Das Düsseldorfer Hetjens Museum zeigt Meissens berühmtes Blau-Weiß. Das Dekor bestimmen Zwiebeln – die eigentlich Granatäpfel sind
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28.11.2018
Nie hatte man um Freundschaft rückhaltloser sich beworben als ich um die des blauen Zwiebelmusters … Doch das gelang mir nie“, verrät Walter Benjamin in Berliner Kindheit um Neunzehnhundert. Was Benjamin seinerzeit nicht vermochte, als das Zwiebelmuster beinah in jedem Haushalt als feines oder alltägliches Geschirr zu finden war, kann der Besucher gegenwärtig im Düsseldorfer Hetjens Museum erproben. Da wird in „Zum Heulen schön!“ das „Meissener Zwiebelmuster in seiner ganzen Vielfalt (1730 – 1880)“ ausgebreitet. In Vitrinen, übervoll, eng nebeneinandergereiht und gestapelt. Übersichtlich geben sich nur ein Tisch, für 14 Personen gedeckt, und – als Solo – zwei figurenreiche Tafelaufsätze. Allerdings ist das lediglich ein Teil – wenngleich der erhebliche – einer Sammlung, die zweieinhalbtausend Porzellane vom Rokoko bis zum Historismus umfasst: alles Meissen und alles Zwiebelmuster.
Der Besucher wird also, wenn er den Ausstellungssaal betritt, erst einmal von der Fülle überwältigt. Und dann wird er allein gelassen. Denn auf eine Beschriftung hat man verzichtet. Da darf man also raten, welche Schüsseln und Schalen bereits im Rokoko entstanden, seit wann in Meissen jegliche Form, die es auch mit anderen Dekorationen gab, mit dem Zwiebelmuster verziert wurde. Offensichtlich ist nur, dass das Hinzufügen von Figuren bei Salzfässchen, Etageren, Girandolen und Tafelaufsätzen erst im Historismus aufkam, sodass nun auch Fleischtöne und einige andere Farben, wenngleich sparsam, mit dem strengen Blau-Weiß konkurrieren. Denn die Geschichte des Zwiebelmusters ist die Geschichte der Blaumalerei. Bereits Böttger hatte versucht, eine Farbe zu finden, die der Importware aus dem Fernen Osten entsprach. Wahrscheinlich waren in China die ersten Keramiken mit dem Unterglasurblau bereits in der Tang-Zeit (618 – 907) entstanden und in den nachfolgenden Jahrhunderten perfektioniert worden. Besonders geschätzt wurden sie dann von den Ming-Kaisern (1368 – 1644), während die nachfolgende Qing-Dynastie monochrome Glasuren oder die Buntmalerei bevorzugte.
Damals wanderte blau-weiß dekoriertes Porzellan, das nicht den Ansprüchen des Hofes entsprach, in den Export, nach Indien und Persien genauso wie nach Europa, wo es vielfach als Inbegriff der China-Ware galt. Deshalb erwartete August der Starke, wie ein Notizzettel überliefert, von seiner Manufaktur Porzellan mit „Rohadabläh“ (was als schöner Erfolg der gegenwärtig angepriesenen Methode des „Schreiben nach Hören“ gelten kann. Denn gemeint war, sächsisch intoniert, das „Roi de bleu“). Aber Böttger blieben stabile Ergebnisse versagt. Die Brände glückten manchmal – und wurden dann sofort dem Kurfürsten präsentiert. Aber oft genug gingen sie auch daneben. Erst um 1739 war man so weit, eine kontinuierliche Produktion aufzunehmen. Auf welche Vorbilder das Zwiebelmuster zurückgriff, wird noch immer diskutiert. Sicher ist jedoch, dass die „Zwiebel“ keine Zwiebel ist. Die drei Früchte auf der Fahne der Teller sind Granatapfel, Pfirsich und Fingerzitrone, drei chinesische Glücksfrüchte, die für zahlreiche Söhne, Langlebigkeit und viel Glück stehen. Aber diese exotischen Früchte kannten die Maler in Meissen natürlich nicht.
