Ausstellungen

Koloniale Vergangenheit, kritische Gegenwart

Ist dem belgischen Africa Museum die Auseinandersetzung mit dem eigenen Kolonialerbe geglückt?

Von Peter Dittmar
08.02.2019

King Kasei, der Elefant, ist nach fünfjährigem Exil an seinen angestammten Platz zurückgekehrt. Nun schaut er wieder in die Rotunde unter der mächtigen Kuppel. Und dort dürfen wie eh und je vier überlebensgroße vergoldete Bildwerke, stets ein aufrecht stehender Belgier und ein Kongolese zu seinen Füßen, von ihren hohen Podesten herab die Segnungen der Kolonisation verkünden: „Belgien bringt die Zivilisation in den Kongo“, „Belgien schenkt dem Kongo Wohlstand“ etc. Allerdings müssen sie den Raum jetzt mit einem riesengroßen hölzernen, durch regelmäßige quadratische Bohrungen und eine winzige Palme verfremdeten Kopf „Neuer Atem – Aufblühender Kongo“ des kongolesischen Künstlers Aimé Mpané teilen – die Arbeit verkörpert programmatisch die veränderte Ausrichtung des einstigen Museums für Belgisch-Kongo.

Denn das große Haus im königlichen Park von Tervuren an der Brüsseler Peripherie, ein Stilmix aus barocken und klassizistischen Elementen wie er vor und nach 1900 für Bahnhöfe, Gerichtsgebäude und ähnliche Repräsentationsbauten üblich war, bleibt der Vergangenheit verhaftet.

Die Aufarbeitung einer grausamen Vergangenheit

Obwohl 1952 in „Königliches Museum für Zentralafrika“ umbenannt, präsentierte es sich weiterhin als ein Museum kolonialen Stolzes. Erst nach der Jahrtausendwende begann die Diskussion, wie die kaum ruhmvolle belgische Kolonialgeschichte zeitgemäß darzustellen sei, wie sie kritisch „entkolonialisiert“ werden könne. Denn bei der Berliner Konferenz 1884 / 85 war König Leopold II., der sich zuvor bereits heimlich die Mehrheit in der Internationalen Kongo-Gesellschaft gesichert hatte, das Gebiet gleichsam als Privatbesitz zugesprochen worden. Die rigorose Ausbeutung der „Kongo-Freistaat“ genannten Kolonie machte als „Kongogreuel“ bald Schlagzeilen. Doch erst 1908 war der König bereit, seine Vorrechte dem belgischen Staat zu übertragen. Zuvor hatte er bei der Weltausstellung 1894 in Antwerpen und 1897 mit der Kolonialausstellung in Tervuren, für die eigens das „Palais des Colonies“ gebaut wurde, versucht, der Kritik entgegenzuwirken. Das mündete in die Gründung des Kolonialmuseums, das jedoch erst 1910 – nach dem Tod des Königs – eröffnet wurde.

