Ausstellungen

Kampfmontur und Ehrenkodex

Die Kunsthalle München zeigt die Pracht der Samurai in einer aufwendig inszenierten Schau

Von Roberta De Righi
21.06.2019

Ein Samurai, so heißt es in einer japanischen Redensart, hält „seinen Zahnstocher auch dann hoch, wenn er nichts zu beißen hat“. Und dass ein Samurai nichts zu beißen hatte, kam in Friedenzeiten durchaus vor – vielleicht hatte er sich und die Seinen auch für die aufwendige und teure Ausrüstung in den Ruin getrieben. Die volle Montur des Ritters war aber auch sein Stolz: Im Krieg sollte sie sein Überleben sichern, im Frieden den gesellschaftlichen Rang widerspiegeln. Grausame Kampftechniken, ein strenger Ehrenkodex und hohes Maß an Kultiviertheit – die Faszination der Samurai geht von dieser Ambivalenz aus.

Die Sammlung Barbier-Mueller

Die Kunsthalle München widmet der „Pracht des japanischen Rittertums“ gerade eine opulente Ausstellung. Dafür ließen das Sammler-Ehepaar Ann und Gabriel Barbier-Mueller aus Houston / Texas rund 140 Objekte nach Europa verschiffen. Der Immobilien-Unternehmer und seine Frau besitzen eine der weltweit größten Samurai-Kollektionen, die sich durch ihre Qualität und Bandbreite auszeichnet. Rüstungs-, Schwert- und Goldschmiede, Weber und Sticker, Gerber und Sattler – die Pracht der Samurai zeigt Handwerkskunst auf höchstem Niveau. 

In der Kunsthalle geboten ist eine aufwendig inszenierte Schau, die eine Zeitspanne von rund 700 Jahren umfasst, aber weder chronologisch noch stilgeschichtlich geordnet ist: Schließlich waren die Einzelteile der Ausrüstung nach Tauglichkeit und Symbolik, nicht nach Stil zusammengestellt. Und weil Gabriel Barbier-Mueller Waffen nach eigener Aussage eher weniger interessieren, liegt das Augenmerk der Sammlung auf dem Gesamtkunstwerk der Samurai-Rüstung. Diese war nämlich das Gegenteil einer Uniform: Der Samurai hatte einen individuellen, einzigartigen Kampfanzug.

Entstehung und Wandel der Samurai-Kultur

Der Aufstieg der Bushi (später erst hießen sie Samurai) begann in der Kamakura-Zeit (1185 – 1333), als der Kaiser dem Shōgun die militärische Macht überantwortete – und die Mongolen abgewehrt werden mussten. Damals bereits entstand das Bild des edlen, kultivierten Ritters, der seine geistige Disziplin mit Bogenschießen (Kyūdō), Schwertkunst (Kendō), aber auch der Teezeremonie (Chadō) schulte.

Zu Pferd waren Samurai an erster Stelle Bogenschützen, Schwert und Kurzschwert kamen erst nach der Pfeil- und Bogenattacke im Nahkampf zum Einsatz – den man aber strategisch eher zu vermeiden suchte. Als im 16. Jahrhundert Portugiesen und Niederländer ins Inselreich kamen, brachten diese Feuerwaffen mit – was auch die Welt der Samurai nachhaltig veränderte. So sind die meisten in der Schau gezeigten Monturen moderne Rüstungen (Tōsei Gusoku), die nicht wie zuvor mit Lamellen, sondern mit einem durchgehenden Brustpanzer auch gegen Feuerwaffen Schutz bieten sollten. Der dicht gewebte Brokat, aus dem weite Teile der Kampfmontur bestanden, war ohnehin erstaunlich stabil.

