Die Vorlesungszeichnungen des Architekten John Soane im Berliner Museum für Architekturzeichnung
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09.04.2018
Ein „mumbler“ soll Sir John Soane gewesen sein. Ein Nuschler also. Einer, der beim Reden die Zähne nicht auseinanderkriegt. Die Vorlesungen, die Soane ab 1809 als Professor der Architektur an der Royal Academy in London hielt, hätten deshalb leicht in einer Katastrophe enden können. Doch er lehrte immerhin elf Jahre, und Klagen über seinen Unterricht sind nicht bekannt. Vielleicht lag es an einem Kniff, den sich Soane ausgedacht hatte: Zur Ummalung seiner Thesen zeigte der Architekt detailreiche Ansichten wichtiger Gebäude. Und zwar keine kleinen schwarz-weißen Kupferstiche, sondern Aquarellzeichnungen – farbig und im enormen Format, manche gar mit Kantenlängen von über einem Meter. In Soanes Studio mussten seine Schüler bis zu zwölf Stunden am Tag an den Blättern arbeiten, am Ende schufen sie mehr als 1500 Bilder. Es war quasi die erste Power-Point-Präsentation der Architekturgeschichte.
Wenn die private Tchoban Foundation in Prenzlauer Berg jetzt in Kooperation mit dem Londoner Sir John Soane’s Museum 27 der Vorlesungsbilder präsentiert, klingt das erst einmal nicht nach viel. Doch man darf nicht unterschätzen, wie viel Zeit es braucht, die Zeichnungen zu studieren. Man kann sich in ihnen regelrecht verlieren. Ebenso geschieht es, dass man anhand der gezeigten Visionen ins lustvolle Sinnieren gerät: Hätte Soane seine triumphale Kolonnaden Brücke an der Stelle der heutigen Waterloo Bridge verwirklichen dürfen, die er bereits 1776 als Student der Royal Academy entwarf, würde man heute London als „Athen des Nordens“ preisen. Andere Blätter zeigen die Realität des großartigen europäischen Baukulturerbes: Auf einem sind vier Kuppelgebäude – Soanes Rotunde für die Bank of England, die Radcliffe Science Library in Oxford, das römische Pantheon und der Petersdom des Vatikans – wie russische Puppen ineinandergesetzt, um die Größenverhältnisse zu verdeutlichen.
Soanes Studenten konnten die Meisterwerke Italiens nicht selbst auf einer Grand Tour besichtigen, weil die Napoleonischen Kriege den Kontinent bis 1815 in Atem hielten. Also bekamen die Nachwuchsarchitekten Abbildungen zu sehen. Ihr damaliger Verlust ist unser heutiger Gewinn.
Visionen der Weltarchitektur – Sir John Soane
Tchoban Foundation, Berlin
bis 17. Juni 2018
Weltkunst 2018 / Nr. 142