Die Museumsräume werden neu erschlossen

Konzipiert war es als ethnografische und naturkundliche Sammlung, verbunden mit einem Forschungsinstitut, das den wirtschaftlichen Nutzen erkunden und fördern sollte – durchaus zum Nutzen der Schatulle des Königs. Diese Kombination gilt auch heute noch – wenngleich nun in umgekehrter Richtung, zugunsten der Förderung der zentralafrikanischen Staaten: vor allem Kongo, Ruanda und Burundi. Das spiegelt sich in der Erweiterung des Museums, die 2006 beschlossen worden war, jedoch erst 2013 begann und sich über fünf Jahre hinzog. Denn als tückisches Hindernis einer grundlegenden Veränderung erwies sich der Denkmalschutz, unter den das historische Gebäude gestellt worden war. Deshalb konnte die Rotunde mit ihrem Lob des fürsorglichen Kolonialisten nicht verändert, sondern lediglich durch den Kopf von Mpané ein wenig anders akzentuiert werden. Immerhin fungiert sie nicht mehr als beeindruckender, einschüchternder Eingang – der wurde etwa 100 Schritte neben dem historischen Bau in einen großen gläsernen Kubus verlegt. Er dient als Foyer mit Auditorium, Museums-Shop, Bistro und Garderobe. Ein langer Gang mit einem 22 Meter langen Einbaum als Ouvertüre (flankiert von einer Halle, die für Wechselausstellungen und Tagungen dienstbar gemacht werden kann) führt nun unterirdisch in das Haupthaus. Zuerst in dessen gewölbten Keller, in dem demonstrativ politisch unkorrekte Skulpturen – Afrikaner als „Wilde“ oder Porträtbüsten belgischer Kolonialoffiziere – zusammengeräumt wurden. Von hier gelangt man dann – sozusagen über die Hintertreppe – in den Paralleltrakt an der Rückseite des den Innenhof umfassenden Museumsrechtecks.

Ein Bogenschlag in die belgische Gegenwart

Dort hat sich so gut wie alles geändert. Von der vorwiegend naturhistorisch und völkerkundlich geprägten Ausstellung hat man sich verabschiedet. Die wichtigen Stücke der Sammlung werden nun nicht mehr nur als ethnografische Beweisstücke, sondern auch als Kunstwerke gezeigt. Dem dient der Marmorsaal mit einer umfangreichen Auswahl von Masken, Skulpturen, Elfenbeinschnitzereien sowie geschnitzten Löffeln, Stühlen und Waffen als „Gebrauchskunst“. In den Begleittexten geht es deshalb nicht nur um Funktion und Gebrauch, sondern auch um Fragen nach der Ikonografie und dem Stil, nach dem Künstler und – bereits zu Kolonialzeiten – der Produktion für Touristen. Diese Beispiele entstanden vorwiegend im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Künftig soll jedoch die Gegenwart, die zeitgenössische Kunst von Afrikanern, die in ihrer Heimat oder in Europa leben, stärker berücksichtigt werden. So wie man generell hofft, mit dem „Afrolab“ als Begegnungs- und Dokumentationsraum die belgischen Afrikaner, immerhin zwei Prozent der Bevölkerung, in die Museumsarbeit einbeziehen zu können.

Ein Museum im Museum

An die ersten 100 Jahre des Museums erinnert nur noch der Krokodil-Saal mit den romantischen Wandgemälden von afrikanischen Landschaften, historischen Fotos, den naturkundlichen Objekten in den historischen Vitrinen und dem gläsernen Achteck mit zwei ausgestopften Krokodilen in der Mitte.

Das soll als Museum im Museum gesehen werden. Die Tableaus mit Zelt, Stuhl, Koffer und anderen Erinnerungsstücken an die Expeditionen von Henry Morton Stanley, der zweimal im Auftrag von Leopold II. den Kongo erkundete, sind wie alles, was dem Koloniallob diente, nun verschwunden. Nur die Gedenkwand mit den Namen von 1508 Belgiern, die zwischen 1876 und 1908 im Kongo ums Leben kamen, musste, weil denkmalgeschützt, so belassen werden. Allerdings wird sie nun von einer Projektion mit den Namen von Kongolesen überblendet, die im selben Zeitraum zu Tode kamen. Das ist Teil der ständigen Ausstellung, die – gegenwärtigem Verständnis entsprechend – einen „neuen Blick auf die koloniale Vergangenheit“ wie die Geschichte des Landes nach der Unabhängigkeit verspricht. Wobei – was die letzten Jahrzehnte betrifft – die Verhältnisse eher mit sanften Vokabeln wie schwierig, tragisch und widersprüchlich umschrieben werden.

