft die Idee eines Gartenporträts, unspektakulär in seiner Anlage, doch umso wirkmächtiger durch seine Farben. So wird das impressionistische Gartenbild geboren. 

In Monets Garten, den er später in Argenteuil erwarb, nutzte sein Nachbar Renoir 1873 die Gunst der Stunde und porträtierte Monet vor Ort beim Malen. Aus einer leichten Obersicht komponiert Renoir hier seinen Kollegen mit der Staffelei vor einer üppigen Vegetation. Übermannshohe Blütentriebe lassen ihn im Vordergrund kleiner erscheinen, noch bedeutend zwar, aber dennoch der verschwenderischen Gesamtkomposition ausgeliefert. Manet, der ebenso wie Renoir nicht weit entfernt auf der anderen Seineseite seine Sommer verbrachte, kam häufig zu Besuch und revanchierte sich mit seinem Gemälde „Die Familie Monet in ihrem Garten in Argenteuil“ (1873): Frau und Kind des Malers sitzen auf einer weiten Wiese, während Monet selbst, fast unscheinbar im Schatten gärtnernd, die Szenerie begleitet. In strahlend weißem Kleid blickt uns Camille Monet direkt an, und auch der Sohn Jean sucht unseren Augenkontakt. 

Manets Augenmerk richtete sich auf den Rasen

Auch Manet entwickelt seine Gartendarstellung aus der Vorstellung eines nach außen abgeschlossenen Gartens – kein Blickwinkel eröffnet einen tieferen Raum oder eine Aussicht. Allerdings rückt der Künstler hier im Gegensatz zu Monet oder Renoir die roten Blütenkelche skizzenhaft in den Bildhintergrund. Manets Augenmerk richtet sich auf eine andere Struktur, die für den modernen Garten ebenfalls von zentraler Bedeutung werden sollte: den Rasen. In „Die Familie Monet in ihrem Garten in Argenteuil“ ruhen Mutter und Sohn entspannt auf dem Gras unter dem Baum, eine grün schattierte Fläche, die einen Großteil des Bildes einnimmt. Wie Farbfelder wirkten schon die großen Rasenflächen in den Landschaftsgärten Englands und Europas, die unbewusst die Monochromie der modernen Malerei vorwegnahmen. Nun kehren sie – ganz besonders bei Manet – in die Kunst zurück. 

Anfangs noch menschenleer, füllen sich die Gartenbilder in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend mit Personen. Ob Bewohner oder Gäste – oft sind es Frauen, die in ihren prächtigen Kleidern den Blumenfarbflecken große klare Flächen entgegensetzen. Traumverlorene Damen, die nicht gärtnern, weder säen noch ernten und stattdessen einfach da sind. Auch Gustave Caillebotte zeigt immer wieder Menschen in Gärten. Doch im Gegensatz zu den freien, in das Paradies zurückgekehrten und vor die Schönheit gestalteter Blumenanlagen geschickt platzierten Frauen bewegen sich Caillebottes Damen in klar definierten Außenräumen. Sie berühren die von ihnen bewohnten Gartenwelten, sie zupfen Blüten, laufen oder lesen. Caillebottes Bilder geben den Gärten ihren architektonische Rahmen zurück. Offener, mit hohem Himmel, sind sie andererseits begrenzt mit Mauern, Hauswänden und Zäunen, die den Garten als Teil eines architektonischen Gesamtgefüges zeigen.

Traumhaft hingegen und dabei verstörend luzide sucht John Singer Sargent sein Arkadien. In „Carnation, Lily, Lily, Rose“ (1885–1886) steht das junge Geschwisterpaar zwischen mannshohen lilienartigen Blumenstängeln mit fast kopfgroßen Blütenkelchen und wirkt dabei ganz in die Beschäftigung des Lampion­entzündens versunken, so konzentriert wie entspannt sind die Gesichter der Kinder. Sargents Kunstgriff ist überwältigend: Blume und Mensch sind gleich groß, die Pflanze ist nicht mehr Teil opulenter Blütenmeere, sondern stattdessen individualisiert und überirdisch, ein schützender Begleiter der Kinder in ihrem Gartenzauberreich.

