Ausstellungen

„Visionäre Sachlichkeit“ im Kunsthaus Zürich

Die Ausstellung im Kunsthaus Zürich zeigt Varianten des Gegenständlichen

Von Roswitha Mair
24.06.2018

Bunte Blumen, wuchernde Pflanzen, untergehende Sonnen, blaue Himmel, friedvolle Tiere, freundliche Menschen, schimmernde Gewässer, saubere Städte: Verheißungsvolle Idyllen empfangen den Besucher derzeit im Kunsthaus Zürich – in der kleinen, feinen Schau „Visionäre Sachlichkeit“, die das Gegenständliche in der Kunst in den Mittelpunkt stellt. Aufgeboten sind 56 Werke von rund 20 Künstlern – alle aus eigenem Besitz. Der zeitliche Bogen spannt sich vom späteren 19. Jahrhundert bis in das Jahr 1964 – Schwerpunkte sind allerdings die Zwanziger- bis Vierzigerjahre. Manche Künstler sind mit ganzen Werkgruppen vertreten. Bilder von Félix Vallotton beispielsweise werden vom Kunsthaus seit 1907 gesammelt, sodass sich in seinem Fall eine stilistische Entwicklung nachvollziehen lässt: „La malade“ (1892) beispielsweise ist noch deutlich an die narrative holländische Interieur-Malerei des 17. Jahrhunderts angelehnt, während beim späteren Mitglied der „Nabis“ der Symbolismus in den Vordergrund tritt. Vallottons Flusslandschaft „Des sables au bord de la Loire“ von 1923 zeigt denn auch kräftige Farben und schwingende Konturen, die gleichermaßen natürlichen wie dekorativen Ansprüchen geschuldet sind. Ein sprechender Gegensatz zu Vallotton ist Adolf Dietrich, bekannt als der „Rousseau vom Bodensee“. Auch er ist mehrfach in der Ausstellung präsent – lässt aber kaum eine Entwicklung erkennen. Dies teilt er mit den sogenannten „Sonntagsmalern“ oder auch „Malern des heiligen Herzens“, deren Bilder oft kleinteilig sind, fein säuberlich ausgearbeitete Details besitzen. So grenzte Dietrich, als er eine „Abendstimmung“ malte, beispielsweise rötliche Wolken scharf voneinander ab, wohingegen Vallotton 1917 die Röte des Himmels auf Teile des Meers und des Strands übergehen ließ.

Eine Hommage an naive Künstler

Im Weiteren gerät die Schau dann zu einer regelrechten Hommage an naive Künstler, die ihre eigenen Welten in die Kunst einbrachten. Der Gärtner und Bauer André Bauchant etwa präsentierte sich in seinem „Autoportrait dans les dahlias“ (1922) mit seinen liebevoll in leuchtenden Farben gemalten Blumen. Louis Vivin wiederum stellt uns seine vorwiegend nach Druckvorlagen und Ansichtskarten gemalte Heimat vor – mit schnurgeraden, akkurat gezogenen Linien und „hölzernen“ Menschen. Kaum anders ist das bei den „Stars“ der Naiven-Szene – etwa bei Henri Rousseau und seinen „Dschungelbildern“ oder bei Grandma Moses, die das einfache, unbeschwerte Leben auf dem Land in New England zeigte. Dennoch könnte so manches Porträt von Dietrich auch als Beispiel der Neuen Sachlichkeit durchgehen. Umgekehrt weist das puppenhafte Bildnis, das Niklaus Stoecklin – ein Vertreter der Neuen Sachlichkeit – 1930 von seiner Frau gemalt hat, eine Tendenz zum Naiven auf (Abb.).

Im Vorraum der Ausstellung werden Arbeiten von Künstlern präsentiert, die auf die Neue Sachlichkeit und den Surrealismus Einfluss ausübten – etwa von Quiringh van Brekelenkam oder von Arnold Böcklin. Die Surrealisten selbst sind mit wenigen, jedoch recht prominenten Namen vertreten: mit René Magritte, Max Ernst und Yves Tanguy. Surreale Welten führt uns indessen auch der gelernte Porzellanmaler Élie Lascaux vor Augen, der Realitäten mit poetischer Note schuf – beziehungsweise, wie es Max Jacob einmal formulierte, eine „Atmosphäre des Himmlischen“. „La maison dans l’Estérél“ (1926) etwa wirkt, als ob es von grünem Gras überwuchert sei und auf einem anderen Planeten stünde. Lascaux bewegte sich im Umkreis der Pariser Avantgarde und wurde von Daniel-Henry Kahnweiler protegiert. Ein namhafter Förderer der Naiven war auch der deutsche Sammler und Händler Wilhelm Uhde, der sich für Henri Rousseau, Camille Bambois, Louis Vivin und Henri Bauchant einsetzte. Ihm haben es diese Künstler zu verdanken, dass Bilder von ihnen Eingang in die Sammlung des Kunsthauses fanden – wie im Katalog ausführlich dokumentiert. Da im Museum aus Platzgründen aber immer nur etwa 10 Prozent der gesamten Kollektion gezeigt werden können, darf man in der Schau nun so manchen Künstler quasi neu entdecken: Niklaus Stoecklin etwa, der 1925 als einziger Schweizer an der legendären Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit. Deutsche Malerei seit dem Expressionismus“ in Mannheim teilnahm, oder auch den Franzosen Camille Bombois, der 1955 auf der Documenta in Kassel vertreten war. Insgesamt ermöglicht die didaktisch sehr gut aufbereitete Präsentation des Sammlungskonservators Philippe Büttner eine stilistische Zusammenschau, die die oftmals feinen Unterschiede / Zusammenhänge zwischen Naiver Malerei, Neuer Sachlichkeit und Surrealismus unmittelbar vor Augen führt.

Service

Ausstellung

Kunsthaus Zürich
„Magritte, Dietrich, Rousseau. Visionäre Sachlichkeit“
bis 8. Juli, Katalog 22 CHF

Dieser Beitrag erschien in

Kunst und Auktion, Heft 10 / 2018

Zur Startseite