Ausstellungen

Kurtisanen, Schauspieler, Sumo-Ringer

Verlängert bis 30. September! Das Museum für Ostasiatische Kunst zeigt japanische Farbholzschnitte

Von Peter Dittmar
04.06.2018

Geduld muss man mitbringen. Und Zeit. Wollte man vor jedem Bild nur eine Minute verweilen, würden gerade die sechs Stunden ausreichen, die das Museum für Ostasiatische Kunst in Köln täglich geöffnet hat. Geduld musste man auch im Vorfeld dieser Ausstellung mit dem Titel „Das gedruckte Bild – Die Blüte der japanischen Holzschnittkultur“ aufbringen. Denn der ursprüngliche Starttermin im Oktober 2017, mit dem zugleich an die Eröffnung des Museumsneubaus am Aachener Weiher vor 40 Jahren erinnert werden sollte, scheiterte, weil sich herausstellte, dass anstehende Reparaturmaßnahmen nicht länger aufgeschoben werden konnten – nachdem das Haus seit 2011 bereits mehrfach monate- und jahrelang zur Sanierung geschlossen werden musste. Und Geduld war schließlich auch bei der Aufarbeitung des Museumsbesitzes vonnöten. Denn die Sammlung umfasst mehr als 2000 japanische Holzschnitte und illustrierte Bücher. 

Ein Großteil wurde bereits 1909 von den Museumsgründern Adolf und Frieda Fischer gestiftet. Eine Auswahl davon war nach der Eröffnung des Hauses 1913 (des ersten Museums, das die Kunst Ostasiens als Kunst – und nicht als ethnologisches Kulturgut – sammelte und ausstellte) ständig zu sehen – doch nur bis 1945, als das Gebäude am Hansaring bei einem der letzten Bombenangriffe auf Köln zerstört wurde. Im 1977 eröffneten Neubau schließlich konnte immer nur ein Teil der reichen Bestände ausgestellt werden. Und da die Kölner Sparsamkeit dazu geführt hat, dass sich die Direktorin mittlerweile nur noch auf einen Kustoden stützen kann, ruht vieles – inventarisiert, jedoch nicht wissenschaftlich bearbeitet – im Depot. Das galt lange auch für die japanischen Holzschnitte – bis 2013, als Matthi Forrer vom „Rijksmuseum voor Volkenkunde“ in Leiden als Externer dafür gewonnen werden konnte, obwohl – oder gerade weil – er erstaunt war, eine „so große Sammlung in so großer Unordnung zu finden.“ 

Jedenfalls ist die Kollektion für Überraschungen gut. Denn Adolf und Frieda Fischer haben seinerzeit in Japan nicht nur Arbeiten der berühmten Meister wie Hokusai, Utamaro oder der Utagawa (Hiroshige, Kuniyoshi, Kunisada) gekauft, die seit 1766 weitgehend den Markt belieferten und bestimmten. Zu ihrer Sammlung gehörte auch eine Reihe von Künstlern, über die kaum etwas bekannt ist – etwa 40 Prozent der Blätter waren bislang gar nicht in der Literatur zu finden. Und obwohl die Holzschnitte Auflagen von 10000 Exemplaren und mehr erreichen konnten, wenn sie populäre Motive aufgriffen – die Kurtisanen des Yoshiwara, berühmte Schauspieler, siegreiche Sumo-Ringer oder Dämonen und Gespenster –, ist manchmal sogar nur ein einziges Blatt erhalten geblieben. So sind im Kölner Bestandskatalog mittlerweile mehr als ein Dutzend Arbeiten mit „apparently the only recorded copy of this print“ gekennzeichnet. Manchmal handelt es sich hierbei um anonyme Drucke – wie im Fall der Szene einer Kabuki-Aufführung von 1720, bei der sich immerhin die Schauspieler benennen lassen. Aber auch ein schmalhohes erotisches Blatt von Harunobu, auf dem eine Frau scheinbar zufällig ihr Bein entblößt, Eisuis Porträt der Kurtisane Takigawa, die eine Lilie für ein Ikebana biegt, oder das fabulöse Hakutaku von Koryūsai sind nirgendwo sonst mehr belegt. 