Von den strahlend hellen, farbgetränkten Sommerfluchten führt ein Pfad zu den Bildern des französischen Postimpressionisten Pierre Bonnard, der den Garten wie kaum ein Zweiter zur malerischen Blüte brachte. Die saftvollen Blumen leuchten ebenso wie ihre Besitzer, und all das versammelt der Maler scheinbar mühelos auf der Leinwand. Essend, trinkend, lesend und gärtnernd nehmen meist junge Frauen ihren Garten in Besitz, mit dem sie eins zu werden scheinen, indem sie die Farbstimmungen ihrer Umwelt in sich aufnehmen. 

Das Genre der Gartenbilder bietet Anfang des 20. Jahrhunderts noch einmal eine ungeahnte Vielfältigkeit, um dann nach und nach zu verschwinden. Während der Maler Max Liebermann sein Privatreich am Wannsee als wiedererkennbaren, von Alfred Lichtwark wundervoll gestalteten Lebensraum zeigt und die Gäste und Bewohner als kleine Farbpunkte in den Weiten des Seegrundstücks mit Blumen, Büschen und Pflanzen verwachsen lässt, monumentalisiert der amerikanische Maler Frederick Carl Frieseke die weibliche Figur im Garten: Groß, selbstbewusst und extravagant, mal nackt, mal angezogen beherrschen seine Frauen den Bildraum. Der Garten umgibt sie und bietet den Rahmen für ihre Schönheit. Kleider mit Zebramuster oder weiße Gewänder schaffen ein Spannungsverhältnis zu den streifenhaften Blumenstängeln oder der strahlenden Pracht bunt blühender Pflanzen. Bei Frieseke wird der eigene Garten zur lebenden Bühne für die Anmut der weiblichen Körper.

Rasen, Sonnenlicht und Architektur, Raum und die menschliche Schönheit – all das, was Gartenbilder als lebbare Utopie so lange ausgezeichnet hatte, entschwindet zum Ende hin mehr und mehr aus diesem Bildtypus. Drei Maler finden den Weg zum absoluten Garten: Alles Erzählerische wird verbannt, kein Tor führt mehr in diese Paradiese, und keines mehr heraus. Klimt, Monet und Nolde erschaffen einen Garten, der nur für sich selbst existiert. Es sind Strukturen, die diese Maler in Blumen und Büschen sehen wollen und finden. In jeder Blüte von Gustav Klimts Bauerngarten von 1905–1907 steckt das Wahrhaftige seiner mikroskopisierten Gartenvorstellung. In jeder Seerose auf Claude Monets Monumentalbildern aus Giverny liegt das Versprechen eines alles umfassenden Weltengartens. Und jede Nuance eines heftig roten Mohnblütenblatts von Emil Nolde bezeugt die Gewissheit, dass ein Gartenbild nicht allein die Schönheit des Gartens feiert, sondern ebenso sehr die Könnerschaft seines Malers.

Service

Abbildung ganz oben

Pierre-Auguste Renoir, „Claude Monet Painting in his Garden at Argenteuil“, 1873, Öl/ Lwd.,, Wadsworth Atheneum Museum of Art, Bequest of Anne Parrish Titzell, 1957.614

Dieser Beitrag erschien in

WELTKUNST Nr. 127/2017

Ausstellungen

Jardins
bis 24. Juli
Grand Palais, Paris

Impressionismus.Die Kunst der Landschaft
bis 28. Mai
Museum Barberini, Potsdam

150 Jahre Emil Nolde 
bis 30. November
Nolde Stiftung Seebüll

Monet
bis 28. Mai
Fondation Beyeler, Riehen

Die Gartenbilder
Dauerausstellung
Liebermann-Villa, Berlin

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