Van Gogh reist in die Wüste: Mit hochkarätigen Kunstwerken aus aller Welt möchte der Louvre Abu Dhabi den Austausch der Kulturen fördern
Von
31.07.2018
Beginnen wir mit den nackten Zahlen. Denn sie verdeutlichen am besten, was für eine Jahrhundertanstrengung hier unternommen wurde. Etwa 1,5 Milliarden nahmen die Vereinigten Arabischen Emirate in die Hand, um in ihrer Hauptstadt Abu Dhabi einen Kunsttempel zu errichten. (Zum Vergleich: Das Berliner Schloss wird etwa 600 Millionen Euro kosten). Sie engagierten den französischen Stararchitekten Jean Nouvel, der hier ein gigantisches Meisterwerk geschaffen hat: Unter einem ikonischen Kuppeldach mit einer Diagonalen von 180 Metern erstreckt sich eine aus 55 Gebäuden bestehende Museumsstadt, in der die Kunstgeschichte der ganzen Welt von der Antike bis in die Gegenwart erzählt wird. Die stählerne Kuppel selbst ist fast genauso schwer wie der Eiffelturm in Paris, und von dort, aus dem namensgebenden Louvre, kommen auch die wichtigsten Leihgaben für dieses erste Universalmuseum auf der arabischen Halbinsel.
Doch bleiben wir noch kurz bei der Architektur. Denn die ist wirklich spektakulär. Jean Nouvel hat hier eine Art Riesen-Oase für die Kunst entworfen, die wie die echten Zufluchtsstätten in der Wüste den Menschen mit zweierlei verzaubern: dem Licht des Sternenhimmels und der Aussicht auf Wasser. Beide Elemente, Licht und Wasser, spielen für die Architektur dieses Gebäudeensembles eine tragende Rolle. Das Wasser ist allein schon durch die Lage omnipräsent. Der Insel Saadiyat leicht vorgelagert, mit Blick auf den Containerhafen von Abu Dhabi, bildet das Blau des Meeres mit seinen schäumenden Wellen hier eine stimmungsvolle Kulisse für den Besuch des Museums, zu dem man auch per Boot gelangen kann. Im Innern eröffnen sich immer neue Ausblicke auf das Meer und die Skyline der Hauptstadt, kleine Infinity Pools zwischen den einzelnen Galerien integrieren das kühle Nass in den Bau.
Das Licht wiederum dringt durch das Kuppeldach ein, das sich aus einem komplexen geometrischen Muster aus 7850 Sternen zusammensetzt. Diese sind in unterschiedlichen Größen und Winkeln innerhalb acht verschiedener Schichten angeordnet. Das Licht der Sonne, deren Strahlen im Laufe des Tages über das Dach wandern, erzeugt so einen illusorischen Effekt, der als „Lichtregen“ bezeichnet wird. Inspiriert wurde das Konzept durch die traditionelle arabische Dachverkleidung aus ineinander verschränkten Palmblättern. Dem Wechsel des Licht- und Wasserspiels gibt der Bau einen menschenfreundlichen Rahmen: „Mein Wunsch war es“, so beschreibt Jean Nouvel seine architektonische Intention, „dieses Gebäude einen geschützten Raum verkörpern zu lassen, der zur arabischen Welt und ihrer besonderen Geografie gehört.“ Die Dauerausstellung, deren Slogan „See humanity in a new light“ lautet, möchte auch, im übertragenen Sinne, „Licht regnen“ lassen.
Große Worte fielen zur Eröffnung im November, die an ein neues Zeitalter der Aufklärung am Persischen Golf denken lassen. Den Fanatismus möchte dieses Museum bekämpfen, das friedliche Zusammenleben der Religionen und Völker propagieren und die Jugend in diesem Sinne erziehen. Wie viel mehr die Menschheit vereint als trennt, das zu zeigen ist das Anliegen der Kuratoren um Direktor Manuel Rabaté bei ihrem Parcours durch 4000 Jahre Kunstgeschichte. Ganz bewusst verzichteten sie darauf, die mehr als 600 Kunstwerke aus verschiedensten Kulturen streng nach ihrer Herkunft zu arrangieren. Stattdessen werden sie in thematischen Blöcken – wie Geburt der Zivilisationen, die großen Imperien oder globale Handelswege – zusammengefasst, wobei die Idee des Austauschs im Vordergrund steht.
Sogar eine jemenitische Thora von 1498 findet sich neben einem Koran und einer Bibel, keine Selbstverständlichkeit in der arabischen Welt. Viele bedeutende Kunstwerke beinhaltet die museumseigene Sammlung, darunter das schöne Exemplar einer stehenden Baktrischen Prinzessin vom Ende des 3. Jahrtausends v. Chr., das älteste bekannte Foto einer verschleierten Frau, Paul Gauguins„Junge Ringkämpfer“ oder gleich neun Bilder von Cy Twombly. Etwa die Hälfte der ausgestellten Werke sind Leihgaben aus französischen Museen, darunter Leonardo da Vincis „La Belle Ferronnière“, Claude Monets „Der Bahnhof Saint-Lazare“, ein Selbstporträt Vincent van Goghs oder ein Globus von Vincenzo Coronelli aus der Bibliothèque nationale de France. Auf zehn Jahre ist der Leihvertrag mit dem französischen Staat ausgelegt, gleich für 30 Jahre darf man den Namen Louvre tragen. In dieser Zeit sollen die Bestände des Museums durch Ankäufe erweitert werden und in seiner Nachbarschaft ein ganzer Kulturdistrikt entstehen. Geplant sind das Guggenheim Abu Dhabi, entworfen von Frank Gehry, ein Nationalmuseum von Norman Foster und ein Center for Performing Arts von Zaha Hadid. Doch das ist noch Zukunftsmusik.