Verlängert bis zum 1. November: Zum 500. Reformationsjubiläum bringt eine fulminante Schau in Wittenberg Martin Luther und die zeitgenössische Kunst zusammen. Der Blick auf den Kirchenmann wird zum Kaleidoskop der Gegenwart
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07.08.2017
Als Walter Smerling, Vorsitzender der Bonner Stiftung für Kunst und Kultur, gefragt wurde, ob er nicht eine Ausstellung zum Luther-Jahr auf die Beine stellen wolle, konnte er damit zunächst nur wenig anfangen. Was hatte er, ein Mann der zeitgenössischen Kunst, mit dem Kirchenreformator zu tun? Doch dann überlegte er, was ihn bewegt an Luther. »Er war«, so Smerling, » ein Avantgardist. Ein Vorreiter, der die Welt verändert hat.« Und das Thema war gefunden: die Anknüpfungspunkte zwischen Luthers weltverändernder Kraft und den Fragestellungen heutiger Künstler.
Die Schau findet vor allem in Wittenberg statt, dem Hauptort von Luthers Leben und Wirken, kleinere Ableger gibt es in Berlin und Kassel. Die Kleinstadt in Sachsen-Anhalt bereitet sich seit Jahren auf das 500. Reformationsjubiläum vor. Die Wittenberger Schlosskirche, wo Luther (angeblich) seine 95 Thesen anschlagen ließ, wurde ebenso saniert wie Cranachs wegweisender Reformationsaltar in der Stadtkirche St. Marien oder Luthers großes Wohnhaus, wo er mit Frau und Kindern lebte und seine Schüler unterrichtete. Doch in dieser Stadt gibt es kein Kunstmuseum. Wo sollte Smerling seine Künstler präsentieren? Die Wahl fiel auf ein wilhelminisches Gebäude, das ehemalige Gefängnis, das heute leer steht. Für die Ausstellung wurde es insoweit instand gesetzt, dass es dem erwarteten Besucherandrang standhält und den Anforderungen der 66 internationalen Künstler gerecht wird, die Zellen, Flure, Kellerräume und ehemaligen Wärterzimmer mit ihren Werken zu neuem, ungewohntem Leben zu erwecken.
Während sich einige Künstler wie Günther Uecker oder Ai Weiwei, der seine eigenen Hafterfahrungen 2011 in China reflektiert, in ihren Arbeiten vor allem von den Zellenräumen inspirieren ließen, reizte andere die historische Figur Martin Luther. Mit seiner Arbeit, die im Wittenberger Stadtraum platziert ist, will Markus Lüpertz ihm ein »Denkmal setzen«, den Reformator vom historischen Kontext zugunsten einer mythologischen, rein künstlerischen Betrachtung lösen. Die Berlinerin Ulrike Kuschel nähert sich Luther in einem der Wärterräume hingegen von der Rezeptionsgeschichte her. Aus Cranachs bekanntem Luther-Porträt hat sie im Siebdruckverfahren eine Fünferserie erstellt, das dazugehörige Gewand schuf sie jeweils im Kalligrammstil aus handgeschriebenem Text, entnommen historischen Reden zu Luther aus dem Deutschen Reich, der DDR und der BRD.
Neben explizit politischen Arbeiten, etwa von Julian Rosefeldt (»Asylum«) oder der Medienkünstlerin Luise Schröder, die zu Frauenfiguren im Geschichtsbild Wittenbergs recherchiert hat, bleibt eine Skulptur von Stephan Balkenhol im Gedächtnis hängen. Er hat für seine Zelle aus Zedernholz einen nackten Menschen geschaffen, klein in Relation zu dem umgebenden Raum, aufrecht und schutzlos. Steht hier ein Mensch vor Gott? Oder steht er dort allein im Angesicht des Todes? Ein singuläres, berührendes Werk, mit dem am Ende auch Religion und Spiritualität in dieser Ausstellung zu ihrem Recht kommen.
„Luther und die Avantgarde“ in Wittenberg, Berlin und Kassel
bis 17. September
verlängert bis 1. November