Ausstellungen

Menschliche Moderne: Charles und Ray Eames

Viele kennen die Möbel des amerikanische Powerpaars. Doch Charles und Ray Eames, die zu den wichtigsten Designern des 20. Jahrhunderts zählen, schufen auch Filme und Multimedia-Installationen. Vier parallele Ausstellungen in Weil am Rhein feiern nun ihr Werk

Von Matthias Ehlert
29.09.2017

Am Weihnachtsabend 1949 machten sich Charles und Ray Eames selbst das schönste Geschenk. Sie feierten den Einzug in ihr Haus in Pacific Palisades, einem über dem Ozean liegenden Viertel im Westen von Los Angeles. Der Bau hatte das Designerpaar, das mit seinen Möbelentwürfen noch auf den endgültigen Durchbruch wartete, viele Jahre beschäftigt und an die Grenzen seiner finanziellen Möglichkeiten gebracht. „Wir mussten alles verpfänden“, erinnerte sich Charles später. Doch das Risiko zahlte sich aus: Als Case Study House Nr. 8 oder, populärer, Eames House sollte der Bau in die Architekturgeschichte eingehen.
Das Haus war Teil des „Case Study House“-Programms der Zeitschrift Arts & Architecture, des Sprachrohrs der Moderne an der amerikanischen Westküste. Mit dem Programm sollten Architekten ermutigt werden, Häuser zu entwerfen, die ganz auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten waren. Deren Zeichnungen, Modelle und Fotos veröffentlichte dann das Magazin. Auch das Eames House wurde publiziert und machte schnell Furore. Selbst die großen Illustrierten schickten ihre Reporter vorbei, um das ausgesprochen fotogene Haus vorzustellen.

Unverwechselbarer Look

Der Grund dafür liegt heute auf der Hand: Charles und Ray Eames war das Kunststück gelungen, erstmals die Prinzipien der Moderne mit einer persönlichen, menschlichen Note zu verbinden. Die Kälte und Nüchternheit der Stahl- und Glaskonstruktion milderten sie mit einer Collage aus bunten Fassaden-Paneelen ab, die an Mondrian denken ließ. Umstehende Eukalyptusbäume spiegelten sich in den großen Fensterfronten und erzeugten schöne Licht- und Schatteneffekte. Bruchlos setzte sich im Innern die Verschmelzung von Leichtigkeit und Überschwang fort. Die Räume wirkten offen und transparent, aber nie karg und asketisch, sondern sehr wohnlich mit einem Hang zu Krimskrams. Sie spielten mit Farben und Mustern, verschiedenste Objekte wie Steine, Seesterne, Armleuchter, Souvenirs, Masken und Pflanzen wurden in überraschenden Kombinationen präsentiert. So entstand ein unverwechselbarer Look, der dank der ikonischen Fotografien von Julius Shulman bald die westliche Welt begeisterte.
Dieser neue amerikanische Lifestyle war das Resultat einer ungewöhnlichen Liebes- und Arbeitsbeziehung, in der sich beide Seiten hervorragend ergänzten. Charles, der sich früh als Architekt selbstständig gemacht hatte, war der geniale Techniker und Tüftler. Ray, die Malerei in New York studiert und sich mit abstrakter Kunst beschäftigte hatte, brachte ein enormes Gespür für Farben und Formen mit. Ihre schicksalhafte Begegnung fand 1940 an der Cranbrook Academy in Michigan statt, wo der in erster Ehe verheiratete Charles als Dozent lehrte und Ray sich als Gasthörerin eingeschrieben hatte.

