Mit der Hamburger Kunsthalle präsentiert jetzt erstmals ein deutsches Museum eine umfassende Ausstellung des englischen Malers Thomas Gainsborough
Von
06.04.2018
Das ungewöhnliche Porträt von Mr. und Mrs. Andrews zeigt ein Ehepaar in freier Natur. Denn zwischen dem Kornfeld auf der rechten Seite und dem dicken Baumstamm links auf dem Bild, vor dem die Dame sitzt und an den der Herr sich lehnt, sieht nichts nach einem Park oder Garten aus. Wir blicken auf eine Landschaftsmixtur, am Horizont türmen sich ein paar Wolken, die Herrschaften selber haben sich auf einer Art von Rasen eingefunden. Mrs. Andrews, im auf der Gartenbank weit ausgebreiteten zartblauen Seidenkleid und mit feinem Schuhwerk, muss aus dem nahe gelegenen Haus gekommen sein. Der Gemahl hingegen, mit Gewehr unter dem Arm, ist wohl gerade von der Jagd zurückgekehrt. Irgendein erschossenes Kleintier hat er der Gattin, die mit einem gefrorenen Lächeln die Contenance bewahrt, auf den Schoß gelegt. Dieses Bild, geschaffen um 1750 vom Maler Thomas Gainsborough (1727–1788) ist ein schönes Beispiel für etwas, das man – in Anlehnung an Nikolaus Pevsners heiter-seriöse Untersuchung „The Englishness of English Art“ – als das Englische in der englischen Kunst bezeichnen kann. Eine Kunst, folglich, die durch das Klima und die Landschaft ebenso geprägt ist wie durch ein von Gelassenheit und Bodenständigkeit bestimmtes Lebensgefühl der meisten ihrer Bewohner. „England mag keine Revolutionen und misstraut ihnen“, schreibt Pevsner, der selber, so der Buchrücken, „auf dem Kontinent geboren und erzogen wurde“, nämlich in Leipzig, später aber über dreißig Jahre lang in England lebte und Kunstgeschichte unterrichtete.
Im England, das keine Revolutionen mag, gab und gibt es aber nicht nur Kuriositäten ohne Ende. Sondern auch ohne ideologische Kampfschriften Veränderungen, deren Folgen einer politischen Revolution in nichts nachstehen. So veränderte die Industrialisierung seit der Mitte des 18. Jahrhunderts auch die Landschaft und damit zugleich das Landschaftsbild auf eine nicht auf den ersten Blick offensichtliche, aber gravierende Weise.
Diese Veränderung ist zu sehen im Porträt von Mr. and Mrs. Andrews, das auch das Porträt einer Landschaft im Umbruch ist. Was man allerdings nur erkennt, wenn man mit englischer Geschichte vertraut ist. Das etwas plötzlich und unvermittelt an den grünen Rasen grenzende Kornfeld, in dem auch einige Ährenbündel stehen, weist hin auf weitreichende soziale Umbrüche, in deren Verlauf bis dahin gemeinschaftlich genutztes Land von Gutsbesitzern parzelliert und individuell genutzt wurde. So fing die rasante Industrialisierung mit Landflucht, sozialen Umwälzungen und Verarmung der Dorfbewohner an. „Landschaftsmalerei hat immer die Wünsche der Stadtbevölkerung ausgedrückt“, schreibt Christoph Martin Vogtherr im Katalog.
Auch Thomas Gainsborough nahm diesen neuen Umgang mit dem Thema Landschaft wahr. Aber anders als Constable, der zum Wolkenmaler par excellence wurde, entdeckte Gainsborough für sich chemische Experimente aller Art, welche die Wirkung besonders der Zeichnung und Druckgrafik vergrößern und intensivieren konnten. So erweiterte er die Aquatintatechnik durch Hinzufügung von Materialien, deren chemische Wirkung den Eindruck eines Pinselstrichs bewirkten. Er malte auch direkt auf Glas, erhitzte die Farben und fügte ihnen andere Materialien hinzu. Zu den von ihm entwickelten „Rezepturen“ und „kunstfernen Mitteln“ (wie es im Katalog so treffend heißt) gehörte auch die Magermilch, mit der er eine Zeichnung behandelte. Zur Intensivierung der Ausstrahlung der Farben nutzte er nicht nur den Kontrast durch die übliche Weißhöhung, sondern fügte der Farbe oft auch zerstoßenes Glas hinzu, das wohl einen gewissen Leuchteffekt bewirken sollte.
Es ist immer interessant, durch Zeichnungen und Skizzen etwas über die Genese eines Kunstwerks, über die Arbeitsweise und die Mentalität des Künstlers zu erfahren. Im Fall von Gainsborough aber ist der große Ausstellungsanteil von Zeichnungen und Skizzen für den neugierigen Besucher ein wahrer Segen. Und auch wer sich nicht sonderlich für Kühe und Schafe interessiert, erfährt doch durch die Studien und Zeichnungen etwas über den Künstler, sein Handwerk und sein Werk, das den „Animal Turn“, der gerade als neuer Begriff durch die Kunstgeschichte geistert, lange überleben wird. Für Gainsboroughs späten ersten deutschen Auftritt gerade in Hamburg gibt es viele gute Gründe. Christoph Martin Vogtherr, seit 2016 Direktor der Kunsthalle, der die Ausstellung kuratiert hat, hat lange Jahre in London gelebt und gearbeitet. Hamburg, das einen Anglo German Club und eine Straße namens Englische Planke hat, fühlte sich dem Angelsächsischen stets verbunden. Und schließlich hängt in der Kunsthalle auch das Gegenbild zu Gainsboroughs Bild des Ehepaars Andrews: Caspar David Friedrichs Gemälde „Wanderer über dem Nebelmeer“.
Der Betrachter von Friedrichs Bild schaut mit dem Wanderer, einer Rückenfigur, die auf einem Felsvorsprung steht, in die Weite der Landschaft und des Himmels. In die Unendlichkeit. Der Betrachter von Gainsboroughs Porträts steht dem Menschen und der Realität gegenüber, Auge in Auge. Im Atelier hatte Gainsborough auf einem Tisch Steine, getrocknete Kräuter, Baumwurzeln und andere Naturalien liegen. Für ein Gemälde mit kleinen Schweinen wurden sogar ebensolche ins Haus gebeten. Auch Caspar David Friedrich schaute sich die Objekte seiner Bilder gründlich an. Aber für den Akt des Malens empfahl er anderes: „Schließe Dein leibliches Auge, damit Du mit dem geistigen Auge zuerst siehest Dein Bild.“
Thomas Gainsborough. Die moderne Landschaft
Hamburger Kunsthalle,
bis 27. Mai