Miriam Cahn zeigt grandios wütende Malerei in Bern
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17.05.2019
Als Miriam Cahn 1979 in Basel ungefragt Betonwände und Autobahnpfeiler mit großen Kohlezeichnungen verzierte – eine Aktion, für die sie sogar vor Gericht landete –, gab sie ihrer Arbeit den Titel „mein frausein ist mein öffentlicher Teil“. Ihre aktuelle Einzelausstellung im Kunstmuseum Bern heißt „Ich als Mensch“. Dazwischen liegen vier Dekaden, und da die Karriere der heute 69-jährigen Schweizerin gerade in den vergangenen Jahren enorm an Fahrt aufgenommen hat, ist sie nun allseits beliebt. Und doch hat sich an der Gültigkeit ihres ersten Mottos nichts geändert, sodass man die beiden Titel zusammendenken muss: Menschsein heißt für Cahn vor allem öffentlich Frau sein. Es führt sie zu einer Malerei, die – so schemenhaft und zart, wie sie in Form und Farbgebung auch erscheinen mag – eine inhaltliche Härte, Klarheit und eiskalte Wut besitzt, die nur sehr wenige Maler erlangen.
Nackte Frauen mit maskenhaften Gesichtern, aber realistisch gealterten Körpern füllen einen der neun Räume des Kunstmuseums. Ein anderer, der „Sexroom“, widmet sich der #MeToo-Debatte. Hier sieht man diverse Macho-Sixpacks und erigierte Penisse. Das direkt in die Sichtachse gehängte Bild heißt allerdings „L’Origine du monde schaut zurück“: In Anspielung auf das berühmte Gemälde von Gustave Courbet zeigt es eine hingeräkelte Nackte, die dem Betrachtervoyeur jedoch fest ins Gesicht blickt – und zwar durch den Sehschlitz einer Burka, die ihr bis über die Brüste hochgerutscht ist. Obwohl Cahn keine Angst vor Pornografie hat, ist ihr „Sexroom“ pornofrei, weil die Bilder keine Lust erzeugen. Genauso wie Francis Bacons Körperalbträume keine Lust evozieren.
Der malende Mensch Cahn setzt sich in weiteren Ausstellungsräumen empathisch mit Antikriegsthemen oder den ertrinkenden Flüchtlingen im Mittelmeer auseinander (wie im geisterhaft leuchtenden Bild „Blau“ von 2017). Die Kunst in ihrer bisher bedeutendsten musealen Soloschau ist zweifellos eine sehr zeitgenössische.
„Miriam Cahn – Ich als Mensch“
Kunstmuseum Bern, bis 16. Juni