Das Ensemble der Familie Mōri, deren Wappen mit der Paolonia-Blüte viele Einzelteile ziert, ist das umfassendste der Ausstellung und bietet einen guten Überblick über alle Elemente der Ausrüstung – von den Steigbügeln bis zur seidenen Unterwäsche. Die Rüstung wurde zur Zeit der drei Reichseiniger gefertigt, alles andere aber im 18. Jahrhundert neu zusammengestellt. Der Großteil der Exponate stammt indes aus der Edo-Zeit (1600 – 1867): Der „dritte Reichseiniger“ Tokugawa Iyeasu hatte sich nach der Schlacht bei Sekigahara das Shōgunat gesichert. In den kommenden Jahren schottete sich Japan nach außen ab, im Inneren wurde mit militärischer Potenz weitgehend Frieden hergestellt. Damals entstand auch der berühmte Verhaltenskodex des Bushidō („Weg des Kriegers“), der die sieben Tugenden von Gerechtigkeit, Mut, Menschlichkeit, Höflichkeit, Wahrhaftigkeit, Ehrbewusstsein und Treue umfasste. War ein Samurai – etwa durch Tod oder Ungnade seines Daimyo – zum „herrenlosen Krieger“ (Rōnin) geworden, musste er sich demnach den Bauch aufschlitzen.

Mutig wie ein Hase

Die motivische und symbolische Vielfalt der Samurai-Ausrüstung ist stupend – angefangen mit der hoch aufragenden Helmzier (Kawari kabuto), die mit Wildschweinauge und Flammengrat, Falkenfedern, Hirschgeweih und Hasenohren imponieren wollte. Denn ausgerechnet der Hase stand im alten Japan für Mut (und Langlebigkeit); und das Wildschweinauge huldigte der Göttin der Bogenschützen. Auf einem Grathelm aus der Muromachi-Zeit ist wiederum die Figur des Fudo Myoo – des buddhistischen Gottes der Weisheit und Schutzherrn der Schwertkämpfer – appliziert. Mithilfe der Harikake-Technik wurde zudem der Helm selbst zur regelrechten Plastik: Aus einer Art Pappmaché oder lackiertem Leder wurde er in fantasievollsten Formen – etwa als breite Seemuschel oder hoch aufragende Aubergine (die als Glücksbringer galt) – gestaltet. Und das Martialische war stets umwölkt mit Elementen von poetischer Zartheit: Während Bambus und Pflaumenblüte ebenfalls Langlebigkeit symbolisierten, signalisierte etwa die Kirschblüte die grundsätzliche Bereitschaft des Samurai, jung zu sterben. Der zunehmende Mond wiederum galt als gutes Omen und wurde ebenfalls Schmuckelement der Helmzier.

Performative Elemente der Samurai-Rüstung

Bemerkenswert für westliche Augen ist vor allem die theatralische Komponente des Kriegerischen. Fast meint man, es mehr mit Schauspielern als mit Kämpfern zu tun zu haben. Die Samurai trugen Halbmasken mit Fratzen eben nicht nur zum Schutz, sondern auch um den Gegner das Fürchten zu lehren. Während der Edo-Zeit entstand schließlich auch das Nō-Theater, das im Unterschied zu bürgerlichen Kabuki von und für Samurai gespielt wurde. Da erstaunt es kaum, dass ihre Masken mit langen Nasen, überzeichnetem Kinn und bizarren Schnurrbärten reif für die Bühne sind. 1868, mit dem Beginn der Meiji-Restauration, wurde die Macht des Tennō wiederhergestellt, das Rittertum abgeschafft und das Tragen von Schwertern verboten. Die Samurai waren nur mehr Folklore. Japan öffnete sich dem Westen, viele der nutzlos gewordenen Rüstungen wurden ins Ausland verkauft – und mit ihnen der Mythos Samurai.

Service

Ausstellung

„Samurai. Pracht des japanischen Rittertums. Die Sammlung Ann und Gabriel Barbier-Mueller“

Kunsthalle München
bis 30. Juni

Dieser Beitrag erschien in

KUNST UND AUKTIONEN Nr. 10/2019

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