Verlängert bis 8. September: Das Landesmuseum in Darmstadt zeigt Schmuck des Jugendstils und des Art Déco
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12.07.2019
Museumsbestände in Deutschland sind in der Regel nicht reich an vorbildlichen oder typischen Schmuckarbeiten aus Jugendstil und Art Déco. Und nur wenige Häuser können sich rühmen, schon damals für den Ankauf von zeitgenössischen Objekten gesorgt zu haben. Es ist daher oft Privatsammlern zu verdanken, dass Museen ab und zu Ausstellungen zu diesem universell geschätzten Bereich der angewandten Kunst zeigen können – mit kostbaren Arbeiten von Lalique, Fabergé, Fouquet, Wolfers, Gaillard, Cartier, Boucheron etc.
In Deutschland avancierte das Hessische Landesmuseum in Darmstadt nach Ankauf der auf Frankreich, Belgien und die Niederlande fokussierten Kollektion des Antwerpener Hofjuweliers Karel A. Citroen in den Jahren 1963 und 1965 zu einem Mittelpunkt der Schmuckforschung – was auch die Publikation des ersten Jugendstil-Bestandskatalogs eines deutschen Museums 1965 belegt. Zwar sind die Schwarz-Weiß-Fotos dieses Bands (wie übrigens auch der nachfolgenden Ausgaben) mit einer merkwürdigen, rußartigen Rasterschicht bedeckt, doch tat das dem damals allmählich erwachenden Interesse am europäischen Jugendstil keinen Abbruch.
Verschiedene Ausstellungen in Darmstadt – etwa die 1976 / 77 gezeigte Schau „Ein Dokument deutscher Kunst – Die Darmstädter Künstlerkolonie 1901 – 1976“ – offenbarten dann zum ersten Mal, dass es auch eine deutsche (beziehungsweise Darmstädter) Schmuckkunst gegeben hat, die nicht durch Gold und Edelsteine glänzte, sondern sich durch eine Konzentration auf die individuelle Form, das moderne Flachornament sowie die Verwendung von Silber und Farbsteinen auszeichnete – und entsprechend moderate Preise. Mit dem Erscheinen von Wolfgang Glübers Jugendstilschmuck – Der Bestand im Hessischen Landesmuseum Darmstadt im Jahr 2011 bestätigte das Museum dann sein historisch gerechtfertigtes Interesse an diesen Objekten, die als Teile der Abendgarderobe oder Vitrinenstücke einerseits Pracht zur Schau stellen, aber auch Bescheidenheit im Alltag demonstrieren konnten. Insgesamt gab die Trägerin des relativ preiswerten Jugendstilschmucks in konzentrierter, aber dennoch gut sichtbarer Form ein Bekenntnis zum modernen Stil ab.
Die Ausstellung „Alltagstauglich! Schmuck von Jugendstil bis Art Déco – Die Sammlung Ratz-Coradazzi“ zeigt etwa 450 Schmuckarbeiten aus Deutschland, Österreich, Frankreich, der Tschechoslowakei, Dänemark, England etc. Der Katalog enthält 236 Nummern und konzentriert sich ausschließlich auf Objekte aus Deutschland und Österreich, wobei die deutschen Arbeiten bei weitem in der Überzahl sind – zu Recht. Von jeder in solcher Breite und mit solchem internationalen Anspruch angelegten Sammlung kann erwartet werden, dass bei den österreichischen Arbeiten Josef Hoffmann, Hilde Jesser, die Wiener Werkstätte, Dagobert Peche und Hans Bolek vertreten sind; nicht unbedingt zu erwarten sind dagegen Namen wie J. M. Auchentaller, Leopold Drexler, die Firmen Oscar Dietrich, August v. Klein und Theodor Schmidt. Unter den deutschen Herstellern ragen – wie immer – die Arbeiten von Theodor Fahrner, Pforzheim, hervor. Aber wer hätte gedacht, dass es eine bemerkenswerte Schmuckproduktion in Magdeburg, Erfurt, Danzig, Füssen, Ulm, Heilbronn, Schleswig-Holstein oder Hannover (vertreten durch eine Goldbrosche der bisher unbekannten Fa. S. Steinwehr in perfektem Van-de-Velde-Stil) gegeben hat?
Im Vordergrund steht allerdings die industrielle Anfertigung der Schwäbisch Gmünder und Pforzheimer Fabriken und Werkstätten, die – zunächst den floralen und figürlichen französischen Vorbildern der Pariser Weltausstellung 1900 folgend – bald zu einem eigenständigen geometrischen Ornamentstil fanden – etwa in den linear extrem reduzierten Arbeiten von Georg Kleemann in Pforzheim, die sich wie undechiffrierbare Botschaften aus einer fremden Welt geben. Berlin ist unter anderem durch den Juwelier Hugo Schaper und – unerwarteterweise – durch Albert Reimann und die bahnbrechende Reimann-Schule vertreten, über die man anhand einer Ausstellung gerne einmal mehr erfahren möchte.
