Eine Ausstellung im Frankfurter Liebieghaus erzählt von „Medeas Liebe“ und dem Unheil, das ihr folgte
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21.12.2018
Sind Medea und Jason Menschen? Charaktere? Oder sind sie nur Marionetten, deren Fäden die Götter ziehen, um ihre Rivalitäten von Sterblichen austragen zu lassen? Ist Jason nicht ein Held nur dank geliehener Zauberkräfte? Dank Verrat? Und ist Medea wirklich die Liebende oder nur die durch Göttertrug Getäuschte? Lediglich scheinfrei – wie Goethe es in Ananke nennt – als Rächerin und Mörderin ihres Bruders Absyrtos, der Könige Pelias und Kreon, der Rivalin Kreousa und ihrer eigenen Kinder, denen die Mythen nicht einmal eigene Namen zubilligen?
Zwar legt ihr Euripides, der sie als dramatische Figur für alle Zeiten geprägt hat, in den Mund: „Ich bin kein schwächlich Weib, bin nicht in Demut / Geduldig, sondern von der andren Art: / Den Feinden furchtbar und den Freunden treu.“ Doch gilt nicht eher Ovids Zeile: „Umsonst ach! kämpfst du, Medea“ – am Anfang, als sie durch Amors Pfeile Jason verfällt, und am Ende, als sie mit dem Schlangenwagen ihres Großvaters Helios dem Chaos entflieht? Kann darauf nur die Literatur in ihrer Vielfalt eine Antwort wagen? Oder vermögen das die kaum minder zahlreichen Bildwerke?
Diese Fragen stellt im Frankfurter Liebieghaus die Ausstellung „Medeas Liebe und die Jagd nach dem Goldenen Vlies“ – anhand einer Kunstfolge, die mit griechischen Skulpturen und römischen Repliken, apulischen Vasen und pompejanischen Wandmalereien die Abenteuer der Argonauten wie das Verhängnis der Begegnung von Medea und Jason schildert.
Dazu kommen aus dem Georgischen Nationalmuseum in Tiflis – als Einblick in Historie und Alltag des mythologischen Schauplatzes Kolchis, als dessen Erbe sich Georgien betrachtet – Funde aus der Bronzezeit: Waffen, Werkzeuge, Goldschmuck und kleine Bronzestatuetten, deren kultische Bedeutung bislang nicht entschlüsselt werden konnte. Das geht über das 3. / 4. Jahrhundert nicht hinaus. Mit einer Ausnahme: der „Ariadne auf dem Panther“ aus dem frühen 19. Jahrhundert, weil Ariadne mit Medea als Cousine verschwägert war (und Danneckers Skulptur im Liebieghaus zu Hause ist). Sonst aber wurde auf den Bilderschatz der vorhergehenden wie der nachfolgenden Zeit verzichtet, der von Delacroix und Feuerbach, die Präraffaeliten, Moreau und Mucha bis zu Cézanne und Beckmanns enigmatischen „Argonauten“ reicht.
Die Auswahl – immerhin mit Leihgaben aus bedeutenden archäologischen Sammlungen in Paris, dem Vatikan, Neapel, London, München, Göttingen oder Berlin – ist zwar der Kunst verpflichtet, jedoch nicht der Chronologie der Kunstgeschichte. Sie versteht sich als eine Erzählung, die sich an das Nacheinander der Ereignisse hält, wie sie in den verschiedenen Versionen der Argonautensage aufgezeichnet wurden. Sie beginnt dementsprechend mit der Rettung der böotischen Königskinder Phrixos und Helle durch Chrysomallos, den geflügelten Widder mit dem goldenen Vlies, der sie nach Kolchis tragen soll. Das wird mit einer rotfigurigen Schale aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., einem melischen Relief aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. und einem pompejanischen Wandgemälde aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. bebildert.
Und den Faustkampf zwischen Amykos und Polydeukes schildern eine lukanische Hydria und ein gravierter etruskischer Spiegel. Sie sind die Begleitmusik zu den Nachgüssen der beiden römischen Großbronzen, des sogenannten Thermenherrschers und des Faustkämpfers, an denen – dem speziellen Forschungsgebiet des Liebieghauses entsprechend – demonstriert wird, wie diese Skulpturen einst wohl farbig gefasst waren. Daraus ergeben sich überzeugende Hinweise, dass beide Statuen wahrscheinlich die Kontrahenten des Kampfes am Bosporus darstellen.
Medea erscheint hier in unterschiedlichen Rollen: als Zauberin, die den Drachen, der das Goldene Vlies bewacht, einschläfert, oder einen Widder verjüngt, um die Peliaden zu täuschen. Aber genauso tritt sie auf Wand- und Vasenmalereien mit gezücktem Schwert und beim Mord an ihren Kindern auf. Begleitet wird das von Wandtexten, die die antiken Überlieferungen um die Argo, um das Geschehen in Kolchis und Korinth zusammenfassen, sodass man der alten Sage im Spiegel der Künste zu folgen vermag.
Es ist eine sympathische Lektion, aufzufrischen, was man einmal wusste – oder nie gewusst hat. Und sie macht deutlich, dass auch in weit zurückliegenden Zeiten vor allem die dramatischen Ereignisse, die Kämpfe auf Leben und Tod, die unerwarteten Bedrohungen und Schicksalsschläge – mochten sich da auch die Götter eingemischt haben –, die Künstler beflügelten. Die zehn glücklichen Jahre, die Medea und Jason vor dem fatalen Ende in Korinth miteinander lebten, interessierten sie nicht. Die „Vermengung des sogenannten Romantischen mit dem Klassischen“, die Grillparzer mit seiner Dramentrilogie „Das goldene Vließ“ anstrebte, genügte nicht malerischen oder skulpturalen Intentionen. Nicht „Edle Einfalt und stille Größe“ sind es, sondern die Schönheit des Schrecklichen, die hier die Antike verständlich werden lässt – ohne auf all die Fragen endgültige Antworten zu geben.
„Medeas Liebe und die Jagd nach dem Goldenen Vlies“
Liebieghaus, Frankfurt
bis 10. Februar