Ausstellungen

Klingende Bilder

Das Museum Rietberg in Zürich konfrontiert historische indische Miniaturen mit der Gegenwart

Von Stefan Weixler
24.05.2019

„Als Mozart ermordet worden war / ahnte niemand / nicht einmal Haydn / dass kein Geringerer als Beethoven / die ruchlose Tat begangen hatte / Während einer Landpartie / da Mozart / vom Bockspringen ermüdet / im Grase ruhte / näherte sich Beethoven / als Salieri verkleidet / mit der Geräuschlosigkeit einer Katze / und träufelte dem Schöpfer der Kleinen Nachtmusik / Gift ins Ohr / Grimmig in sich hineinlachend / schlich der junge Übeltäter davon / im festen Besitz der Tonart c-Moll / die ihm / von dieser Stunde an / keiner mehr streitig machen würde“.

Tonarten mit Charakter

Alfred Brendel, dichtender Ex-Pianist von Weltrang, hat in diesem 1999 publizierten Schelmenstück uralten Tratsch zur Wiener Klassik verkocht – und einen Funken Wahrheit beigemischt. Denn tatsächlich prägte Ludwig van Beethoven durch eine Reihe archetypischer Kompositionen wie kein Zweiter den Charakter von c-Moll. Spätestens seit 1808, als seine „Schicksalssinfonie“ herauskam, war Gesetz im musikalischen Europa: In dieser Tonart spielt Tragödie. „Verruchter, du hast mir alle Blumen zertreten – in schauerlicher Wüste grünt kein Halm mehr – tot – tot – tot –“, schrieb E. T. A. Hoffmann 1815 über den fortissimo gehämmerten c-Moll-Akkord.

Musikalisch inspirierte Miniaturen

Klangpersönlichkeiten – allerdings modaler Natur – kennt auch die klassisch-indische Musik: in Form von „Ragas“ (Sanskrit: Tönungen, Färbungen) – regulierten Tonskalen mit fixierten Intervallen, bezogen auf einen vorab gewählten Grundton „Sadja“ („Sa“). Entwickelt für bestimmte Jahres- und Tageszeiten, will Musik auf Basis dieser Sound-Vorlagen die Hörerschaft mit spezifischen Empfindungen erfüllen – die Umwelt gewissermaßen emotional kolorieren. „Ragas“ kommunizieren aber nicht nur auf klanglicher Ebene. Sie sind mit philosophisch-spirituellen Texten und (was könnte näher liegen?) Bildern verknüpft – musikinspirierten Miniaturen, die in Serien sogenannte „Ragamalas“ (Sanskrit: Ton- bzw. Farbkreise) entstehen lassen: Traditionell finden sechs männliche mit je fünf weiblichen Modi („Ragas“ & „Raginis“) zusammen, haben teils noch „Söhne“ und / oder „Töchter“ („Ragaputras“ & „Ragaputris“) – bilden oft also regelrechte Klangfamilien aus.

Ragamalas im Museum Rietberg

Im Züricher Museum Rietberg auf dem „Grünen Hügel“ – früher das Anwesen von Otto und Mathilde Wesendonck, die dem notorisch verschuldeten Richard Wagner 1857 für einen symbolischen Mietpreis das Gartenhaus überließen (woraufhin der Komponist mit seiner Gastgeberin eine Affäre begann) – kann man derzeit Blätter aus diversen „Ragamalas“ studieren: in der Ausstellung „ZeitRäume“, die Arbeiten des 15. bis 18. Jahrhunderts aus der renommierten Sammlung des Hauses mit Gegenstücken ehemaliger Studenten der Miniaturmalerei am „National College of Arts“ (NCA) in Lahore / Pakistan kombiniert – einer Region, die seinerzeit zu Mogul-Indien gehörte.

Zu sehen ist beispielsweise das um 1790 im Pahari-Gebiet (Himalaya) entstandene Folio eines unbekannten Meisters, der in Nachfolge der Malerbrüder Manaku und Nainsukh im Fürstentum Guler tätig war. Ein Trommeltanz im Freien visualisiert hier „Nata raga“ – expressive Musik auf Basis einer asymmetrischen Leiter mit 8 auf- und 6 absteigenden Tönen, die dem Auditorium zu abendlicher Stunde Kraft / Begeisterung vermitteln sollte. Der NCA-Absolvent Norouz Ali hat in seinem 2018 geschaffenen Pendant gleichfalls die Wirkmacht von Musik thematisiert – allerdings die kontemplative: Das Schlaginstrument – nun in Form eines „Tabla-Sets“ – ist sichtbar beiseitegestellt: stattdessen stiftet eine Langhalslaute („Tanpura“) Intimität.

Shahid Malik wiederum brachte in seiner Arbeit für Zürich die Umweltverschmutzung aufs Tapet. Er zeigt in feiner Malerei Müllberge im Gebirge – und inmitten des ganzen Abfalls das Blatt, auf das er sich bezogen hat: „Himal Ragaputra“, die Ende des 18. Jahrhunderts in Guler entstandene Allegorie einer jugendlich-männlichen Tonskala, dargestellt als meditierender Gott „Shiva“ auf dem heiligen Berg „Kailash“ im Transhimalaya.

Zeitgenössische Aneignung traditioneller Bildformeln 

„Seit Einführung der Miniaturmalerei 1982 am National College wurde eine Vielzahl von Künstlerinnen und Künstlern in dieser Disziplin ausgebildet“, so Quddus Mirza, Leiter des Departments of Fine Arts in Lahore, der die Schau gemeinsam mit Caroline Widmer vom Rietberg-Museum kuratiert hat. „Inspiriert von Bildern des Mogulhofs, der Rajpu- und Pahari-Malerei versuchen sie, eine zeitgenössische Sprache zu entwickeln, die im eigenen Land verwurzelt ist.“ Zu ihnen zählt auch der gegenwärtig vielleicht wichtigste Name der pakistanischen Kulturszene: Imran Qureshi (* 1972), 2013 „Künstler des Jahres“ der Deutschen Bank – heute selbst Professor in Lahore. Seine Blätter, die tradierte Bildmuster in den Dienst aktueller gesellschaftlicher Diskurse stellen, bringen auf Auktionen mittlerweile höhere fünfstellige Beträge.

Service

Ausstellung

„ZeitRäume – Zeitgenössische Miniaturmalerei aus Pakistan“

Museum Rietberg, Zürich
bis 16. Juni
www.rietberg.ch

Dieser Beitrag erschien in

KUNST UND AUKTIONEN Nr. 9/2019

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