Die Exponate werden umfassend kontextualisiert

Das Africa Museum besitzt unter anderem zehn Millionen naturkundliche Objekte, eine halbe Million Fotos und Filme, 125 000 Ethnografica, die einmalige „Bibliothek“ mit Beispielen von 63 000 Holzarten, aber auch 8600 Musikinstrumente und 4000 Kunstwerke. Davon kann nur etwa ein Prozent ausgestellt werden. Das gilt für die Bereiche, in denen das Museum die historische Bestandsaufnahme mit gegenwärtigen Forschungen verbindet. Sie werden als „Paradox der Reichtümer“ (die Kongo besitzt, und die seinem Nutzen dienen sollten) und „Landschaften und Biodiversivität“ in den langen Sälen beidseitig der Rotunde veranschaulicht – auch mit den Taxidermien von „King Kasei“, einer Giraffe oder einem Leopard, der eine Antilope schlägt. Und das trifft auf alle ethnologischen Objekte zu, die Alltagsgegenstand wie Kunstwerk sein können. Das verdeutlicht beispielsweise die Vielfalt der „sprechenden Trommeln“ in Tierform, die manchmal sehr schlicht, ein andermal höchst kunstvoll geschnitzt worden sind. Und das charakterisieren in der Dauerausstellung ausführlich die Ethnografica in den Kapiteln „Rituale und Zeremonien“ sowie „Sprachen und Musik“, deren Herkunft und Funktion jeweils auf Schrifttafeln und mit digitalen Medienstationen stets dreisprachig (flämisch, französisch, englischmund häufig zusätzlich deutsch) erläutert werden. Dabei werden auch die Fragen nach Provenienzen und Rückgabeforderungen nicht ausgeklammert.

Die Komplexe Situation der Restitution

Das Thema ist besonders virulent, nachdem der Bericht, der im Auftrag von Präsident Macron für Frankreich erarbeitet wurde, für eine pauschale Restitution plädierte (s. KUA 1, S. 36). Demgemäß hat Joseph Kabila, langjähriger Präsident des Kongo, im Dezember gefordert, Belgien habe, wenn im Juni das mit koreanischer Hilfe gebaute Nationalmuseum in Kinshasa eröffnet würde, dem Land sein Erbe zurückzugegeben – ohne zu spezifizieren, was er im Einzelnen darunter versteht. Guido Gryseels, seit 2001 Generaldirektor des Africa Museums, sieht das gelassen. Er ist nicht gegen die Rückgabe, wenn zuvor ausreichend geklärt wurde, was legal, was illegal in das Museum kam. In einem Interview erwähnte er allerdings, dass Kongo bislang 85 000 Artefakte in Kinshasa unter höchst unzureichenden Bedingungen gelagert habe. Auch hätte das Museum zwischen 1976 und 1982 dem Kongo 114 Werke übergeben. Doch während des Bürgerkriegs nach dem Sturz Mobutus seien die Objekte verschwunden und auf dem Schwarzmarkt aufgetaucht.

Eine Differenzierung ist notwendig

Das Für und Wider ist jedenfalls nicht mit einem Ja oder Nein abzutun. So wurde in der Neuen Zürcher Zeitung daran erinnert, dass das zwischenstaatliche Unesco-Komitee „Restitution“ und „Rückgabe“ unterschieden wissen will. Die „Restitution“ betrifft Objekte, die nachweislich rechtswidrig erworben wurden, während „Rückgaben“ einem Entgegenkommen bei Werken entspricht, die rechtens den Eigentümer gewechselt haben. Angesichts der Fülle und Unterschiedlichkeit des Bestands ist diese Differenzierung für das Africa Museum zweifellos wesentlich, aber gewiss nicht von heute auf morgen zu beantworten. Dem Besucher, der einen Eindruck von Afrika, von afrikanischer Kunst gewinnen will, bleibt Tervuren deshalb ein lohnendes Ziel.

Service

Besuch

„Royal Museum for Central Africa – Africa Museum“, Tervuren

www.africamuseum.be

Dieser Beitrag erschien in

Kunst und Auktionen Nr. 2/2019

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