Ausstellungen

Slevogt und der Wechsel des Blicks

Vor 150 Jahren wurde der Impressionist Max Slevogt geboren: In Hannover wird er als echter Grenzgänger zwischen den Stilen präsentiert

Von Frank G. Kurzhals
08.10.2018

Ein überraschend revolutionäres Geschenk präsentiert das Landesmuseum von Hannover der Fangemeinde von Max Slevogt zu dessen 150. Geburtstag. Die Ausstellung im ehrwürdigen Gebäude von 1856, das unter seinem Dach auch Saurier und Völkerkunde beherbergt, zeigt 150 Werke aus allen Phasen des Künstlers. Nicht mehr der Theorie folgend säuberlich getrennt nach Malerei und Grafik, sondern gleichwertig präsentiert, kommen hier alle Techniken endlich in eine beeindruckende Zusammenschau. Für Slevogt eine Selbstverständlichkeit, für spätere Kuratoren seines Œuvres leider nicht. Sie haben das Werk meist nach Techniken getrennt, ja geradezu seziert. Das wirklich Aufregende und Revolutionäre an der aktuellen Retrospektive ist jedoch, dass man in Hannover dem Maler Slevogt das so hartnäckig an seinem Werk festgeklebte Etikett des „Impressionisten“ abreißt und damit eine erfrischend neue Sicht auf sein Werk öffnet – das man übrigens in ziemlich beindruckender Breite präsentieret: Das Landesmuseum ergänzt den eigenen bedeutenden Slevogt-Bestand um zahlreiche Leihgaben aus dem In- und Ausland.

Aneignung impressionistischer Farbigkeit und Flüchtigkeit

Doch wie kam es überhaupt zu dieser Kategorisierung des „Impressionisten“? Während seiner Münchner Studienzeit zwischen 1884 und 1889 bevorzugte Slevogt noch den konventionellen braunen Atelierfarbton in seiner Malerei. Erst nach einem Studienaufenthalt in Paris und kurz vor dem Wechsel nach Berlin erweiterte er zunehmend seine Farbpalette und befreite sich von den akademischen Fesseln des an der Hochschule Gelernten. In München schlug Slevogt dafür noch tiefe Abneigung entgegen: „Flüchtige Geschwindschrift“ war eine der harmloseren Verunglimpfungen. Die Ausstellungsbesucher verliehen ihm den Beinamen „der Schreckliche“. Einige seiner Arbeiten wurden für Ausstellungen abgelehnt. „Grosse schlimme Phantasien, die zum Teil das Parfüm des Münchner Faschings verraten“, bescheinigte ihm der einflussreiche Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe apodiktisch.

Deutscher Impressionismus als Markenstrategie

Nach dem Wechsel 1901 ins offenere und neugierigere Berlin fand er dann doch Anerkennung. Bereits zwei Jahre zuvor hatter er den Kunsthändler Paul Cassirer für sich gewinnen können. Dieser sorgte geschickt dafür, dass sich die Wahrnehmung des Publikums änderte. Sein Händler war zu dieser Zeit bereits eine zentrale Figur im Kunstmarkt, der gemeinsam mit seinem Cousin, dem nicht minder bedeutenden Verleger Bruno Cassirer, Slevogt in ein neues künstlerisches Umfeld zu lotsen verstand. Er arrangierte Ausstellungen zusammen mit französischen Impressionisten, die nahelegen sollten, dass auch Slevogt Impressionist sei. Das galt Cassirer als verkaufsfördernd. Und letztlich erfand Paul Cassirer auch noch das zukünftige Label für Slevogt, unter dem er gemeinsam mit Max Liebermann und Lovis Corinth vermarktet wurde: „Dreigestirn des deutschen Impressionismus“. Thomas Andratschke, der Kurator der Hannoveraner Ausstellung, nennt diese Etikett plakativ einen Werbeslogan. Warum aber soll es nicht mehr stimmen? Andratschke hat Slevogts Werk genau studiert. Eines seiner Ergebnisse: Slevogt hat seine Motive oft gezeichnet, bevor er sie mit leichtem bewegten Pinselstrich malte, er wollte seine Motive damit vor jeder malerischen Oberflächlichkeit schützen. Beim 1907 entstandenen „Bethlehemitischen Kindermord“ etwa – wahrlich eine ganz und gar nicht impressionistische Thematik – scheinen sogar die Vorzeichnungen unter der Farbschicht durch.

