Das Wallraf-Richartz-Museum entführt seine Besucher in die schillernde Welt des Barock
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22.05.2019
Dies vorweg: Man muss es als Tugend werten, dass das Wallraf-Richartz-Museum Köln attraktive Ausstellungen – fast – ohne Leihgaben aus dem eigenen Fundus bestückt. Mit dem gleichen Recht jedoch kann man fragen, warum sich das neue Projekt „Sonntag des Lebens – Lifestyle im Barock“ auf Porträts und Stillleben beschränkt. Zugegeben, die Bilder dieser „Zweigleisigkeit“ sind schön und aussagekräftig. Denn zweifellos wird der „Sonntag des Lebens“ in prächtigen Roben (Porträts) und mit festlicher Dekoration (Stillleben) begangen.
Und doch kann beispielsweise auch die Landschaft als beglückendes Refugium oder als Kulisse von Begebenheiten dienen, die den Menschen dem Alltag entheben. Auch in der Natur und in barocken Gärten hat die Gesellschaft, auf die der Blick gerichtet ist, ihr privilegiertes Leben gefeiert. Ob Anja Sevcik mit dem wohlklingenden Titel „Sonntag des Lebens“ eine Metapher zitiert, die Hegel 1818 bei seiner Antrittsvorlesung in Berlin geprägt hat, verrät die Barockexpertin nicht.
Dafür lässt sie als Kuratorin – höchst einfallsreich – in den Objekttexten die porträtierten Herren und Damen selbst zu Wort kommen, ja, aus ihrem Leben berichten. Und gewiss kann man auch die vier Porträts ein und desselben Modells, des Herrn Everhard IV. Jabach, der von 1618 bis 1695 lebte, als Glücksfall werten. Denn man sieht ihn reifen und altern, was man sonst vor allem in Serien von Selbstbildnissen, etwa von Rembrandt, beobachten kann. 1636 begegnete der Erbe eines Kölner Bankhauses dem Malerstar Anthony van Dyck in London (darum hier nicht „Anthonis“), der den jungen Mann derart geschickt in Pose setzte, dass sein Selbst- und Standesbewusstsein zum Ausdruck kommen.
Noch zwei Mal hat Everhard Jabach dem Hofmaler Karls I. Modell gesessen; in Köln aber sind zwei Bildnisse von Peter Lely zu sehen, die den arrivierten Bankier nun in Paris, wo er seit 1647 lebte, erst auffällig elegant und dann weltmännisch gelassen zeigen. Beide Male hat Lely den „sprechenden“ Händen viel Aufmerksamkeit gewidmet. Schließlich posierte Jabach, inzwischen 70 Jahre alt, dem jungen Hyacinthe Rigaud, der seinen Ruhm zwar etlichen repräsentativen Adelsporträts verdankt, den alten Herrn jedoch schlicht und privat, ohne jeden Pomp darstellt.
Auch der vornehmen „Magdalena Stockmans“ möchte man die Gelassenheit des Alters attestieren. Jacob van Loo hat sie 1660 schwarz gewandet, mit roter Seidendraperie vor der Kulisse Amsterdams posieren lassen. Sechs Wochen später ist sie gestorben. Das Gesicht hat seine Spannkraft verloren. Vielleicht trauert sie der verlorenen Schönheit nach, die einst den abgewiesenen jungen Dichter Gerbrand Andriaensz Bredero klagen ließ: „So wenig das Feuer ohne Hitze existieren kann, so wenig kann ich leben ohne Tag und Nacht von Euch zu träumen …“ Man kann sich sehr wohl vorstellen, dass eine solche Dame schöne und exotische Requisiten begehrte, wie sie der Amsterdamer Maler Jurian von Streek im „Stillleben mit chinesischer Porzellandose“ dokumentiert hat.
