Das Kunstgewerbemuseum Dresden bringt bislang unbekannte Designerinnen der Werkstätten Hellerau ans Licht
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21.01.2019
So geht es auch: An der Stirnseite der Ausstellung hängt eine Schwarzeiß-Fotografie. Vier Herren – zwei sitzend, zwei stehend – mit diesem selbstbewussten Gestus, der Architekten und Gestalter bereits im frühen 20. Jahrhundert kennzeichnete. Doch wer sie sind, bleibt unklar. Informationen zu diesem Bild fehlen. So ähnlich muss die Situation gewesen sein, als sich die Leiterin des Dresdner Kunstgewerbemuseums Tulga Beyerle und ihre wissenschaftliche Mitarbeiterin Klára Němečková über die „Designerinnen der Deutschen Werkstätten Hellerau 1898 bis 1938“ beugten.
Dass die Frauen dran sind mit einer Ausstellung, ist im Jahr 100 nach Einführung des Frauenwahlrechts nicht erklärungsbedürftig. Doch um sie sichtbar werden zu lassen, hatte Němečková einige Schwierigkeiten zu überwinden: fehlende Vornamen in Katalogen, fehlende Namenskontinuität nach Heirat, fehlende Werke in Sammlungen, fehlende Nachlässe in Archiven. Zum Schluss standen dennoch rund 50 Designerinnen auf der Liste. 19 von ihnen treten in der Ausstellung auf gelben Podesten optisch, biografisch und künstlerisch in Erscheinung – weitere 34 stellt der begleitende Katalog vor.
Und plötzlich gewinnt Hellerau an Farbe. Man verbindet mit Hellerau ja stets die Maschinenmöbel Richard Riemerschmids und Bruno Pauls, später dann auch den Typensatz 602 von Franz Ehrlich ‒ gefertigt nach dem Grundsatz „einfach, aber gut gestaltet“. Der Tischler und Unternehmer Karl Schmidt, der die Deutschen Werkstätten mit so vielen Idealen für ein humanistischeres Weltbild gegründet hatte, beauftrage Frauen jedoch von Anfang an mit Entwürfen und stellte sie auch bei der Bezahlung ihren männlichen Kollegen gleich. Mit den Designerinnen kommen leuchtend violette, blaue, grüne Tapetenmuster ins Spiel, rote Tupfen in schwarzweißen Stickereien, eine flaschengrüne, im Original orangerote Schleiflack-Kommode von Else Wenz-Viëtor.
Letztere bricht mit dem Werkstätten-Grundprinzip der „Materialehrlichkeit“ ‒ was Holz war, sollte als Holz sichtbar sein. Doch Else Wenz-Viëtor kombinierte in den Zwanzigerjahren für Hellerau Materialien, Linien und Farben mit schlafwandlerischer Sicherheit zu stimmigen, nie überladenen Objekten.
Ihre Deckelvasen in Weiß, Gelb und Grün, ihr klassizistisch anmutender Vitrinenschrank, die zarten Wassergläser und das Tapetenmuster mit den hellblau-rosé-farbenen Rauten auf himmelblauem Grund sind so zeitlos, dass eine Altersbestimmung anhand stilistischer Merkmale schwerfallen dürfte. Das Gleiche gilt für die Wollwebstoffe von Margaret Leischner oder die Dekorationsstoffe von Bertha Senestréy, deren rot-orange-blau-weiße Streifen oder salbeigrün-chromgelb-schwarze Karos noch heute zeitgemäß wirken. Der etwas steifbeinige Charme der überkommenen Hellerau-Produktion gewinnt mit dieser weiblichen Ergänzung deutlich an Fülle und Form, an Detail- und Lebensfreude.
Die Ausstellungsetage ist als Zeitstrahl aufgebaut: Angefangen bei einem wuchtigen, klosterstrengen Kleiderschrank Gertrud Kleinhempels und einer aufs Wesentliche reduzierten Regalwand von Margarete Junge, die die beiden Frauen um 1906 für die Theophil Müllers Dresdner „Werkstätte für deutschen Hausrat“ entwarfen, bis hin zu den Stoffmustern von Hildegard Geyer-Raack, die den Linienschwung und Farbkanon der Fünfziger- und Sechzigerjahre schon 1938 in sich tragen. Die Produkte, die für die Deutschen Werkstätten entstanden, sind auf einer Mittellinie angeordnet, und es ist erstaunlich, was die Kuratorin Němečková alles aus den ersten 40 Jahren des Unternehmens zusammentragen konnte: Möbel, Spielzeug, Spitzen, Bezugsstoffe, Teppiche, Tapeten, Taschen, Tassen.
Ab 1907 gaben die Werkstätten beim Tapetenhersteller Erismann & Cie. ihre „Neu-Deutschen Künstler-Tapete Kollektion“ in Auftrag, darunter die abstrahierten Beerenbänder-Muster (Tapete Nr. 20), die Emmy Seyfried 1908 aus fünf Violett- und Blautönen entwickelte und die in Fachzeitschriften dieser Zeit viel Lob einheimsten. Bereits 1905 gab es zudem die Deutschen Werkstätten Textilgesellschaft (DeWeTex). Gestalterinnen wie Bertha Senestréy oder Elisabeth Eimer-Raab brachten es dort fast zwangsläufig zu großer Meisterschaft in den Musterrapporten ‒ waren doch Textilien und Tapeten eine Gestaltungs-Nische für Frauen, die 1909 unter anderem vom Kunstkritiker Karl Scheffler bescheinigt bekommen hatten, keinen Sinn für Konstruktionen und 3-D-Ansichten zu haben. Ihre Stärke läge im Ornamentalen – was nicht weiter verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass die Studienpläne der wenigen Kunstgewerbeschulen, die Frauen aufnahmen, weder technisches noch anatomisches Zeichnen vorsahen.
Muster entwickeln war hingegen ein zentraler Unterrichtsinhalt. Nichtsdestotrotz fertigten bereits Margarete Junge und Gertrud Kleinhempel perfekte 3-D-Ansichten ihrer Möbel an ‒ bei denen nur die Frage offen bleibt, wo sie das eigentlich gelernt hatten. Zumindest Junge konnte ihre Fähigkeiten ab 1907 an prominenter Stelle weitergeben: Als erste Frau wurde sie zur Professorin an der Dresdner Königlich-Sächsischen Kunstgewerbeschule berufen.
„Gegen die Unsichtbarkeit. Designerinnen der Deutschen Werkstätten Hellerau 1898 bis 1938″, Kunstgewerbemuseum, Japanisches Palais
bis 3. März