Mit kämpferischer Fotokunst im Riesenformat erregte Astrid Klein in den Achtzigerjahren Aufsehen. Eine Ausstellung in Hamburg würdigt nun ihr eigensinniges Werk – auch als wichtigen Beitrag zum Feminismus
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27.06.2018
Es liegt eine Schönheit in der Zerstörung. Und niemand zerstört so schön wie Astrid Klein. Besonders wenn sie Bilder zerreißt und neu zusammensetzt. Eine leger gekleidete junge Frau mit Bobfrisur lutscht hingebungsvoll an einem fremden Daumen. Daneben blickt ein James-Dean-ähnlicher Beau auf zwei Turteltauben, und ein Damenpumps streicht in zwanzigfacher Vervielfältigung sanft an einem Herrenhosenbein hinauf. Collage ist die Kunst, aus gezielter Unordnung eine neue Ordnung entstehen zu lassen. Sie dominiert aus gutem Grund die Ästhetik der Moderne.
„Il faut être absolument moderne“ forderte Rimbaud bereits 1873, man müsse absolut modern sein, und der Satz findet sich auch auf Kleins eingangs beschriebener Collage. Entstanden ist diese im Jahr 1980. Klein lebte damals ein Jahr als junge Stipendiatin in Paris. Und dort drang sie tief in die Grabkammer des kollektiven Bilderunterbewusstseins ein: ein Keller unter einem Zeitungskiosk in der Rue de Rivoli. Zahllose Stapel an Kinomagazinen, Fotoromanen, Sudelblättchen. „Am dritten Tag brachte mir der Kioskbesitzer Kaffee herunter“, erzählt Klein. „Ich habe da Tonnen an Material hinausgeschleppt.“ Bilder von verführerischen Frauen, einst inszeniert für den Lustgewinn der Männer, bearbeitete sie mit Schere, Klebeband und Schreibmaschine. „Les tâches dominicales (Sunday Works)“ heißt die Serie.
„In Paris war ich in der Mehrzahl von männlichen Künstlern umgeben. Die Männer betrachteten mich wie einen seltsamen Kolibri“, erzählt Klein. „So entstand das Konzept zur Serie ›Sonntagsarbeiten‹ – typisch Frau, jeden Sonntag eine Arbeit –, das durchaus als feine Spitze gegen die Macho-Allüren zu sehen ist.“ Die Pariser Anekdote und die dazugehörige Werkerläuterung ist fast schon zu viel Biografisches für eine Künstlerin, die Interviews meist scheut und sich nicht fotografieren lässt. Manchmal gelingt aber doch ein Treffen mit der 1951 in Köln geborenen Klein, die sich im Gespräch als selbstironisch und schlagfertig erweist. Ihr rheinischer Singsang spielt in den tieferen Oktaven, und wenn sie ihre kristallharten, glasklaren Satzsalven abfeuert, kommen selbst eloquente Argumentierer wie Harald Falckenberg in die Defensive.
Der Hamburger Sammler schätzt die Künstlerin. Er hat schon sieben „tâches dominicales“ und eine Fotoarbeit von ihr gekauft und ihr jetzt auch bedingungslos die Schlüssel für seine Ausstellungsräume ausgehändigt, damit sie dort ihre Einzelausstellung hängen konnte: „Transcendental Homeless Centralnervous“ – ihre erste Überblicksschau seit Ewigkeiten. Sie selbst gilt trotz langer Karriere fast als Geheimtipp. „Es ist ein gutes Gefühl“, sagt Klein über den Parcours von rund 200 teils extrem großformatigen Werken, die sich auf 4000 Quadratmetern der Deichtorhallen Hamburg/Sammlung Falckenberg verteilen. „Ich glaube wirklich, dass dies die beste Ausstellung ist, die ich je gemacht habe – einfach weil es hier die Möglichkeit gibt, so viele verschiedene Werke zu zeigen.“ Tatsächlich bietet die Architektur der Sammlung Falckenberg ideale Bedingungen: „Flycatcher III“, eine vier Meter hoch getürmte Skulptur aus elektrischen Insektenfängern, findet in einer Ecke des Erdgeschosses problemlos Platz. Und eine riesige Leinwand mit einer gemalten Catherine Deneuve ist auf einer Treppenwand trotz 5,30 Metern Kantenlänge von viel schmückendem Weißraum umgeben.
