Ausstellungen

Stahl-Safari

Die Kunst von Alf Lechner spannt einen weiten Bogen von den frühen Pastellen, die jetzt in seinem Museum in Ingolstadt zu erleben sind, bis zu schweren Stahlskulpturen, die als Kunst im öffentlichen Raum über ganz Deutschland verteilt sind. Sein Lebenswerk kulminiert in einem Steinbruch in Obereichstätt im malerischen Altmühltal

Von Christiane Meixner
26.02.2018

Die Spur führt nach München. Wer hier am Flughafen ankommt, begegnet unweigerlich dem Werk von Alf Lechner. Zwei tonnenschwere Stahlträger, kreuzförmig auf einer Wiese des Areals übereinandergelegt, symbolisieren ein aufsteigendes Flugzeug. Dass ihr Gewicht fast dem eines Airbus A330 entspricht, führt einem eindrücklich vor Augen, welche Massen mit jeder Maschine nach oben streben. Wie sich Materie über die Schwerkraft hinwegzusetzen vermag. Die rostigen Oberflächen der Skulptur vermitteln hingegen einen anderen Eindruck: Sie suggerieren Ausrangiertes, das hier schon ewig steht und sich nie mehr wegbewegt.

Abheben, für Lechner ein Fremdwort. Auch wenn er die Arbeit »In München starten, in München landen« 2008 für die Drehscheibe seiner Heimatstadt realisierte – der Jetset war das Gegenteil seines Naturells. Von der bayerischen Metropole zog der Bildhauer zuerst ins nahe Degerndorf und später nach Geretsried. Diese Bodenständigkeit passt gut zu seinem Material. Der schwere Werkstoff, die gewachsenen Kontakte zu jenen Werkstätten, die Lechners bildnerische Ideen umsetzen konnten, sein Beharren auf den Urformen der Geometrie: All das verwurzelte den Künstler tief in Oberbayern. Im Kopf aber schwirrten die Ideen frei durch Zeit und Raum. Ein Vergleich mit Arbeiten anderer internationaler Bildhauer seiner Generation, mit Richard Serra, Donald Judd oder Sol LeWitt, zeigt, wie intensiv sich Lechner mit ihnen auseinandergesetzt hat. Auch die eigenen Skulpturen fanden ihren Platz weit über die Grenzen seiner geografischen Refugien hinaus. Sie stehen in Duisburg ebenso wie in Freiburg oder Hannover. Lechner persönliches Ziel, sein letztes, wurde Obereichstätt im Altmühltal, wo er im Februar 2017 mit 91 Jahren starb.

Zuvor aber hat sich der Künstler einen Traum verwirklicht. Zusammen mit seiner Frau Camilla, die weiterhin in dem einzigartigen Ensemble aus Stahl und Stein lebt, schuf er einen Skulpturenpark als weithin sichtbares Vermächtnis. Statt in Depots zu lagern, sucht sein Werk den Dialog. Mitten in der Natur wachsen monumentale Objekte gen Himmel, spalten sich entlang gekrümmter Wege oder bilden gigantische Würfel. Dahinter erhebt sich schrundig, was von den Abbrucharbeiten des Kalksteins geblieben ist. Wilde Ziegen suchen nach Gras. Ende der Neunzigerjahre, als die Lechners das Grundstück erwarben, türmte sich Geröll vor den hellen Wänden. Im Tal standen ein paar Ruinen aus frühindustrieller Zeit: Lange bevor hier Stein abgebrochen wurde, stand in Obereichstätt das Königlich Bayerische Eisenhüttenwerk. Bis 1862 betrieb es einen Hochofen für Rohstahl. Alf Lechner, so könnte man sagen, hat einen Ort für sich gefunden, der auf das Engste mit seiner Kunst, vor allem aber dem Werkstoff, verbunden ist.

Die Sprache der Kunst ist ähnlich schroff wie die Landschaft, in der einst Kalkstein abgebaut wurde.

Diese Geschichte hat ihre Spuren auch in der Natur hinterlassen. Vor der malerischen Kulisse des Altmühltals, einem Paradies für Biker und Wanderer, wirkt der Steinbruch wie ein ausgeweideter Hügel. Gesäumt wird er inzwischen von sorgfältig sanierten Industriehallen, die das Ehepaar Lechner um einige Gebäude ergänzt hat. Entstanden sind Flächen zum Wohnen, Arbeiten und für Ausstellungen im Innenraum, die ebenso für dreidimensionale Objekte wie für die vielen Zeichnungen im Nachlass genutzt werden – über 4000 Blätter hat Alf Lechner hinterlassen. Das Gelände wurde terrassiert, nicht gebändigt. Es mag zum Park geworden sein, versprüht aber weiter den rauen Charme seiner früheren Nutzung. Die Sprache der Skulpturen, von denen die meisten unter freiem Himmel stehen, ist ähnlich schroff. Und doch strahlt der Cortenstahl mit seinen rostenden, samtbraunen Oberflächen verhalten Wärme aus. Ein Widerspruch, wie ihn auch das Werk von Alf Lechner prägt.