Als ganz besondere Entdeckung stellte sich eine Szene mit der Kurtisane Nabiku beim Kirschblütenfest von Utamaro heraus – sie erwies sich als das bisher fehlende rechte Blatt eines Triptychons, von dem sich die anderen beiden Teile, ebenfalls Unikate, in Kansas und Tokyo befinden. Von mindestens einem weiteren Dutzend an Holzschnitten, die Köln besitzt, sind lediglich ein oder zwei weitere Abzüge erhalten. Aber auch die Arbeiten, die nicht ganz so rar sind, erzählen wahre und fabelhafte Geschichten aus der Edo-Zeit oder von historischen Ereignissen. Und wie sich einst für viele Deutsche die Erscheinung von Friedrich dem Großen mit der Filmgestalt von Otto Gebühr verband, erscheinen den Japanern die Heerführer der Vergangenheit oft nur so, wie sie die Meister des Farbholzschnitts darstellten. Die Tokugawa-Shogune hielten allerdings nichts von dieser populären Kunst, die in ihren Augen – und für die japanische Kunstwissenschaft noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein – lediglich billige Tagesware war, nicht anders als die „Neuruppiner Bilderbogen“ oder die „Image d’Épinal“. Deshalb verboten sie, dass sie selbst oder ihre Ahnen auf diese Weise dargestellt wurden. Solche Verbote, die kanalisieren sollten, was den Holzschnitten zugestanden, was ihnen nicht gestattet wurde, gab es immer wieder. 

Das betraf 1720 erotische Bücher, 1794 die luxuriösen Glimmerdrucke, um 1840 im Zuge der Tenpō-Reformen die Schauspielerporträts und die Verwendung von mehr als acht Platten für die Farben. Aber die Künstler wie die Verleger – im 18. Jahrhundert gab es 40 bis 50 in Edo, im 19. Jahrhundert waren es bereits rund 200 – wussten solche Auflagen geschickt zu umgehen. Die Erotica erschienen anonym. Und statt der dramatischen Kabukiszenen zeichnete Kuniyoshi die verehrten Schaupieler karikiert als angebliche Graffiti auf einer Mauer. Außerdem entdeckten die Zeichner die Landschaften als neues Genre. Hokusais „36 Ansichten des Berges Fuji“ und Hiroshiges „53 Stationen des Tōkaidō“, der Heerstraße zwischen Edo und Kyōto, sind die berühmtesten Beispiele dafür. Aber auch Bilder von Blumen, Vögeln und Insekten – „nach der Natur“ im Gegensatz zu den stilisierten Theaterszenen und Porträts – wurden populär. Das alles ist ausführlich zu betrachten, nicht chronologisch, sondern nach Themen geordnet. Wobei die Darstellungen der Holländer, denen die Tokugawa als einzigen Europäern eine Niederlassung auf der künstlichen Insel Deshima vor Nagasaki gestattet hatten, spiegeln, wie das Fremde zum Grotesken wird. Sie sind ein Beispiel für das ambivalente West-Ost-Verhältnis. Als die Japaner Mitte des 19. Jahrhunderts bei den Weltausstellungen neben Kunsthandwerk auch Drucke und Malereien zeigten, die mit ihrer Flächigkeit und dem Verzicht auf die Perspektive so gar nicht den europäischen Bildvorstellungen entsprachen, löste das den „Japonismus“ aus, der Kunsthandwerker und Künstler von van Gogh bis Jawlensky beeinflusste.

Umgekehrt experimentierten die japanischen Meister – dank der Bücher, die seit Beginn des 18. Jahrhunderts über Deshima, aber auch als Schmuggelware in das abgeschottete Land kamen (vor allem Het groot schilderboek von Gerard de Lairesse) – mit der westlichen Perspektive, um ihren Bildern eine neue Tiefe zu geben. Masanobus Blick in das Ichimura-Theater in Edo von 1744 oder Hokusais Darstellung des Kiri-Theaters von 1787 sind für diesen „europäisierten Blick“ charakteristisch. Und wenn die Japaner nach Guckkastenbildern ihren Landsleuten das Forum Romanum oder Venedig vorführten, sieht man das scheinbar Vertraute plötzlich mit ganz anderen, naiven Augen. Denn abgesehen von der wissenschaftlichen Erforschung und Erläuterung des so lange verborgenen Bilderschatzes ist die Ausstellung eine faszinierende Erzählung über eine weitgehend unbekannte Welt, über ihre Historie, ihre Wirklichkeiten und ihre Fantasien – selbst wenn man dem Ganzen dann doch keine sechs Stunden widmen möchte.

Service

Ausstellung

„Das gedruckte Bild – Die Blüte der japanischen Holzschnittkultur“,
Museum für Ostasiatische Kunst, Köln
bis 30. September 2018

Dieser Artikel erschien in

Kunst und Auktionen Nr. 10 / 2018

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