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Gott des Gemetzels: Eugène Delacroix im Louvre

Gerade wurde auf der Rockefeller-Auktion bei Christie’s der Rekord für das teuerste Gemälde von Eugène Delacroix mit 9,9 Millionen Dollar für „Tiger mit Schildkröte“ gebrochen. Unterdessen widmet der Pariser Louvre dem französischen Nationalhelden eine spektakuläre Retrospektive. Dank kluger Aufbereitung ist daraus mehr geworden als eine Blockbuster-Schau

Von J. Emil Sennewald
09.05.2018

Die dunklen Augen schauen selbstsicher in die Welt, aus einem Gesicht, das Eigensinn, Erfolgswillen und mit der erhobenen Nase und dem kecken Oberlippenbart eine gehörige Prise Arroganz zeigt – wäre da nicht der Mund, um dessen Winkel jener Zweifel, jener saure Zug des Getriebenen spielt, der nach Anerkennung strebt. Auch das etwas spitze Kinn, die leicht nach innen gewölbten Wangen und der dunkle Fond eines insgesamt mit ungewohnt reduzierter Palette gemalten Bildes erzählen weniger vom Ruhm eines Malerfürsten als von den Schatten, die ihn treiben.

Im Jahr 1837 malte Eugène Delacroix das Selbstporträt in grüner Weste. 39-jährig und bereits ein anerkannter Salonmaler, war er mitten in der Umsetzung der von der Regierung an ihn ergangenen Aufträge großer Fresken, die ihn zwanzig Jahre lang beschäftigen sollten. Fünf Jahre zuvor hatte er im diplomatischen Corps den Comte de Mornay auf eine Nordafrika-Reise begleitet, die weiteste Reise, die der Künstler je unternahm. In Nordafrika glaubte er – voll in der Geisteshaltung des kolonialistischen Europäers, den die Industrialisierung um einen Verlust authentischer Größe fürchten ließ –, die griechisch-römische Antike am Leben zu sehen. Detailgenaue Studien zeigen einen Blick, der im Exotischen das Ursprüngliche sucht. Was er fand, präsentierte er mit dem Gemälde „Die Frauen von Algier in ihrem Gemach“ 1834 im Salon einem begeisterten Publikum. Orientalismus als unerhörte Machtgeste des Malers. Er übertrug das rare Privileg, die unverschleierten Frauen sehen zu dürfen, ins Gemälde. Unverschämt und ungefragt wurde es an aller Augen weitergegeben. Ein Machtbeweis, der sich auf ein Publikum übertrug, das die fremde Kultur ihrem intimen Raum entreißen konnte.

Eine solch postkoloniale Lesart bietet der Louvre nur andeutungsweise. Allerdings wird die politisch-propagandistische Leistung von Delacroix als eine erkennbar, die sich seiner persönlichen Entwicklung verdankt. Wohl bedacht hängt sein Selbstporträt etwa auf halber Strecke des mit 200 Werken relativ übersichtlichen Rundgangs – die letzte Retrospektive im Louvre wartete mit 700 Bildern auf. Gleich am Eingang sieht man die Schulhefte, in denen der 17-jährige Eugène sich bereits im Porträtieren übte; der Parcours erzählt auch die Entwicklungsgeschichte eines Malers des 19. Jahrhunderts.

„Man kennt einen Meister nie genug, um ganz und vollständig von ihm sprechen zu können“, schrieb Delacroix einst in sein Tagebuch, von dem handschriftliche Auszüge in einem eigenen Saal auch das schriftstellerische Talent des Künstlers belegen sollen. Ein Satz, der Sébastien Allard, Leiter der Malerei-Abteilung des Louvre und zusammen mit Côme Fabre Kurator der Ausstellung, inspiriert haben mag. Die lapidar „Delacroix (1798–1863)“ betitelte Schau entdeckt entlang von drei chronologisch konzipierten Kapiteln nicht neu, bilanziert nicht, arbeitet nicht auf. Vielmehr leistet sie, und daran sieht man Fabres Hand, eine neue Dramaturgie der Geschichte dieses scheinbar allzu wohlbekannten Künstlers.

In drei Kapitel unterteilt, stellt die dicht, jedoch nicht erdrückend gehängte Ausstellung erst Delacroix’ malerische Innovation von 1822 bis 1834 heraus. Es folgt die Zeit bis 1855, während der er vor allem Fresken-Aufträge umsetzte, um schließlich mit Landschaften das Alterswerk vorzustellen. Die sich in großen Scharen einfindenden Besucher (man muss seine Eintrittskarte für einen bestimmten Zeitraum reservieren) erhalten neben lieb gewonnenen Bekannten mit Lithografien, Aquarellen und Studien eine Umerzählung, die den Blick auf die Zweifel des werdenden Stars lenkt, genauso wie auf seine Ambitionen. Leihgaben aus Basel und Berlin, Prag und Rotterdam, Houston und Washington erzählen gleichsam den Entwicklungsroman eines Künstlers, der mit der rohen Körperlichkeit, dem Fleisch und der Haut seiner Figuren unmittelbar umgeht, indem er sie ungeschönt auf die Leinwand bringt. Wunderbar wird das in Studien wie dem zerwühlten Bett oder einem fast schon kubistisch reduzierten Frauenakt deutlich. Gleichzeitig wird sichtbar, warum Delacroix, der Salon- und Propagandamaler, der Romantiker, der keiner sein wollte, so wichtig für die Künstler der Moderne wurde: Er erkannte das Eigenleben der Farben.

Mehr als einmal weist die Ausstellung auf die Veränderungen seiner Palette hin. Thematisiert wird der Versuch, den Schrecken und das Gemetzel des Kriegs als Inkarnation zu ergründen, als Verkörperung von Erlebtem im Gemälde festzuhalten. Deshalb hat man – neben zweifellos wichtigen konservatorischen Gründen – das Gemälde vom „Tod des Sardanapal“ in seinem ursprünglichen Saal belassen und zeigt das Skandalbild stattdessen in Vorstudien und Kopien, auf denen statt des Grauens die voyeuristische Schaulust, die Obsession für Körper, Erotik und Gewalt, thematisiert wird. Auch die junge Waise auf dem Friedhof, die Delacroix 1824 malte, wird als Teil einer fleischgewordenen Malerei lesbar. Das Bildnis des Mädchens entstand, als er im selben Jahr Studien für das große „Massaker von Chios“ anfertigte und dafür, anders als bei Historienmalern üblich, auf das Malen nach lebendem Modell bestand. Und so ist es nicht allein der romantisch sehnende Blick der jungen Frau, der hier den Betrachter ergreift, sondern dessen Verkörperung eines erlebten Schmerzes, der sich in dramatischer Farblichkeit auf der Leinwand entfaltet.

Service

Ausstellung

Musée du Louvre
Delacroix (1798–1863)
Paris, bis 23. Juli

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