Beim Ausstellungsrundgang taucht man nun in das vielseitige Œuvre einer Künstlerin ein, die von 1973 bis 1977 an der Kölner Fachhochschule für Kunst und Design ausgebildet wurde – als „Maler und Bildhauer“, wie sie es selbst in der männlichen Form betont: In einer kleinen Kammer im Erdgeschoss hängen Dutzende klebrige Fliegenfängerpapiere von der Decke („Flycatcher I“ von 1981), und dazu erklingt das Klavierstück „Aus dem Tagebuch einer Fliege“ von Béla Bartók. Man begegnet Wandskulpturen aus Neonleuchtfäden, die mit Wörtern beschriftet wurden, etwa „Untitled (memory overflow)“. Oder den mit Alabastergips und Zinkweiß gemalten „Weißen Bildern“, in deren leeren Zentren vereinzelte Worte wie Nachbilder flimmern: „Erinnerung eines Gedächtnislosen“.
Dazwischen vertieft man sich immer wieder in ihre bekannten Fotoarbeiten. Bei diesen hat Klein gefundene Bilder erneut abfotografiert und die Negative danach montiert, manipuliert, verkratzt, zu körniger Blow-up-Ästhetik ins Riesenformat gezogen und mit Schriftkommentaren verdichtet – teils zu thematischer Brisanz, wie in der Arbeit „Untitled (failure)“ von 1987, die von Gier, Geld und Genderfragen handelt. Und teils zu bewusster inhaltlicher Vagheit wie im Werk „Untitled (Spieler)“ von 1979. Weiter gleitet man in diesen künstlerischen Kosmos hinein, bis man vor einer Wand überrascht innehält. Unbekannte Zeichnungen hängen hier, die zu den frühesten Werken gehören. In den schwarzen Tintenstrichen offenbaren sich Geschichten von ungeahnter Nähe und Intimität: Zwei Hände greifen nach einem Kelch voll kleiner Kügelchen, darüber der Schriftzug „Wonderpills“. Auf einem anderen Blatt beugt sich eine Figur zu Boden, aus deren Kopf dunkle Flüssigkeit tropft. „Kopf entleeren“, steht daneben.
Die Zeichnungen seien der Ausgangspunkt für alles, erklärt Klein. Sie mache zum Beispiel stets Vorzeichnungen in Originalgröße für die Neonfaden-Wandarbeiten, die sie als „Lichtzeichnungen“ begreife. Erhellend, trotz ihrer Düsternis, sind auch die „Schwarzen Bilder“ – ein ebenfalls kaum bekannter früher Zyklus von Kleinformaten, der jetzt in einem eigenen Kabinett hängt. Zwischen 1974 und 1977 malte Klein wundersame Motive auf schwarzem Seidenstoff. In mythologisch anmutenden Metamorphosen verwandelt sich beispielsweise der Arm einer nackten, kopflosen Frau in den Körper einer Schlage. Solche mit zartem Strich gemalten Szenen wirken wie festgehaltene Traumzustände, flüchtig und verletzlich. „Hinter der Zartheit verbirgt sich aber schon eine Menge Härte“, entgegnet Klein.