Nicht unmittelbare Wiedergabe von Impressionen, sondern Konzeption und kritische Sicht auf die Welt begründen Slevogts Werk. Damit werden seine Bildwelten komplexer. Die großartigen Zoobilder mit ihren Löwen, Papageien und Passanten, die Landschaftsbilder, die Porträts, die vom Alltagsleben gesättigten Ägyptenbilder oder sein gezeichnetes Kriegstagebuch von 1917 lassen, unter diesem Gesichtspunkt neu betrachtet, nur einen Schluss zu: Die Reflexion in vielerlei Hinsicht gehörte eindeutig zu Slevogts malerischem Handwerkszeug.

Ein Blick hinter die Kulissen

Tiefgründiger, als es auf den ersten Blick scheint, ist auch eines seiner in Hannover gezeigten zentralen Werke, das berühmte „Champagnerlied“ – ein Bild aus der Stuttgarter Staatsgalerie, in dem der um 1900 gefeierte portugiesische Opernsänger Francesco d’Andrade das Hochformat füllt. Mozarts Don Giovanni war seine Paraderolle, Slevogt malte d’Andrade mehrmals, setzte das Thema der Arie in unterschiedlichen grafischen Techniken um, probierte mit Bleistift und Feder immer wieder Details in den Wirkungsweisen der Komposition aus. Letztlich freundete er sich sogar mit dem Sänger d’Andrade an, sicher auch, um die Rolle des Don Giovanni zu diskutieren.

Aber was ist daran so besonders, an Don Giovanni und der Art, wie Slevogt den Star der Stars mit seiner immer wieder vom Publikum als Zugabe geforderten Champagner-Arie in Szene setzt? Der Maler hat sich entschieden, den Protagonisten des Stücks nicht als erfolgreichen Frauenverführer und Held in der Gesellschaft darzustellen. Er steht bei ihm – aus der Proszeniumsloge heraus gemalt – im Bildgeviert isoliert, wie er auch in der Mozarts Oper isoliert ist. Jedenfalls für diejenigen, die genau hinsehen und hören. Gleichwohl versteifen sich Bildbetrachter und Opernfreunde oft darauf, das, was Slevogt zeigt, nicht wahrnehmen zu wollen. Das Schweigen zu diesem Thema ist beredt, denn Don Giovanni ist schon längst kein Frauenheld mehr, er versucht lediglich sein Image singend zu retten, umjubelt vom Publikum. Als 1921 der Sänger d’Andrade starb, malte Slevogt konsequenterweise auch die Grablegung Don Giovannis. Dass auch diese Motivführung keine Nähe zum Impressionismus hat, ist selbstredend.

Ein frischer Blick auf Slevogts Werk

„Das Champagnerlied“ ist heute eines der beliebtesten Bilder von Slevogt, und das erzählt viel über eine Gesellschaft, die ihn in München für ähnliche Wirklichkeitsmotive ablehnte und danach in Berlin feierte. Und jetzt in Hannover mit seiner malerischen Opulenz zwischen Im- und Expressionismus, zwischen einer Haltung als Realist und Historist neu entdeckt. Er ist ein Äquilibrist zwischen den Stilen, er tanzt auf dem schmalen Grad einer Kunst, die nicht nur Sichtbares wiedergibt, sondern auch sichtbar zu machen versteht. Oder, wie Slevogt das Dilemma formulierte: Das Auge „sieht, was es sucht, und was es nicht versteht, sieht es nicht.“ Dass diese Einsicht universell gilt, zeigt die Rezeptionsgeschichte seines Werkes, beim dem gerade ein weiteres Kapitel aufgeschlagen wird.

Service

Ausstellung

Max Slevogt. Eine Retrospektive zum 150. Geburtstag
Landesmuseum Hannover
28. September bis 24. Februar 2019

Dieser Beitrag erschien in

Weltkunst Nr. 148/2018

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