Letzte Chance: Nur noch bis zum Donnerstag sind in Berlin die berührenden Skulpturen von Emmanuel Tussore zu sehen. Als Material nutzt der Franzose Seife aus Aleppo. Ein dringende Ausstellungsempfehlung in Zeiten der Flüchtlingsdebatte
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20.11.2017
Ein schwerer, süßlicher Duft empfängt den Besucher hinter der Glastür der Galerie Benhadj & Djilali in der Berliner Torstraße. Der Geruch stammt von einer Mauer, die sorgsam Stein auf Stein im ersten Raum errichtet wurde. Sie wirkt leicht unstabil, ragt etwa zwei Meter in die Höhe. In ihrer Mitte klafft ein großes Loch. Und wenn man jetzt noch etwas genauer hinschnuppert, dann realisiert man: Die Mauer wurde nicht aus Steinen gebaut, sondern aus Blöcken von Seife. Genauer gesagt, aus Aleppo-Seife.
Die syrische Stadt Aleppo ist im Bürgerkrieg in den Jahren 2012 bis 2016 schwer zerstört worden, und natürlich greifen die Werke des französischen Künstlers Emmanuel Tussore diese Tragödie auf. Neben der wackeligen Mauer im Eingangsraum, die wie die Restwand eines einsturzgefährdeten Hauses wirkt, zeigt die Galerie Benhadj & Djilali im Hinterraum auch Tussores Fotografien von selbstgeschnitzten Miniatur-Ruinen – kleine Repliken von zerbomten Mietshäusern oder eingestürzten Arkadengängen. Auch für diese hat der Franzose Seifenblöcke verwendet.
Tussore ist eher zufällig an sein Material geraten. Das Rezept für Aleppo-Seife, hergestellt aus einer Mischung von Oliven- und Lorbeeröl, gehört zu den ältesten der Welt. Der 1984 in Monaco geborene Künstler kaufte die Seife in arabischen Supermärkten in Paris, einfach weil sie preiswert war. „Irgendwann las ich auf der Verpackung das Herstelldatum 2012, dabei waren wir schon im Jahr 2016“, erzählt Tussore. „Da wurde mir plötzlich klar, dass in Aleppo offensichtlich schon seit längerer Zeit keine neuen Blöcke hergestellt worden waren. Die Seife machte den Krieg bewusst: Ich wusch meinen eigenen Körper mit einen Produkt, das aus einem Ort stammte, an dem andere Körper leiden müssen.“ Aus diesem Zusammenhang wuchs die Idee für seine Serie von hunderten kleiner Ruinenskulpturen.
Tussore war nie in Aleppo. Seine Seifen-Schnitzereien sind also weder objektive Dokumentation noch Zeugnis eigener Betroffenheit. Und doch gibt es einen persönlichen Bezug: Tussore, der Fotografie studiert hat, arbeitete jahrelang in New York als Assistent für einen Fotojournalisten, und durch seinen Beruf hatte er verstörende Bilder aus den Krisengebieten der Welt stets vor seinem Auge. Für einen Film des syrischen Regisseurs Qutaiba Barhamji habe er zudem vor ein paar Jahren als Location Scout gearbeitet und dabei in arabischen Ländern abseits der Bürgerkriegsregion nach glaubhaften Ruinenschauplätzen gesucht, erzählt er. Das Thema Flüchtlinge griff er erneut in seinem Videokunstwerk „Sirens“ auf. Der 40-minütige Film lief in diesem Frühjahr sogar auf der Berlinale. „Die Skulpturen aus Aleppo-Seife sind jetzt eine Weiterführung eines Themas, das mich seit Jahren intensiv beschäftigt. Sie sind organisch aus meiner bisherigen Arbeit entstanden“, sagt der Künstler.
Fraglos berühren die brüchigen architektonischen Modelle. Selbst als fotografische Reproduktionen an der Wand. Und es stellt sich wirklich nicht die Frage, ob sie in den Details der abgebildeten Zerstörung „wahr“ sind. Als Symbole für das menschliche Leiden existieren sie anonym – so wie für uns westliche Betrachter viele menschliche Schicksale aus Aleppo und anderen Kriegsgebieten anonym bleiben.
Emmanuel Tussore – „Study for a Soap“
Ausstellung nur noch bis 23. November 2017
Galerie Benhadj & Djilali, Torstraße 170, 10115 Berlin