Ein Wettbewerb des Museum of Modern Art (MoMA) in New York mit dem Ziel, „gute Designer zu entdecken und sie dafür zu gewinnen, ein besseres Umfeld für modernes Wohnen zu schaffen“, markiert den Beginn ihrer Zusammenarbeit. Mit seinem Freund Eero Saarinen wollte Charles mehrere Möbelentwürfe einreichen, Ray half den beiden bei den Zeichnungen, Gipsmodellen und Fotos. Das junge Team aus Cranbrook war erfolgreich: Für ihre Stühle, die aus formgepresstem Sperrholz hergestellt werden sollten und sich durch komplexe Rundungen auszeichneten, gewann es 1941 den ersten Preis des Wettbewerbs.
Verbunden damit war die Teilnahme an der Ausstellung „Organic Design in Home Furnishings“ im MoMA sowie die Produktion einer Kleinserie, die sich jedoch als tückischer erwies als gedacht. Vor allem die visionäre Sitzschale, die Sitz und Rücken organisch vereinen sollte, war mit den herkömmlichen Verfahren der Holzverformung kaum praktikabel zu realisieren – das Holz splitterte in der Herstellung. Dennoch war dieser Wettbewerb so etwas wie die Geburtsstunde der legendären Eames Chairs, die aber noch viele Metamorphosen durchlaufen mussten, bevor sie erfolgreich wurden.
Während Eero Saarinen sich bald aus dem Projekt zurückzog, gaben Charles und Ray, die inzwischen ein Paar geworden waren, nicht so schnell auf. 1941 heirateten die beiden und zogen nach Los Angeles, um dort ihre Versuche mit formgepresstem Holz fortzusetzen. Im Schlafzimmer ihres kleinen Apartments richteten sie sich eine Werkstatt ein. Charles konstruierte eigens einen Apparat, mit dem Holzschichten unter Hitzeeinwirkung verleimt werden konnten und nannte ihn „Kazam!-Maschine“. Eine Phase von Versuch und Irrtum begann, die sich über Jahre hinzog. Der Eintritt Amerikas in den Zweiten Weltkrieg bescherte dem Paar dann unverhofft den ersten Großauftrag. Die US-Marine zeigte sich angetan von einer Beinschiene aus verformten Sperrholz, die dem menschlichen Körper nachempfunden war, und orderte gleich 150.000 Stück, um Verwundete zu versorgen. Charles entwarf noch weitere kriegstaugliche Prototypen, etwa für eine Bahre oder die konische Nase eines Gleitflugzeugs, die allerdings nie in Produktion gingen. Ray unterstützte ihn bei seinen Forschungen und begann nebenher, Titelseiten für die Zeitschrift Arts & Architecture zu entwerfen, die oft auf Zeichnungen und Collagen von Charles zurückgriffen.