Auch Adriaen van Utrecht hat in seiner Heimatstadt Antwerpen eine anspruchsvolle Klientel bedient. Sein „Stillleben mit Früchten und Vögeln“ von 1649 weckt noch heute den Appetit auf wunderbare Früchte: Pflaumen, weiße und blaue Trauben sind taufrisch gepflückt, Pfirsich und Feige liegen mit unberührt pelziger Haut da. Die raue Schale der Zitrone hat ein Vögelchen angelockt. Eigentlich dürften die Kirschen, die roten und heute seltenen weißen Johannisbeeren zur Zeit der Pfirsichreife noch gar nicht geerntet sein. Aber das störte damals weder den Maler noch den Betrachter, der ja Stillleben mit Blumen verschiedener Jahreszeiten ebenso schätzte.
Diese Frage des Anachronismus musste sich Cornel Norbertus Gijsbrechts 1675 bei seinem „Quodlibet mit Briefen“ nicht stellen. Er konnte ganz einfach die Utensilien zusammenfügen, die zu seiner Zeit in ein ordentliches Kontor gehörten: Briefe, Aktenpapier, Siegel und Federmesser – nein, der Kamm sollte eigentlich dabei sein! Wie immer: Ihm ist ein perfektes Trompe-l’Œil gelungen.
Es verwundert, dass Jan Mijtens aus Den Haag das Bildpaar der „Maria Calandrini mit Mutter Susanna“ und „Philippus Cunaeus mit Vater Johannes“ nicht konsequent antithetisch gemalt hat, wie es 1662 und 1663 durchaus üblich war. Dagegen hat er die traditionelle Rollenverteilung eingehalten. Mutter und Tochter hat er einen Früchtekorb beigegeben, dem Sohn eine Landkarte, auf der sich das Kap der Guten Hoffnung abzeichnet. Damit deutet der Maler auch die Weltläufigkeit des Herrn als Botschafter einer Handelskompanie an. Seine Stellung wird ihm die Mittel für die modisch elegante Garderobe eingebracht haben, die sowohl die Eltern wie auch die beiden Kinder zur Schau tragen. Offenbar fand Jan Mijtens Gefallen an den seidigen Stoffen der gebauschten Ärmel.
Während dieses Paar nicht seine ganze Kinderschar porträtieren ließ, hat Jacob Toorenvliet seinen Bruder „Dirck Toorenvliet und Familie“ 1687 vollständig ins Bild gesetzt; sieben Jahre später hat er sogar das Jüngste als Schoßkind der Mutter hinzugefügt. In Zeiten großer Säuglingssterblichkeit demonstrierte man nur zu gern sein Familienglück. Ebenso selbstverständlich schmückte man sich mit Statussymbolen – auf diesem Gemälde fast des Guten zu viel.
Mit dem 1729 gemalten Bildnis der „Marquise de Soucarières und ihr Page“ verlässt die Ausstellung noch einmal die Malerschulen der Niederlande und erreicht überdies das französische Rokoko. Nicolas de Largillière, Rivale Rigauds, hat sein Modell mit allem Luxus der Epoche, ja selbst mit einem kleinen Mohren ausgestattet. Und doch sieht die Schöne ein wenig melancholisch drein. Allerdings glaubt man ihr nicht, dass der eiserne Halsring des Pagen ihr zu denken gibt.
Das Staatsporträt des „Prokurator und Cavaliere Paolo Tiepolo“, um 1578 in Venedig gemalt, führt zurück in ein fernes Jahrhundert und in einen anderen Kulturkreis. Es war wohl der berühmte Porträtist, Jacopo Robusti gen. Tintoretto, der die Kuratorin zu diesem „Ausflug“ verführt hat. Dem Besucher dieser Bilderschau sei empfohlen, in den angrenzenden Räumen die ständige Barock-Ausstellung des Hauses aufzusuchen. Hier trifft er auf die Gemälde, die er auch im hübschen (einen Katalog ersetzenden) Beiheft Baroque – Das Magazin für barockes Lebensgefühl vorfindet.
„Sonntag des Lebens – Lifestyle im Barock“
Wallraf-Richartz-Museum, Köln
bis 30. Juni