Ausstellungen

Salonmalerei: Verführung für alle Sinne

Die Münchner Kunsthalle feiert die französische Salonmalerei mit Meisterwerken aus dem Musée d’Orsay

Von Annette Lettau
16.01.2018

Sie hat berühmte Vorgängerinnen. Die schönste und nobelste hat Sandro Botticelli geschaffen, die gefeierte jüngste, sanft auf Wellen gebettet, stammt von Alexandre Cabanel. 1879 fordert William Bouguereau mit seiner „Geburt der Venus“ den Vergleich heraus. Seine Liebesgöttin, nun dekorativ auf der Muschel posierend und scheinbar träumerisch in sich versunken, lässt er in Anlehnung an Raffaels „Triumph der Galatea“ von Tritonen, Gefährtinnen und verspielten Amoretten umkreisen.

Vollkommen überwältigt

Jedes Detail verrät die exzellente akademische Schulung des Künstlers – die realistische Aktdarstellung, das wohlkomponierte Getümmel, die effektvolle Lichtführung. Und natürlich kann das Bildformat gar nicht groß genug sein, um den Betrachter zu überwältigen. Seine perfekte Maltechnik beeindruckte, doch die Umsetzung des mythologischen Stoffs stieß auf Kritik.

So spöttelte ein Rezensent, die Schaumgeborene, „umjubelt von der Schickeria des Meeres“, entsteige nicht den Fluten, sondern einige von ihnen gleichfalls im Salon einem Sirupmeer. Alternativ schlug er ein „Salonaquarium“ vor. Noch nahezu ein Jahrhundert später provozierte Bouguereaus Venus Ernst Gombrich so sehr, dass er apodiktisch verkündete: „Was wir vor uns haben, ist ein Pin-up-Girl und kein Kunstwerk“. Vorwurfsvoll fügte der Kunsthistoriker hinzu, als Betrachter der Venus sei man ja leider der unbehaglichen Situation ausgesetzt, sich „bis zu einem gewissen Grad gegen diese Verführungskünste wehren zu müssen“.

Salonmalerei in der Hypo-Kunsthalle

Jetzt präsentiert sich die sinnenreizende Verführerin unübersehbar im großzügigen Hauptsaal der Münchner Hypo-Kunsthalle, die erstmals in Deutschland über 100 Meisterwerke des Pariser Salons aus der Sammlung des Musée d’Orsay zeigt. Wobei das Ausstellungsmotto „Gut. Wahr. Schön“ auf eingefleischte Gegner einer ehedem im Salon goutierten Historienmalerei eher parodistisch wirken muss, da sie doch vorzugsweise Kitsch, hohles Pathos und falsche Gefühligkeit argwöhnen.

Für historische Argumente bräuchten sie sich nur am Zitatenschatz Émile Zolas bedienen. Er mokierte sich gern darüber, dass sogar Porzellanmalerei neben Bouguereaus Gemälden grob wirken würde – ein Hieb auf das Makellose seiner Malweise – und sein akademischer Stil der „Gipfel des Pomadisierten, der polierten Eleganz“ sei. Von den Figuren, „süße Bonbons, die unter den Blicken schmelzen“, ganz zu schweigen. Auch Jean-Léon Gérôme attestierte er aalglatte Effekthascherei.

Die Eröffnung des Musée d’Orsay als Wende

Wenn man Alexandre Cabanel hinzufügt, sind schon drei der wichtigsten unter den ausgewählten 65 Salonkünstlern in der Münchner Ausstellung genannt. Man könnte einwenden, dass Zola, ein bekennender Anhänger Courbets und Manets, in seinen Kunstkritiken generell sehr begrenzt gnädig gegenüber der Salonmalerei war. Die gängige Kunstgeschichte klammert bekanntlich gern aus, dass es nicht nur die Impressionisten waren – von denen einige sogar im Salon ausstellten –, die mit Verrissen bedacht wurden. Allerdings konnten sie von den Einkünften der erfolgreichen drei Malerstars bloß träumen. Dafür schwand der Ruhm der populären Historienmaler im 20. Jahrhundert umso schneller dahin. Eine spürbare Kehrtwende setzte erst 1986 mit der Eröffnung des Musée d’Orsay ein. Seitdem haben monografische Ausstellungen zu Bouguereau, Gérôme und Cabanel stattgefunden, Werke von ihnen sind inzwischen begehrte und teure Kunsthandelsobjekte.