Durchbruch mit dem Lounge Chair

Unterdessen setzten die beiden ihre Möbelexperimente beharrlich fort. Ihr Ziel war es dabei nicht, einen skulpturalen Stuhl zu entwerfen, der nur in Künstler- oder Designerkreisen Beifall findet. Vielmehr wollten sie ein Sitzmöbel schaffen, dass den Menschen optimal stützt, technisch komplett durchdacht ist und dank massenhafter Herstellung eher besser als schlechter wird. Originalität war für sie kein Selbstzweck, ihr Anspruch lautete: „Das Beste für viele zum geringsten Preis“. Das schloss Freude an der Schönheit unbedingt mit ein, schließlich sollte ein Stuhl, laut Charles, „immer gut aussehen, egal, ob von oben oder unten betrachtet“. Im Dezember 1945 war es dann so weit. Auf einer Messe im Hotel Barclay in New York präsentierten die Eames mit dem Lounge Chair Wood (LCW) sowie drei abgewandelten Entwürfen eine Gruppe von organisch geschwungenen Stühlen aus Sperrholz, die von der Fachwelt enthusiastisch aufgenommen wurden. Ein Designkritiker nannte sie nur wenige Jahre später die „wichtigste je in diesem Land entwickelte Möbelgruppe“, 1999 adelte das Time Magazine den LCW zum Design des Jahrhunderts.
Dank der Veranstaltung im Hotel Barclay und einer anschließenden Einzelausstellung im MoMA kamen die Eames in Kontakt mit der etablierten Möbelfirma Herman Miller.­ Das Unternehmen übernahm zunächst den Vertrieb, später auch die Herstellung ihrer Entwürfe. Es zeigte sich gegenüber fortschrittlichen Entwicklungen sehr aufgeschlossen und hielt den beiden die Treue, selbst als ihre ersten Möbel sich nicht gerade als Verkaufsschlager erwiesen.
Mit diesem starken Partner im Rücken erreichten Charles und Ray Eames die nächsten Meilensteine ihrer Karriere: 1949 konstruierten sie erstmals einen Stuhl aus glasfaserverstärktem Kunststoff, kurz Fiberglas, der über eine körpergerecht geformte Sitzschale verfügte. Seine Variante ohne Armlehnen, die ab 1953 produziert wurde, erwies sich als ausgesprochen alltagstauglich und zog schon bald in Schulen und Universitäten ein. Mit dem Lounge Chair mit Ottoman, einer eleganten und leichten Alternative zum schweren Polstersessel, gelang ihnen im Jahr 1956 einer ihrer bekanntesten und kommerziell erfolgreichsten Entwürfe. Das luxuriöse Entspannungsmöbel wurde schnell zum Statussymbol und wird bis heute ununterbrochen hergestellt. Daneben schufen sie kompakte und kostengünstige Schranksysteme, setzten das bei Einkaufswagen erprobte Drahtgitter auch bei Stühlen ein und ebneten dem Leichtmetall Aluminium den Weg in die Möbel­industrie. Die meisten der Eames-Entwürfe zeichneten sich dabei durch großen Variantenreichtum aus – über die Wahl unter­schiedlicher Untergestelle, Holzarten, Farben oder Oberflächen konnten sie problemlos dem individuellen Geschmack angepasst werden.

Kalifornischer Erfindergeist

All das war von Charles und Ray natürlich nicht allein zu bewerkstelligen. Die beiden hatten inzwischen ein Designbüro am Washington Boulevard in Venice, L.A. gegründet, in dem sie talentierte Mitarbeiter um sich scharten. Auf Fotos oder in Berichten von Zeitgenossen erscheint das Eames Office wie ein Vorläufer der heutigen Start-up-Kultur. Die Atmosphäre wirkt ungezwungen und spielerisch, geprägt vom optimistischen Erfindergeist Kaliforniens. Nicht cool und clean geht es hier zu, sondern chaotisch wie auf einem Filmset. Am wichtigsten, so die Botschaft der Bilder, ist die Offenheit für neue Ideen – in Design, Produktion und Business. Wie viel hartnäckige und sorgfältige Arbeit dahintersteckt, verraten sie nicht.
Parallel zu ihren Möbelexperimenten hatten die Eames schon früh damit begonnen, die Möglichkeiten der visuellen Kommunikation zu nutzen. Sie konzipierten Räume für Ausstellungen ihrer Entwürfe, die auf aufregende Weise neu aussahen. Ihr Trick war es, überraschende Verbindungen mit anderen, scheinbar disparaten Objekten zu knüpfen, aus denen sich ein lebendiges optisches Zusammenspiel ergab. Bei der Ausstellung „Good Design“ 1950 in Chicago vereinte ihre Installation im Eingangsbereich etwa moderne Möbel mit einem Gemälde von Kandinsky, einer Madonnenskulptur aus dem 13. Jahrhundert und einem riesigen Wandbild, das sich aus Vergrößerungen und Details historischer Beispiele für gutes Design zusammensetzte.

