Ausstellungen

Das schönste Regenbild der Welt

Dank einer kostbaren Leihgabe zeigt die Alte Nationalgalerie in Berlin, wie der Maler Gustave Caillebotte den Impressionismus interpretierte

Von Tim Ackermann
22.05.2019

Gemütlicher wurde ein vernieselter Spaziergang nie gemalt: Die Pariser Herren und Damen haben sich unter ihren Schirmen richtiggehend fein gemacht, tragen Fliege und Perlenohrring zur Promenade. Stilistisch zählt die Szene zum Impressionismus, doch ist ihre Atmosphäre weit entfernt von der dunstigen Feuchtigkeit in Claude Monets Gemälde „Impression, soleil levant“ (1872), das der Bewegung den Namen gab, oder dessen frühen nebeligen Themseansichten. Gustave Caillebottes „Straße in Paris, Regenwetter“ fühlt sich fast trocken an.

Idealbild des Bürgertums

Das Wetter spielt in dem 1877 gemalten Bild ohnehin die untergeordnete Rolle, das Augenmerk liegt auf der getreuen Wiedergabe der Stadtlandschaft und ihrer Bewohner. Das Impressionistische findet sich eher in der Suggestion einer Spontanität durch den gewählten Ausschnitt – in dem sich dennoch alles am Ende zum wohlkomponierten Idealbild einer bürgerlichen Gesellschaft fügt.

Gustave Caillebottes „Straße in Paris, Regenwetter“ gehört heute zur Sammlung des Art Institute in Chicago. Ausgeliehen wird das in seiner Breite imposante 2,76 Meter messende Hauptwerk des französischen Malers (1848–1894) nur in sehr selten Fällen. Durch ein temporäres Tauschgeschäft ist das Gemälde nun jedoch nach Berlin in die Alte Nationalgalerie gelangt, die im Gegenzug das nicht minder eindrucksvolle Bild „Im Wintergarten“ (1879) von Édouard Manet nach Chicago schickte, wo vom 26. Mai bis zum 8. September eine große Überblicksausstellung zu Manets Spätwerk stattfindet. Die Berliner Schau wirkt im Vergleich dazu deutlicher bescheidener, fokussiert sie doch ganz auf die kostbare Leihgabe und ihre Entstehungszusammenhänge.

Caillebotte bereitete das Bild mit Studien vor

Dafür sieht man sehr schön, wie detailliert Caillebotte sein Gemälde in Studien vorbereitete: In einer Perspektivzeichnung – ebenfalls aus der Chicagoer Sammlung – erprobte der Maler die spektakuläre Wirkung der typischen Pariser Architektur nach Haussmann mit ihren breiten Boulevards und repräsentativen Bürgerhäusern. Und auf einem weiteren Blatt aus einer Privatsammlung taucht das Paar aus dem Vordergrund als Bleistiftsilhouette schon mit exakt der gleichen Körperhaltung auf.

War für Caillebotte die sorgfältige Darstellung des modernen Lebens wichtiger als die malerische Wiedergabe des flüchtigen Moments? Die Berliner Ausstellung scheint diese Vermutung nahezulegen, wenn sie im Kabinett hinter dem Regenwetter-Gemälde weitere kleinformatige Leihgaben zeigt – die im Privatbesitz befindliche Straßenansicht „Die Kaserne Pépinière“ (1878), die in ihrem eher verhuschten Duktus an Camille Pissarro erinnert, oder den von festeren Eisengeländerformen bestimmte „Pont de l’Europe“ (1876) aus dem Musée des Beaux-Arts in Rennes. Mit dem kleinen Brückengemälde bereitete der Maler ein weiteres gleichnamiges Hauptwerk vor, das sich heute in einem Museum in Genf befindet und für die atmosphärische Schilderung des Pariser Straßenalltags berühmt ist.

Caillebotte zählte sich selbst ganz klar zu den Impressionisten – das betont die Ausstellung, indem sie ihn mit Werken seiner Kollegen aus der Nationalgalerie-Sammlung umgibt. Bilder von Monet, Renoir, Pissarro oder Degas kaufte Caillebotte selbst, so dass er dem französischen Staat bei seinem Tod eine bedeutende Kollektion hinterließ. Dass es nicht gelungen ist, Bilder aus der ehemaligen Caillebotte-Sammlung nach Berlin zu bekommen, ist ein gewisser Wermutstropfen bei dieser kleinen aber feinen Ausstellung.

Service

AUSSTELLUNG

„Gustave Caillebotte – Maler und Mäzen des Impressionismus“

Alte Nationalgalerie, Berlin, bis 15. September

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