„Kunst ist für sie ein Mittel, in ihrer vertrauten Welt zu überleben.“
Es stimmt, denn das nächste Bild zeigt wieder eine nackte Frau, deren Körper aber diesmal mit Nadeln gespickt scheint. „Die Gedanken, die Freiheit, die Nichtanpassung, die Freundschaft, die Liebe… sie verrecken“, hat die Künstlerin dazu geschrieben. Harald Falckenberg sieht in Klein eine klassische Existenzialistin: „Kunst ist für sie ein Mittel, in ihrer vertrauten Welt zu überleben“, sagt der Sammler. „Dieser Überlebensangst sind wir alle ausgesetzt. Deshalb sprechen ihre Werke so stark zu uns.“ Die Künstlerin allerdings akzeptiert diese Interpretation nur zögerlich. „Ich war ja keine Sartre-Anhängerin“, sagt sie. „Sein Werk hat mich damals nicht interessiert. Camus faszinierte mich und war mir näher, denn ihm geht es, wie ich es persönlich empfinde, um das Existenzielle, das Sein.“
Tatsächlich behandeln Kleins Werke große Themen wie Sex, Gewalt und Tod. Nur werden diese in ambivalenter Schwebe gehalten. „Es gibt keine Liebe zum Leben ohne Verzweiflung am Leben.“ Dieser Camus-Satz könnte über einer Schau von Klein stehen. Es ist also schwer zu sagen, weshalb die Kunstwelt so lange brauchte, um sich Kleins Werk wieder bewusst zu machen. Manche hat sie wohl verprellt, weil sie zwischen 1988 und 1991, nach ersten großen Ausstellungserfolgen bei der Documenta und einer Museumstournee in London, Wien, Hannover und San Francisco eine Schaffenspause einlegte – um die eigene Arbeitsroutine selbst zu sabotieren. „Wenn man nicht mehr nur für den Markt produzieren und sich wieder auf das Werk konzentrieren will, kommt sofort der Karriereknick“, sagt sie. Wenig hilfreich war auch, dass sie von aufsteigenden männlichen Kollegen überschattet wurde.
„Ich mag den Begriff Pionier nicht, als Pionier ist man eben der Idiot“, lautet heute ihr lakonischer Kommentar. Dabei könnte jeder leicht sehen, dass Kleins „Flycatcher“ ein paar Jahre vor Damien Hirst entstanden sind. Und auch die Fotokünstler der Düsseldorfer Schule muss sie beeindruckt haben. Von Thomas Ruff etwa sah man im vergangenen Sommer Fotoarbeiten, die formal stark an die Werke Kleins aus den späten Siebzigerjahren erinnerten. (Pikanterweise zeigte Ruff die Bilder bei Sprüth Magers, einer Galerie, die Klein seit Jahrzehnten die Treue hält.)
Als „deutlich unterschätzt“ wird Klein von Dorothea Zwirner bezeichnet. Die Kunsthistorikerin und Sammlerin ist mit der Künstlerin befreundet, besitzt selbst einige Arbeiten und hat nun im Verlag der Buchhandlung Walther König ein Buch publiziert, das nicht nur erstmals einen ordnenden Blick auf Kleins Schaffen wirft, sondern überhaupt erst die Initialzündung für die Ausstellung war. Zwirner ist sich sicher, dass im Zuge von #MeToo eine jüngere Generation verstärktes Interesse für Kleins Werke entwickeln wird, wenn sie erst bemerkt, wie früh diese sich in die Geschlechterdebatte eingebracht hat. „Ich schätze Astrid, weil sie schon immer eine sehr kraftvolle, meinungsstarke und deutlich feministische Position vertritt, die trotzdem ein starkes Gespür für Schönheit und Eleganz beinhaltet“, sagt Zwirner. Klein selbst drückt es so aus: „Im Kunstbetrieb waren und sind Künstlerinnen oft sexueller Belästigung ausgesetzt. Wenn man sich dagegen zur Wehr setzte – die harmlose Variante war, jemandem ein Glas ins Gesicht zu schütten – hatte das natürlich negative Konsequenzen für die Karriere.“
Dennoch hat sie eindeutige politische Botschaften in ihrer Kunst vermieden. Das wäre ihr zu platt erschienen. Die Härte und Kühle der Werke spricht für sich. „Insofern bringe ich mich auch nicht mit #MeToo in Verbindung. Um es differenziert auszudrücken: #MeToo meint auch die Frauen, denen körperliche Gewalt angetan wurde und die vergewaltigt wurden, mich mit diesen traumatisierten Frauen auf eine Ebene zu stellen, empfinde ich als vermessen – eher denke ich: ›Time’s up!‹“, erklärt sie. „Ich bin zornig, dass der Kampf um Gleichberechtigung – nicht nur im Kunstbetrieb – immer noch geführt werden muss.“
Astrid Klein
Transcendental Homeless Centralnervous
Sammlung Falckenberg
bis 2. September 2018
Weltkunst Nr. 144 / 2018