Neben Ausstellungen faszinierte sie zunehmend das Medium Film zur Vermittlung ihrer Ideen. Charles war seit früher Jugend ein begeisterter Fotograf und hatte eine Zeit lang in der Filmindustrie gearbeitet, um seine Möbelexperimente zu finanzieren. Er war mit Billy Wilder befreundet, für den er nicht nur ein Haus entwarf (das allerdings nicht gebaut wurde), sondern auch eine Dokumentation über dessen Dreharbeiten anfertigte. Dem konventionellen Stil Hollywoods fühlte er sich allerdings nicht verpflichtet. Die mehr als 100 Kurzfilme, die er ab 1951 zusammen mit seiner Frau Ray drehte, waren avantgardistische Erkundungen an der Schnittstelle von Technik, Wissenschaft und Ästhetik.
Statt Personen stehen in diesen Filmen Objekte im Mittelpunkt – über Asphalt fließendes Seifenwasser, Spielzeugsoldaten, Puppen, Masken – , die auf kindlich-spielerische Weise erkundet und bewundert werden. In ihrem Spielzeugfilm „Tops“, einer siebenminütigen Studie von 1967, werden etwa Kreisel in ihrer ganzen Vielfalt präsentiert, die sich dann immer mehr abstrahiert zum eigentlich dahinterstehenden physikalischen Prinzip. Die starke Beschäftigung mit Spielzeugen in diesen Filmen ist dabei kein Zufall. Für Charles und Ray Eames war das Spiel und das Vergnügen daran ein Grundprinzip des kreativen Prozesses. Sie selbst entwarfen im Laufe ihrer Karriere nicht nur phantastische Kindermöbel, sondern auch legendäre Spiele wie „The Toy“, ein Baukastensystem aus Stäben und bunten Flächen, oder das „House of Cards“, das dazu animiert, große Kartenhäuser zu errichten.
Neben den „Spielzeugfilmen“ traten in den späteren Jahren immer mehr die „Ideenfilme“ und Multimediainstallationen in den Vordergrund. Wie lässt sich unser explodierendes Wissen auf zeitgemäße Weise darstellen? Auf diese grundlegende Frage der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten die Eames eine radikale Antwort: durch „Informationsüberladung“. Anfang der 1950er-Jahre begannen sie eine Vortragstechnik zu entwickeln, die auf dem Mehrfachbild basierte, das heißt auf drei oder mehr Leinwänden wurden simultan Dias abgespielt, ergänzt durch Livekommentare, Tonbandaufnahmen, Filmausschnitte sowie mitunter sogar durch Rohre eingeleitete Gerüche. Ihren Höhepunkt erreichte diese Methode bei der Ausstellung „Glimpses of the USA“ 1959 in Moskau, die im Nachklang des Besuchs von Chruschtschow in Amerika gezeigt wurde. Auf sieben riesigen Leinwänden projizierte das Eames Office in schneller Schnittfolge Tausende meist selbst aufgenommener Fotos und Filmsequenzen, die den sowjetischen Besuchern ein differenziertes und realistisches Bild des Alltagslebens in Amerika vermitteln sollten.

Die Prioritäten hatten sich nun endgültig verschoben. Neue Möbel standen nicht mehr im Fokus des Paares, dafür folgten weitere monumentale Ausstellungen: „Mathematica: A World of Numbers … and Beyond“ (1961), der legendäre IBM-Pavillon auf der Weltausstellung in New York 1964/65, „Nehru: His Life and His India“ (1965) und „The World of Franklin and Jefferson“ (1975) zur Zweihundertjahrfeier der amerikanischen Unabhängigkeit.
An ihrem ursprünglichen Ansinnen hielten Charles und Ray Eames dabei fest. Nie ging es ihnen darum, Komplexität zu reduzieren, unerschütterlich vertrauten sie bis an ihr Lebensende auf den Wissensdurst ihrer Mitmenschen. Dafür mussten sie in der Spätphase ihrer Karriere einiges an Kritik einstecken. Während ihre Möbel seit vielen Jahren eine Renaissance erleben, harren ihre Multimediainstallationen und Filme im Youtube-Zeitalter noch einer Wiederentdeckung. Höchste Zeit, dass sich das ändert.

Service

AUSSTELLUNG

An Eames Celebration, Vitra Design Museum, Weil am Rhein, 30. September bis 25. Februar

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