Das Zwiebelmuster wurde schnell populär – und damit zu einem Exportschlager für Meissen. Das belegen die vielen Nachahmungen in Fayence (seit 1740) und Porzellan – zuerst 1768 durch die KPM Berlin, später durch thüringische und böhmische Manufakturen genauso wie durch Fürstenberg und Royal Kopenhagen. Nur leider wird dieses Kapitel, das erst in seiner ganzen Breite – von der Vortäuschung der eigentlichen Herkunft bis hin zur finalen Anverwandlung – die Faszination des Zwiebelmusters sichtbar macht, nicht aufgeschlagen. Das Hetjens beschränkt sich darauf, auszubreiten, was ein monomaner Sammler zusammengetragen, geordnet und katalogisiert hat.
Die meist billigere Konkurrenz beeinträchtigte natürlich die Meissener Absatzzahlen. Dazu kam, dass gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Chinamode ausklang. Und als infolge der napoleonischen Kriege der Export in die Türkei und nach Russland – jahrelang gewinnträchtige Hauptabnehmer – nicht mehr möglich war, wurde die Produktion zeitweise eingestellt. 1814 bemühte man sich deshalb, mit einem fünfzigprozentigen Nachlass die Lager zu räumen. Erst im späten Biedermeier und vor allem in der Gründerzeit änderte sich das wieder. Fortan gehörte das Zwiebelmuster im gutbürgerlichen Haushalt zu Kaffee und Kuchen ebenso wie zu einem festlichen Essen. Das spiegelt sich in der Literatur – von Julius Stindes Familie Buchholz und Fontanes Frau Jenny Treibel über Thomas Manns Buddenbrooks bis hin zu Erich Loest mit seinem Roman Zwiebelmuster. Und auch im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm fehlt das Stichwort „Zwiebelmuster“ nicht.
Ursprünglich firmierte diese Unterglasurfarbe als „blau ordinaire mahlerey glatt“. Der gemeinhin gebräuchliche Name „Zwiebelmuster“ erscheint in einem offiziellen Schreiben des Direktors der Manufaktur erstmals 1851. Und dann gingen noch einmal zehn Jahre ins Land, ehe 1861 auf der Weltausstellung in London im Katalog ein Tafelservice als „Blaue ordinäre Malerei / Zwiebelmuster“ firmierte. Ende des 19. Jahrhunderts wurden in Meissen mehr als tausend verschiedene Teile mit dem Zwiebelmuster dekoriert – von Terrinen, Tellern und Tassen, Aschenbechern und Schreibtischgerät bis zu Nachttöpfen. Im Hetjens Museum präsentieren sich diese Porzellane jedoch nicht als Einzelstücke. Da marschieren sieben Milchkännchen, der Größe nach angeordnet, wie eine Patrouille auf, liegen ein halbes Dutzend Unterschalen wie abgelegt aufeinander, imponieren mehrere Leuchter in Reih und Glied. Für den Kenner, der die feinen Unterschiede in der Malerei zu würdigen weiß, der die Nuancen bei Blättern und Zweigen der Päonie im Spiegel zu entdecken trachtet, mag das ein Fest sein. Aber dem, der nicht mit solchem Detailinteresse in diese blau-weiße Flut eintaucht, bleibt als Balsam seiner Ignoranz nur Walter Benjamins Resignation: „Kalt und kriechend hielt das Zwiebelmuster meinen Blicken stand und hätte nicht das kleinste seiner Blättchen detachiert, um mich zu decken.“
Anmerkung der Redaktion:
Bis 31. Dezember ist außerdem die Sonderausstellung „Falsche Früchte auf echtem Meissener. Zur Geschichte des Zwiebelmusters“ in der Meissen Porzellan-Stiftung in Meißen, Talstraße 9, zu sehen. Dazu ist im Sandstein-Verlag Dresden die Publikation erschienen: „Zwiebelmuster. Von den Anfängen bis heute“, 142 S., 146 farbige Abb., ISBN 978-3-95498-368-1, 16 Euro – mit Forschungsergebnissen von Anja Hell und Lutz Miedtank.
„Zum Heulen schön! – Meissener Zwiebelmuster in seiner ganzen Vielfalt (1730 bis 1888)“
Hetjens Museum, Düsseldorf
bis 17. März
Kunst und Auktionen Nr. 19/2018