In der Ausstellung macht „Die Quelle“– Ingres’ statuengleich inszenierte nackte Unschuld – den Auftakt. Für den Meister der klaren Lineatur gilt noch das Vorbild der Antike, doch die Figur mit ihrem sanften Hüftschwung stimmt schon auf Darstellungen wie die Venus von Bouguereau ein. Noch galt das Gebot, den weiblichen Akt mythologisch oder allegorisch zu verbrämen, aber ein routinierter Salonkünstler wusste geschickt, den sinnlichen Reiz zu betonen. Auf Cabanels Gemälde „Das verlorene Paradies“ von 1867, einer kleineren Wiederholung des kriegszerstörten großen Originals im Münchner Maximilianeum, bietet sich die von Reue geplagte Eva dem Blick des Betrachters in weicher, aufreizender Nacktheit dar. Eine ähnliche Pose, allerdings seitenverkehrt, nimmt pikanterweise auch Baaders etwas fahlere nackte Klytemnästra im Sterben ein.

Wenn das Idealschöne grenzwertig wird

Große männliche Aktdarstellungen kommen etwas seltener vor, doch im Hauptsaal springt dem Besucher sofort ein riesiges Gemälde ins Auge. Es zeigt, wie „Dante und Vergil“ bei ihrer Reise durch die Unterwelt zu erstarrten Zeugen einer brachialen Szene werden, die im wilden Biss des einen in die Kehle des anderen Verdammten gipfelt. Wobei die heftige Bewegung der muskulösen Körper im rot lodernden Umfeld schon fast einem strengen, kunstvoll inszenierten Ballettakt gleicht. Bouguereau war gerade einmal 25 Jahre alt, als er das Bild malte. Mit seinem Schreckensszenario wagte er eine eigenwillige und grenzwertige Auslegung des akademischen Idealschönen, woraufhin prompt der erwartete Erfolg ausblieb.

Generell fällt in der Ausstellung die Vielzahl groß dimensionierter Bilder auf. Zu diesem Phänomen trug die jährlich stattfindende Salonausstellung bei, die auch schon einmal bis zu 900000 Besucher anlocken konnte. Wer sich mit seiner Kunst inmitten der Masse dicht übereinander gehängter Gemälde behaupten wollte – 1880 wurden über 7000 eingereicht –, versuchte also notfalls, schon mit seinen Bildformaten aufzufallen. Die staatliche Förderung der vorrangig mythologisch und biblisch geprägten Historienmalerei trug außerdem dazu bei, dass die unübersehbare maltechnische Perfektion zum Standard wurde. Wer also handwerkliches Können oftmals in Kunstausstellungen vermisst, kommt hier voll auf seine Kosten. Bezeichnend ist eine kleine Episode beim Rundgang. Ein – zugegeben – etwas älterer Herr durchquerte die Räume und murmelte immer wieder nur: „Großartig, großartig…“

Glatt und elegant: Die französische Salonmalerei in München

Die in München gezeigte französische Salonmalerei ist glatter, eleganter und trägt thematisch exzentrischere Züge als die gleichzeitig entstandene deutsche Kunst. Sie brilliert mit Bravourstücken und schätzt eine bisweilen ans Groteske grenzende Theatralik. Sie wird trotz berühmter Namen, etwa einem Gustave Moreau, für viele Besucher Neuland sein. Im letzten Teil zeichnet sich bereits der malerische Aufbruch ab, hinterlässt das Pleinair seine Spuren, tendiert der Realist, wohl auch von der Fotografie inspiriert, zum Naturalismus. Eine stille Szene von Puvis de Chavannes rettet schließlich den Raum der Symbolisten. Ganz so einheitlich lässt sich die französische Salonmalerei dann eben doch nicht fassen.

Service

Ausstellung

„Gut. Wahr. Schön – Meisterwerke des Pariser Salons aus dem Musée d’Orsay“
Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, bis 28. Januar

Dieser Beitrag erschien in

Kunst und Auktionen 2017 / Nr. 20

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