»Mein ganzes Lebensziel ist die Einfachheit«, dieses Credo des Künstlers taucht stets in seinen Biografien auf. Dabei lässt sich das Werk nicht simplifizieren. Eingängig scheint Lechners formale Reduktion auf Kreis, Kugel und Würfel, der in jeder nur denkbaren Variante auftaucht: In Obereichstätt finden sich massive Körper, die scheinbar bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit gestapelt werden. Daneben glänzt ein Kubus aus rostfreiem Stahl, der an ein Skelett denken lässt: Sein Inneres besteht wie bei den Würfeln von ­LeWitt bloß noch aus Streben. Die optische Leichtigkeit steht in verblüffendem Kontrast zu seinem echten Gewicht.

 

„In der Einfachheit steckt so viel Kompliziertes.“

Verformen, zerschneiden, aufbrechen – auch das sind Vokabeln in Lechners Werk, mit deren Hilfe er die schlichten Formen konsequent dekliniert. Heraus kommen Serien mit immer neuen Varianten, die für ihn erst abgeschlossen waren, wenn er sein Thema aus jeder nur denkbaren Perspektive durchdrungen hatte. Denn auch das war für Lechner klar: »In der Einfachheit steckt so viel Kompliziertes.« Sein Umgang mit dem Stahl mag den Eindruck vermitteln, als habe der Künstler das urtümliche Material bezwingen und überwinden wollen. Die große, virile Geste, wie sie typisch für viele Bildhauer seiner Zeit gewesen ist. Dabei handelte Lechner, der seit 1995 Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste war und mit zahlreichen Ehrungen bis hin zum Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, stets distanziert überlegt. Auf ein Leben als Künstler ließ er sich erst ein, als er genug verdient hatte, um nicht abhängig vom Verkauf seiner Skulpturen zu sein. Ab 1950 arbeitete Lechner zehn Jahre lang unter anderem als ­Grafiker, Industriedesigner und Lichttechniker. Letzteres verhalf ihm zu einem lukrativen Patent. 1961 entstanden die ersten abstrakten Skulpturen, parallel zeichnete er unablässig. Schon hier ging es um die Eigenschaften des Materials – um seine ungeheure Energie, die der Künstler zugleich bändigen und verstehen wollte. Lechners Anfänge sind davon ebenso sichtbar geprägt wie sein Spätwerk, das die Eigenschaften des Stahls im Prozess der Verarbeitung festzuhalten und sichtbar zu machen versucht: wie dieser im Feuer flüssig wird, sich von der Schwerkraft zerreißen oder zur Decke falten lässt.

Ein Meer aus stählernen Blöcken

Im Atelier in Obereichstätt liegt ein Meer aus dunklen, stählernen Blöcken auf dem Boden. Die ganze Arbeit scheint in Bewegung, wie abstrahierte Meereswellen. Gegenüber stehen auf großen, beweglichen Tischen noch Modelle aus Styrodur. Alles hier wirkt, als sei der Künstler bloß kurz weggegangen. Hinauf zum »Glashaus« vielleicht, wo knapp drei Dutzend Stelen den Raum strukturieren. Oder in die benachbarte Galerie mit Lechners Zeichnungen: Sie zeigen Gestisches in silbrigem Grafit und schwarzer Kohle und sind doch ebenfalls auf Grundformen konzentriert. Noch sind die Häuser auf dem gut 20 000 Quadratmeter großen Gelände nicht frei zugänglich, sondern bloß im Rahmen einer Führung. Camilla Lechner arbeitet an einem neuen Konzept, unterstützt wird sie von ihrem Sohn ­Daniel McLaughlin. Er hat auch die Ausstellung im knapp 30 Kilometer entfernten Lechner Museum in Ingolstadt kuratiert, „Anfang und kein Ende“, das erste Projekt nach dem Tod des Vaters, der das Haus im Jahr 2000 gründete. Eine ehemalige Fabrikhalle ist auch hier zum musealen Gebäude geworden, das auf zwei Etagen der Entwicklung von Alf Lechners Werk nachspürt. Seit 25. Februar sind hier unter dem Titel „Himmel, Wasser, Stahl“ frühe Pastelle und Malerei von Alf Lechner im Zusammenspiel mit Werken seines Lehrers, des Marine- und Landschaftsmalers Alf Bachmann dort zu sehen (bis 9. September).

Ein ungewöhnlicher Skulpturenpark

Lechner arbeitete bis zum Schluss. Wer durch die offene Landschaft des Skulpturenparks vorbei an Quadern und Platten geht, die gewölbt, gefaltet und gebrochen sind und von Kugeln oder Stelen begleitet werden, deren Neigung sie aus dem rechten Winkel gleiten lässt; wer die kalte, klare Quelle passiert, die ebenfalls zum Grundstück gehört und der Stromerzeugung dient, kommt irgendwann an ein weiß gestrichenes Haus. Seine imposante Stahltür hat der Künstler noch selbst gestaltet – genau wie den hohlen Stahlwürfel im Innern der Gruft, unter dem Lechners Asche ruht. »Die Seele der Skulptur liegt in ihrem Schwerpunkt«, hat er einmal gesagt. Seine Seele hat ihren Schwerpunkt im wunderbaren Park der Kunst gefunden.

Service

Lechner Skulpturenpark, Obereichstätt

Nächste öffentliche Führung: 25. März, 16:00 Uhr

Lechner Museum Ingolstadt

Ausstellung „Alf Bachmann, Alf Lechner – Himmel, Wasser, Stahl“ bis 9. September 2018

Eine Version dieses Texts erschien in

Weltkunst Spezial Reisen zur Kunst Nr. 138/2018

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