Das Georg Kolbe Museum präsentiert zehn Bildhauerinnen der Berliner Moderne, die die Geschlechterbarrieren durchbrachen
Von
18.04.2018
Heute würde man sie als It-Girl bezeichnen. Egal wo Renée Sintenis im Berlin der Zwanzigerjahre auftauchte, alle Köpfe wandten sich nach ihr um. Sie warb für Uhren und Zigaretten, galt als meistfotografierte Frau der Weimarer Republik. Als Bildhauerin feierte sie so große Erfolge, dass sie von ihrer Arbeit leben konnte: Man war verrückt nach ihren kleinen Tierfiguren aus Bronze, die auf keinem bürgerlichen Kaminsims fehlen durften. Sintenis arbeitete viel, neben dem „Tiere machen“, wie sie es nannte, schuf sie Porträtbüsten und Buchillustrationen. Sie verstand es nicht nur, ihre Arbeit, sondern auch sich selbst gut zu verkaufen. Zum Durchbruch verhalf ihr der Kunsthändler Alfred Flechtheim, der sie mit Sammlern in Paris, London und New York bekannt machte.
Ihre ersten Einnahmen investierte sie in ein Pferd: Morgens sah man sie durch den Tiergarten reiten, nachmittags fuhr sie in ihrem Studebaker durch die Stadt. Innerhalb weniger Jahre stieg das Mädchen aus Neuruppin zum androgynen Medienstar auf. Sie, die große, schlanke Erscheinung mit Bubikopf, die im Herrenanzug über den Ku’damm flanierte, war der Inbegriff der „Neuen Frau“: unabhängig, selbstbewusst, emanzipiert. Ringelnatz dichtete für sie („Mir ist so dienstmädchen-donnerstagweh, / Weil ich nun weiterfahre. / Und ich war hundert Jahre / Mit dir zusammen, / Renée“), und selbst Flechtheim glaubte, dass keine Party ohne sie komplett war. Im Mittelpunkt stand Sintenis dennoch ungern. „Die Tiere“, sagte sie einmal, „sind mir näher als die Menschen.“ Es ist bezeichnend, dass ihre bekannteste Plastik eine Frau zeigt, die der Welt entkommen will: 1917 schuf sie die Daphne, die sich auf der Flucht vor Apoll in einen Baum verwandelt.
Ihrer „Daphne“ kann man momentan im Georg Kolbe Museum gegenübertreten. Die Figur ist eine von rund 100 Arbeiten, mit denen das Haus an zehn Frauen erinnert, die nach dem Ersten Weltkrieg ihren Weg als Bildhauerinnen gingen. Abgesehen von Käthe Kollwitz sind die meisten von ihnen heute, wie so viele andere Künstlerinnen auch, in Vergessenheit geraten. Und das, obwohl sie sich bereits zu Lebzeiten in einer Disziplin behaupteten, in der kein Platz für Künstlerinnen vorgesehen war: Dem „schwachen Geschlecht“, so glaubte man, fehle die Kraft, mit dem Hammer umzugehen. Sie arbeiteten sich also nicht nur an ihrem Material ab, sondern auch an Rollenbildern.
Widerstand erfuhr Milly Steger bereits am Anfang ihrer Karriere. Ihre Steinakte für die Theaterfassade in Hagen lösten einen Skandal aus. „Zu obszön“ waren den Kritikern ihre abstrahierten Frauenfiguren. Die Kontroverse sorgte aber nicht etwa für Stegers Ausschluss, ihr Name wurde schlagartig in Deutschland bekannt und fehlte als „bedeutendste deutsche Bildhauerin“ um 1920 in keinem Lexikon. Ein paar Jahre später verschwand er wieder: Die Nazis erklärten ihre Werke teilweise für „entartet“.
Steger bearbeitete den Stein roh, setzte auf das Ursprüngliche und Widerspenstige im Material. Das Herbe ihrer Skulpturen meinten Zeitgenossen auch in ihrer Person zu erkennen. Sie gab sich burschikos, wollte sich von ihren Kolleginnen abgrenzen. Ihre Bestimmtheit brachte Else Lasker-Schüler auf den Punkt: „Milly Steger die Bildhauerin ist eine Welt, / Meteore stößt sie von sich.“ In Berlin übernahm Steger das Atelier von Georg Kolbe. Hier schrumpften ihre Figuren auf Kabinettgröße, sie entwarf für Rosenthal und beschäftigte sich, inspiriert vom Ausdruckstanz, mit Körpern in Bewegung.
Tänzerinnen finden sich auch bei Marg Moll, die zunächst von den bewegten Oberflächen Rodins beeinflusst ist, später jedoch ins Kubistische ausbricht. Ihre Körperstudien in Messing beziehen mit ihren glatten Kanten Lichtreflexionen gekonnt ein. Molls Tierfiguren spielen ebenfalls mit dem Raum: Die „Schlafende Katze“ aus Bronze rollt sich so flach zusammen, dass sie fast mit dem Sockel verschmilzt. Ihre Liebe zur Kreatur teilte Moll mit vielen der ausgestellten Künstlerinnen, allen voran mit Christa Winsloe, der man nachsagte, sie habe ein ganzes Stockwerk für Haustiere (Vögel, Nagetiere und sogar Äffchen) reserviert. Heute kennt man Winsloe vor allem für ihre Romanvorlage zum Filmklassiker „Mädchen in Uniform“, damals war sie für ihre Kleinplastiken berühmt, die ihr den Spitznamen „Meisterin des Meerschweinchens“ einbrachten. Auch ihr Werk fiel den Nazis zum Opfer.
Louise Stomps lernte bei Milly Steger, entfernte sich mit den Jahren aber immer mehr vom Figürlichen. Ihre Werke wurden amorpher, ähnlich wie die der englischen Bildhauerin Barbara Hepworth. In ihrem Atelier schuf Stomps meterhohe Pfahlskulpturen aus Holz, deren Miniaturversionen an Treibholz erinnern.
Was die ausgestellten Künstlerinnen so besonders macht, ist neben ihrem ganz eigenen Umgang mit dem Material ihr Umgang miteinander: Viele waren nicht nur künstlerische Pionierinnen, sondern auch politische Aktivistinnen. Sie sprachen sich für Gleichberechtigung aus, organisierten sich in Verbänden und setzten sich dafür ein, dass Frauen ab 1919 an öffentlichen Kunsthochschulen studieren durften. Von niemandem ließen sie sich vorschreiben, wie ihre Kunst auszusehen hatte, wie sie sich kleiden oder wen sie lieben durften. Die Ausstellung dokumentiert ihr Engagement und ihren intensiven Austausch in Fotografien und Briefen. So liest man, wie Käthe Kollwitz bewundernd über die Freundin Sophie Wolff schreibt: „Solche Arbeiten wie ihre könnt’ ich nicht machen.“ Manche der Bildhauerinnen hätten bei einer Ausstellung mit ausschließlich weiblichen Teilnehmern vermutlich trotzdem nicht mitgewirkt. Für Milly Steger wäre das Frausein als Leitmotiv nicht genug gewesen. Sie unterschied nicht zwischen den Geschlechtern, kannte „nur gute und weniger gute Künstler“. Im Georg Kolbe Museum, so viel steht fest, kommen die Guten zusammen.
Die erste Generation. Bildhauerinnen der Berliner Moderne Georg Kolbe Museum, Berlin
bis 17. Juni 2018