Über den „Münchner Schmuck“ ist in Darmstadt viel Neues zu erfahren. Die Kleinwerkstätte war bekanntlich sehr zu zeigen bemüht, dass die Handarbeit an vorderster Stelle stand – so sind beispielsweise die aufgelöteten Spiraldrahtmuster der germanisch anmutenden Arbeiten von Max Strobl und Adolf von Mayrhofer ein offensichtlicher Teil des künstlerischen Entwurfs. Der Münchener Hofgoldschmied Karl Rothmüller – seinerzeit in der Fachliteratur mindestens zweimal als „Münchener Lalique“ gefeiert und als Meister der Farbkombination beim Steinbesatz unerreicht – ist mit mehreren, bisher unbekannten Arbeiten vertreten. Vom in Wien geborenen und in München tätigen Ferdinand Hauser ist bisher kaum mehr als die wunderbare Brosche im Besitz des Württembergischen Landesmuseum bekannt geworden. Der Sammlerin ist es aber tatsächlich gelungen, gleich zwei Arbeiten des begnadeten Goldschmieds zu entdecken: eine Goldbrosche mit Zellenschmelz und eine vergoldete Silberbrosche mit Elfenbein und Lapislazuli – beide zum Anhimmeln.
Der Katalog zur Ausstellung geht alphabetisch nach Firmen- und Künstlernamen vor. Den Anfang macht die noch unerforschte Münchener Firma Jakob Agner, die einzige Bijouteriefabrik in München, die um 1910 über 100 Mitarbeiter hatte und nicht nur volkskünstlichen Schmuck in großen Mengen, sondern auch Jugendstilschmuck aus gestanztem Silberblech produzierte. Die knappen und präzisen Objektbeschreibungen von Wolfgang Glüber, die vielfach Abbildungen aus der damaligen, oft schwer auffindbaren Fachliteratur hinzunehmen, vermitteln oft weitere Einblicke in das Œuvre des jeweiligen Schmuckkünstlers und ermöglichen – auch dank der Forschung der Sammlerin – den Exponaten eine Wiederauferstehung.
Eine besonders interessante Entdeckung ist der „Halsschmuck“ der Zeichenlehrerin Alice Sprenge, der 1903 in der Metallwerkstätte der Münchner Lehr- und Versuch-Ateliers Hermann Obrist und Wilhelm von Debschitz entstand. Bisher nur anhand einer gegen Ende 1903 im Rahmen der ersten Ausstellung der „Debschitz-Schule“ gemachten Aufnahme von Schmuckarbeiten bekannt, war das Objekt nur mit großem, ja detektivischem Spürsinn aufzufinden. Das Stück versinnbildlicht durch die geriffelten Oberflächen – ganz im Sinne der Lehre Obrists – die nach oben und unten ziehenden Kräfte, die beim Hängen entstehen. Es ist dadurch eine sehr willkommene Ergänzung zu den wenigen erhaltenen Schmuckarbeiten der „Debschitz-Schule“ von Friedrich Adler und Maria von Ortloff – den bislang einzigen Belegen für abstrakte Tendenzen im Münchner Schmuck vor 1910.
Der Münchener Fred Dunn, von der Sammlerin anhand der bisher unbekannten Meistermarke als Hersteller einer vorzüglichen Gürtelschließe aus teilvergoldetem Silber mit Korallcabochonbesatz identifiziert, war Inhaber eines 1898 zusammen mit Ludwig Mayer gegründeten Unternehmens in der Landwehrstraße 65, das neben Schmuckarbeiten auch Bronzegerät, Beschläge und Metallarbeiten aller Art herstellte und regelmäßig ausstellte. Dunn war Amerikaner und ist heute – verständlicherweise – vor allem als Präsident des FC Bayern vom 23. November 1914 bis Januar 1915 und vom 6. Juli 1921 bis Juli 1922 in Erinnerung.
Bei einer Brosche aus Silber mit Achaten, ausgeführt um 1903 von Theodor Fahrner in Pforzheim, wird es etwas komplizierter. Die Form des Objekts – vor allem die des inneren Anhängers – überzeugt zunächst so sehr als offensichtlicher Entwurf von Josef Olbrich, dass es nicht verwundert, dass die „Strassburger Historische Schmuckausstellung“ im Alten Rohan-Schloss das Stück 1904 tatsächlich als Arbeit Olbrichs präsentierte (Robert Forrer, Geschichte des Gold- und Silberschmuckes nach Originalen der Strassburger Historischen Schmuck-Ausstellung von 1904, Strassburg i / Els, 1905, S. 54, Abb. 282).
Das Objekt weist auf der Rückseite allerdings das Monogramm „FM“ auf, das zweifellos auf den Namen des tatsächlichen Entwerfers verweist: C. F. Morawe – ein eigenständig arbeitender Künstler in München, Darmstadt und anschließend Berlin, der Olbrich persönlich wie auch stilistisch sehr nahestand. Ein Vergleichsstück im Besitz des Museums Künstlerkolonie Darmstadt weist ebenfalls das Monogramm „FM“ auf – nur hielt man es aufgrund der scheinbar gesicherten Autorschaft Olbrichs zur Zeit der Erwerbung für eine unbekannte Vertriebsmarke, die dann bei der Katalogisierung 1990 zudem aus unerklärlichen Gründen übersehen beziehungsweise nicht kommentiert wurde (Museum Künstlerkolonie Darmstadt, 1990, Kat.-Nr. 308).
Die Ausstellung und der exzellent fotografierte und gestaltete Katalog (mit einem aus nicht weniger als elf Seiten bestehenden Anhang „Objektstempel“) sind ein lehrreicher Genuss, der durch einen anschließenden Besuch der permanenten, vorbildlich präsentierten Jugendstilschmucksammlung im Untergeschoss des Museums noch gesteigert werden kann.
„Alltagstauglich! Schmuck von Jugendstil bis Art Déco – Die Sammlung Ratz-Coradazzi“
Hessisches Landesmuseum, Darmstadt
bis 8. September
Katalog 29 €