Ausstellungen

Tintoretto: Die Zeit steht still, weil der Maler es will

500 Jahre Tintoretto – Venedig feiert den Maler in zwei Ausstellungen als Meister der Momentaufnahme.

Von Petra Schaefer
10.10.2018

Der venezianische Maler Jacopo Tintoretto, der von 1518 oder 1519 bis 1594 lebte, inspiriert die zeitgenössische Kunstrezeption wie wenige andere. So zögerte der Kurator Roland Krischel, dessen Schau zum jungen Tintoretto „A Star was born“ bis Ende Januar im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zu sehen war, damals nicht, das berühmte Sklavenwunder von 1547 in einer aktuellen Abwandlung des spanischen Künstlers Jorge Pombo (Jahrgang 1973) als „moderne Paraphrase“ auszustellen. „Tintoretto“, so Krischel, „hat die paradoxe Eigenschaft einer dauerhaften Modernität in unterschiedlichen Epochen.“

Wechselnde Perspektiven auf Tintorettos Werk

Tatsächlich sah man ihn Anfang des 20. Jahrhunderts als Expressionisten, Sartre machte den Maler zum Existenzialisten und heute schätzen wir Tintoretto als Medienkünstler, der das Publikum in das Bildgeschehen involviert. In Venedig, wo anlässlich Tintorettos 500. Geburtstag derzeit die große Retrospektive im Dogenpalast und in den Gallerie dell’Accademia stattfindet, wird der Maler jetzt als „Action Painter“ gepriesen, dessen rascher Pinselstrich seinen Gemälden eine zuvor nicht dagewesene Dynamik verleiht. Die Kuratoren Robert Echols und Frederick Ilchmann interessiert hierbei vor allem Tintorettos Darstellung des bewegten Körpers, die ihn im Umfeld von Tizian und Veronese als dramatischen Erzähler christlicher und mythologischer Themen etablierte. Ein vorzügliches Beispiel dafür ist das Gemälde „Tarquinius und Lucrezia“ (um 1578/1580) aus dem Art Institute of Chicago, das die beiden miteinander ringenden Figuren in freiem Fall zeigt. Die doppelte Fallhöhe – menschlich und moralisch – symbolisieren die gestürzte Plastik am linken Bildrand, die den Sturz Tarquinius vorweg nimmt, und die gesprengte Perlenkette Lucrezias als Sinnbild für den erzwungenen Akt. Die herunterfallenden Perlen lassen das Gemälde wie eine Momentaufnahme wirken, ein Bildeffekt, den Tintoretto kurz zuvor im großformatigen Deckengemälde „Das Mannawunder“ für die Scuola Grande di San Rocco in Venedig entwickelt hatte.

Gemälde erstrahlen in neuem Glanz

Aus Anlass der Schau, die anschließend in der National Gallery in Washington gezeigt wird, gab es eine spektakuläre Restaurierungskampagne von 20 Gemälden, die teils in den Museen, teils in venezianischen Kirchen und Institutionen besichtigt werden können. Die amerikanische Stiftung Save Venice, die die Kampagne ermöglichte, nennt als größtes Ereignis Tintorettos „Hochzeit zu Kana“ (1561), die „wie von Wasser zu Wein“ verwandelt sei. Tatsächlich erstrahlt das Gemälde jetzt in frischen Farben und der deutlichere Hell-Dunkel-Kontrast verstärkt die Immersion des Betrachters. An seinem ursprünglichen Aufbewahrungsort, der Sakristei der Salute-Basilika, hängt es neben dem unlängst notrestaurieren Frühwerk von Tizian „Der thronende Hl. Markus mit Heiligen“ (1510), einem kontemplativen Meisterwerk mit großartigen Figurenstudien, sowie neben Tizians dreißig Jahre später entstandenen Deckengemälde „Abraham opfert Isaak“ (1543–1544), dessen starke Untersicht und wehende Gewänder eine beginnende Dynamisierung zeigt. Das Ensemble verdeutlicht den Spannungsbogen, in dem sich Tintoretto um die Jahrhundertmitte bewegte und offenbart, wie er seinen eigenen künstlerischen Weg fand. Dieses Seherlebnis lässt sich auch wunderbar im nächsten Kunstbiennale-Jahr einplanen, denn es ist eine dauerhafte Installation.

Service

Termine

Tintoretto 1519–1594“, Dogenpalast, Venedig
„Der junge Tintoretto“, Gallerie dell’Accademia, Venedig

beide Ausstellungen bis 6. Januar 2019

Zur Startseite