Das Suermondt-Ludwig-Museum zeigt, wie es sich mit flämischen Meisterwerke wohnt
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04.01.2019
So etwas erwartet man auf den Hochglanzseiten eines Magazins für den gehobenen Lebensstil – jedoch nicht im Museum. Tatsächlich ist das Ambiente aus einem veritablen, mit erlesenen Antiquitäten ausgestatteten Haus fotografisch für die Ausstellung „Chambre Privée – Flämische Meisterwerke aus dem Wohnzimmer eines Sammlers“ in das Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen übertragen worden. Hier sieht man also auf Fototapeten in Originalgröße kostbare Möbel, altes Silber, edle Porzellane – und eben diese museumswürdigen Gemälde, die wie selbstverständlich über dem Sofa oder einer Kommode hängen.
Seit 1979 hat der jetzt 91-jährige private Leihgeber seine niederländische Altmeister-Sammlung mit kunsthistorischen Expertisen und wachsenden eigenen Kenntnissen zusammengetragen. Damit sein Wohnzimmer nicht gar zu sehr „geplündert“ wirkt, verzichtet er zunächst nur auf die Flamen; die Holländer werden dann 2020 im Museum zu sehen sein. Schnell stellt sich heraus, dass er Stillleben bevorzugt – immerhin so viele, dass sich der Vergleich untereinander anbietet. Auch darin liegt der Reiz dieser Kabinett- oder besser noch Wohnzimmerausstellung. Die um 1600 von Paul Bril (1553 / 54 – 1626) auf Kupfer gemalte „Berglandschaft mit der Flucht nach Ägypten“ zeigt sich als Paradebeispiel der flämischen Landschaft in ihrer kanonischen, hier besonders nuancierten Farbabfolge von Braun, Grün und Blau. Sehr wohl könnte das wilde Gebirgspanorama unter lebhaftem Himmel ohne die Staffage auskommen und als autonome Landschaft gelten. Der Maler aber hat der kleinen biblischen Szene am rechten Bildrand wohl doch einige Bedeutung beigemessen, denn auf der linken Seite verweisen zwei Hirten als figürliches Pendant mit Fingerzeig auf die heilige Familie. Vielleicht wollte er eine Tradition fortführen, die auf Joachim Patinir und Pieter Bruegel d. Ä. zurückgeht, die beide die „Flucht nach Ägypten“ in ihre erdachten Weltlandschaften integriert hatten.
Etwa um 1605 haben sich Joos de Momper II. (1564 – 1635) und Jan Brueghel d. Ä. (1568 – 1625) zu einer offenbar bereits bewährten Koproduktion zusammengetan: Brueghel hat die figürliche Staffage in de Mompers „Weite Landschaft mit Reisenden“ gesetzt. Auch dieses Bild folgt koloristisch dem sogenannten Drei-Gründe-Schema, nähert sich jedoch strukturell schon der ausgewogenen klassischen Landschaft. Sehr viel später liefert der weniger bekannte Théobald Michau (1676 – 1765) in der „Dorfstraße mit Bauern“ noch so etwas wie einen Epilog der flämischen Landschaftstradition, wobei er nun dem lebhaften bäuerlichen Geschehen eigenes Gewicht verleiht.
Das „Blumenbouquet in einem Fenster“ von Ambrosius Bosschaert d. Ä. (1573 – 1621) hat bereits 2016 als Vorbild seines Schülers Balthasar van der Ast in Aachen seine museale Qualität unter Beweis gestellt. Bosschaerts kleine Kupfertafel führt das reichhaltige Repertoire seiner Stilllebenmalerei zusammen: zahlreiche Blüten verschiedener Jahreszeiten, darunter die kostbaren, geflammten Tulpen, Insekten und das mit aufblitzenden Brombeernuppen besetzte Glas, das er dem „Blumen-Brueghel“ (Jan d. Ä.) abgesehen haben könnte. Der Maler hat die Nische, sonst Kulisse seiner Blumengebinde, geöffnet, sodass sich ein Fensterblick in eine atmosphärisch verklärte Landschaft ergibt. Daniel Seghers (1590 – 1661) steht Bosscharts Blumenkunst nicht nach. Er hat auf eine rahmende Architektur verzichtet und seinen „Blumenstrauß in einer Vase“ vor einen dunklen Grund gesetzt. Die miteinander konkurrierenden Tulpen- und Rosenblüten glühen, als wollten sie die Natur übertreffen. Auch Seghers erzielt mit dem transparenten Glas und den Lichtreflexen einen Trompe-l’œil-Effekt.
Das „Stillleben mit Tazza, Früchten, Wild und Vögeln“ von Frans Snijders (1579 – 1657) trifft die Leidenschaften des anonymen Leihgebers ganz besonders. Denn ehe er sich der Malerei zuwandte, war er passionierter Jäger, was man vor 1979 auch seinem Wohnzimmer angesehen haben soll. Demnach hat er – auch seiner Frau zuliebe – die Jagdtrophäen peu à peu gegen die Gemälde ausgetauscht. In der Rückschau kann man ihn also zu Recht als Jäger und Sammler bezeichnen. Snijders’ Bild ist jedoch auch charakteristisch für ihn, der hier zwei Motive – das Früchtestillleben auf der linken und das Jagdstillleben auf der rechten Bildseite – kombiniert hat, als hätte er seinem Auftraggeber oder Käufer sagen wollen: „Seht, was ich zu malen imstande bin!“ Mühelos beherrscht er die Stofflichkeiten seiner so verschiedenen Motive. Leicht könnte man überdies das breite Querformat zugunsten zweier eigenständiger Stillleben teilen, was übrigens auch schon mit vergleichbaren Gemälden geschehen sein soll. Bei den letztlich verderblichen Früchten und dem erlegten Wild, dem Wort nach „stilles Leben“ oder „natura morte“, wird die zugrundeliegende Symbolik der Vergänglichkeit offenkundig.
Längst hat der Privatsammler seinen Blick auch auf andere Themen gelenkt, beispielsweise auf die flämische Spezialität einer „Blumengirlande mit Madonna und Kind“, die wiederum zwei Künstler vereint. Die Girlande stammt von Andries Danielsz (ca. 1580 – 1640), einem Schüler des jüngeren Pieter Brueghel. Der Maler der Madonna ist unbekannt, er wird jedoch „Mutter und Kind“ von Anthonis van Dyck vor Augen gehabt haben. Diesem wiederum war bis 1990 das Historiengemälde „Beweinung Christi“ zugeschrieben, das inzwischen – ein aktuelles Forschungsergebnis – als Werk des Rubens-Schülers Jan Boeckhorst (1604 – 1668) gilt. Rubens selbst ist mit einer Skizze für die biblische Szene „Anbetung der Heiligen Drei Könige“ präsent; und Adriaen Brouwers’ (1605/06 – 1638) Bildchen „Trinkender Bauer“ vertritt das Genre, das zwischen Belustigung und Belehrung schwankt. „Sammler sind glückliche Menschen“, soll – so heißt es im Katalog – Goethe gesagt haben. Dem kann man angesichts der Schätze aus diesem Wohnzimmer nur zustimmen.
„Chambre Privée – Flämische Meisterwerke aus dem Wohnzimmer eines Sammlers“
Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen
bis 3. Februar