Als die Maler ins Freie strömten: Die Alte Nationalgalerie in Berlin widmet sich der „Wanderlust“ in der Kunst des 19. Jahrhunderts. Es war ein Aufbruch, dessen geistige Dimensionen uns noch heute beschäftigen
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23.05.2018
„So irrte ich den ganzen Tag herum, und die Sonne schien schon schief zwischen den Baumstämmen hindurch, als ich endlich in ein kleines Wiesental hinauskam, das rings von Bergen eingeschlossen und voller roter und gelber Blumen war, über denen unzählige Schmetterlinge im Abendgolde herumflatterten. Hier war es so einsam, als läge die Welt wohl hundert Meilen weg. Nur die Heimchen zirpten, und ein Hirt lag drüben im hohen Grase und blies so melancholisch auf seiner Schalmei, dass einem das Herz vor Wehmut zerspringen möge.“
Joseph Freiherr von Eichendorff erzählt in seiner Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ von einer Wanderschaft. In der 1826 veröffentlichten Geschichte geht es um Sehnsucht und Fernweh, um Begeisterung über die Schönheit der freien Natur und das tiefe Erschrecken vor den Gefahren einer unbekannten Außenwelt. Hier bewegt sich ein junger Mann vollkommen zweckfrei, lässt sich treiben von Stimmungen und vom Strom des Geschehens, wechselt mal ängstlich, doch meistens vergnügt von einem Ort zum nächsten. Dem Ich-Erzähler bieten sich viele Chancen, sesshaft zu werden, als Gärtner, als Zolleinnehmer, ja er könnte ein Schloss bewohnen, doch nichts kann ihn halten. Und auch als er am Ende findet, was er sucht, die Liebe natürlich, schmiedet er umgehend neue Pläne: „Und gleich nach der Trauung reisen wir fort nach Italien, nach Rom, da gehen die schönsten Wasserkünste …“
Eichendorffs Held ist nicht der Einzige, den im 19. Jahrhundert die Wanderlust packt. Das Wort beschreibt einen allgemeinen gesellschaftlichen Aufbruch, der mit einer neuen Vorstellung vom Reisen einhergeht. Kannte man bislang vor allem die Grand Tour zu den Ruinen und Kunstschätzen des südlichen Europa, rückt nun das Erlebnis der Natur und damit der Weg an sich in den Fokus. Die Wanderlust wird zu einem wichtigen Thema in der Dichtung des Sturm und Drang, in romantischen Liedern und Bildungsromanen. Und der ursprünglich im Mittelalter geprägte Begriff geht – wie „Sehnsucht“ oder „Weltschmerz“ – schon früh in die englische und andere europäische Sprachen ein.
Auch die Maler entdecken vor 200 Jahren die Lust am Wandern. Sie verlassen ihre Ateliers, um in der freien Natur neue Motive zu finden, verewigen sich mit Hut und Stock oder winzig klein an der Staffelei vor mächtigen Bergpanoramen. Die Italiensehnsucht grassiert, und auch die heimischen Wälder und Auen sind es nun wert, gemalt zu werden. Die Natur wird zur Quelle für Frohsinn und Freiheitsgefühl, sehr schön eingefangen auf einem der wenigen Landschaftsgemälde des Dessauer Hofmalers Heinrich Beck. Sein „Blick auf das Etschtal“ von 1839 zeigt zwei Wanderer vor dem Abstieg in ein Tal, vor ihnen liegt, in goldenes Licht getaucht, die Südtiroler Bergwelt. Fröhlich schwingt einer der beiden, wohl der Maler selbst, seinen Hut, als könne er sein Glück kaum fassen, vor sich das gelobte Italien zu sehen. Das Tal ist weit, die beiden werden noch eine Weile unterwegs sein, doch das ist nebensächlich. Sie freuen sich schlicht an der Bewegung in der Natur und an der traumhaft schönen Aussicht…
Den vollständigen Artikel lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der Weltkunst
Wanderlust
Von Caspar David Friedrich bis Auguste Renoir
bis 16.09.2018
Alte Nationalgalerie, Berlin