Ausstellungen

Gemaltes Geschichtsbuch

Das Wallraf-Richartz-Museum in Köln überblickt 300 Jahre US-amerikanische Kunst. Und illustriert damit das Erwachsenwerden einer jungen Nation

Von Tim Ackermann
15.02.2019

Als im aufgeklärten Europa des Jahres 1735 Maurice Quentin de La Tour in Paris das Antlitz Voltaires in zarten Pastellstrichen festhielt und in London der malende Moralapostel William Hogarth sich im stolzen Selbstbildnis verewigte – da nahm 3000 Seemeilen weiter westlich ein vollkommen unbekannter Maler einen Porträtauftrag an, der sich im Rückblick als nicht weniger bedeutsam erweisen sollte: Gustavus Hesselius, ein gebürtiger Schwede, hatte 20 Jahre zuvor das Schiff nach Amerika bestiegen, um sein Künstlerglück zu suchen. In Philadelphia traf er nun Lapowinsa, sein Porträt des Lenape-Häuptlings gehört zu den ersten Bildern, das einen nordamerikanischen Ureinwohner mit individuellen Gesichtszügen zeigt.

Das Porträt einer schwierigen Geschichte

Die Familie Penn, Gründer des US-Bundesstaates Pennsylvania, hatte das Bildnis bei Hesselius in Auftrag gegeben. Lapowinsa sieht darauf etwas niedergeschlagen aus, so, als ahnte er schon, was ihm blühen würde. Kurze Zeit später führte er in Philadelphia Vertragsverhandlungen mit den Penns und ließ sich dabei hereinlegen. Am Ende verlor sein Stamm beim sogenannten Walking Purchase einen beträchtlichen Teil seines Landes.

Hesselius’ Bild wurde nachträglich zum Zeugnis dieser Niederlage.
Bilder bestimmen, wie wir die Welt sehen. Lapowinsas Porträt thematisiert dieses Machtverhältnis in doppelter Hinsicht: als künstlerisches Symbol nicht nur für den Gegensatz von Sieger und Verlierer, sondern auch für den zwischen Zentrum und Peripherie. Denn die Maler im entlegenen Nordamerika spielten in der Kunstgeschichte lange Zeit keine Rolle, als entscheidend wurde angesehen, was in Europa geschah.

Die Ausstellung wählt einen bisher vernachlässigten Fokus

Eine Haltung, die bis heute fortwirkt, wenn es um die Kunst vor 1940 geht. Es ist also ein Verdienst, dass das Wallraf-Richartz-Museum in Köln nun eine Ausstellung zeigt, die US-amerikanische Kunst von 1650 bis 1950 versammelt – der erste umfassende Überblick in Deutschland seit vier Jahrzehnten. Zuletzt zeigte das Hamburger Bucerius Kunst Forum drei Sonderausstellungen zur Zeit von 1800 bis 1950, fokussierte sich dabei jedoch stärker auf einzelne Künstler und Strömungen.

Qualitätvolle, wenn auch eher unbekannte Werke

Lapowinsas Porträt ist ohnehin älter. Man findet es am Anfang der Ausstellung zwischen den Bildnissen heute unbekannter, Perücke tragender Lokalmatadoren des Kolonialzeitalters. Der Parcours ist chronologisch kuratiert, und aufgrund der kleinen Räume sind viele Künstler mit nur einem beispielhaften Werk vertreten. Auch leihen die US-amerikanischen Museen ihre berühmtesten Schätze ungern aus, sodass man vorwiegend auf Gemälde unterhalb der Kalendermotivkategorie blickt. Ihre Qualität schmälert das nicht. Der Besuch der Ausstellung lohnt, auch weil man sehr schön sehen kann, wie Politik und Zeitgeschichte in die amerikanische Kunst eingeflossen sind.

Kunst als Zeitzeuge

Zum „nation building“ gehört auf jeden Fall John Trumbulls „The Declaration of Independence, July 4, 1776″. Das Gemälde – entstanden erst 1832 – zeigt den Moment, als der Entwurf der Unabhängigkeitserklärung im Zweiten Kontinentalkongress vorgelegt wurde. Adams, Sherman, Livingston, Jefferson und Franklin treten im Bild gemeinsam an den Tisch, und ein witziges Detail ist, dass Trumbull die Frisuren der fünf Protagonisten viel einfacher und bescheidener malt als die der umgebenden Abgeordneten. Soll das vielleicht auf die praktische Vernunft des nationalen Ablösungsprozesses hindeuten?

Romantische verklärte Blicke der Landschaftsmaler

Aus der Doktrin des „Manifest Destiny“, der „offensichtlichen Bestimmung“, folgte Mitte des 19. Jahrhunderts die Eroberung des Kontinents durch weiße Siedler. Und die romantischen Künstler der sogenannten Hudson River School – wie der Engländer Thomas Cole, der gebürtige Solinger Albert Bierstadt oder Asher Brown Durand aus New York – verklärten das, indem ihre Bilder eine unberührte Landschaft vorführten. Dass dort Ureinwohner lebten, interessierte die Maler nur am Rande. Ihr Paradies bot sich den Zeitgenossen zum Besiedeln an.

Urbane Themen und stilbildende Maschinenästhetik

Dabei waren die Amerikaner zu dieser Zeit schon eine Gesellschaft von Städtern, was sich auch in ihren Bildern zeigte: Bei den Malern des „Gilded Age“ um 1865 wird die Natur zum Vergnügungsplatz für gelangweilte Großstädter, wie die beiden Damen in Winslow Homers „Das Kroquetspiel“ (1866) beweisen. Die Künstler der „Ashcan School“ hielten dagegen nach 1900 die rauen Seiten New Yorks fest, John Sloans vernieselter Blick von der Staten Island Ferry oder George Bellows’ turbulente Boxkampfszene („Club Night“, 1907) sind trotz aller Härte wundervolle Malerei.

Auf die Apotheose der Maschinenästhetik im Präzisionismus der Zwanzigerjahre, einem uramerikanischen Stil mit Malern wie Charles Demuth oder George Ault, reagierte wiederum um 1930 der Regionalismus mit Bildern des Landlebens, gemalt von Grant Wood oder John Steuart Curry. Und dann gab es Maler, die sowohl urbane als auch ländliche Motive meisterhaft abbildeten: Georgia O’Keeffe und Edward Hopper sind mit schönen Werken vertreten.

Verschiebung des Zentrums

Die Ausstellung endet im letzten Raum mit kleineren Formaten der Abstrakten Expressionisten – Pollock, Newman, Rothko. Ihre nach 1940 in New York entstandenen Bilder eroberten wenig später Europa. Es war der Moment, in dem sich eine Zeitenwende in der Kunst ankündigte: Die Peripherie wurde zum neuen Zentrum.

Service

Ausstellung

„Es war einmal in Amerika – 300 Jahre US-amerikanische Kunst“
Wallraf-Richartz-Museum, Köln

bis 24. März

Dieser Beitrag erschien in

Weltkunst Nr. 153/2019

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