Ausstellungen

„Die Stadt ist groß, und klein ist das Gehalt“

Eine Ausstellung im Käthe Kollwitz Museum in Köln untersucht den „Berliner Realismus“ von Heinrich Zille bis Otto Dix

Von Peter Dittmar
06.12.2019

Das letzte Bild der Ausstellung schildert scheinbar einen unbeschwerten Moment aus dem Leben der Berliner nach der Jahrhundertwende. Heinrich Zille hat 1912 in einem extremen Querformat den „Ausflug des Sparvereins“ festgehalten. Aber die heitere Sommerstimmung verdrängt die Wirklichkeit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Ursprünglich sollten und wollten die Spar- wie die Ringvereine der gegenseitigen Hilfe dienen – die Ringvereine unterstützten insbesondere entlassene Strafgefangene. Aber bald entwickelten sie sich zu Zusammenschlüssen, die nicht nur die Verteidigung vor Gericht bezahlten, wenn ein Mitglied angeklagt war. Sie sorgten auch für Alibis und (mit den entsprechenden Drohungen) für Gedächtnislücken unliebsamer Zeugen.

Das Elend Berlins als Thema in den Künsten

Berlin vor und nach dem Ersten Weltkrieg war keineswegs jene babylonische Idylle mit ein wenig Hautgout, wie sie Literatur und Film gern zeichneten. „Die Stadt ist groß, und klein ist das Gehalt“, charakterisierte Erich Kästner das soziale Gefälle. Denn neben der bürgerlichen Mittelschicht und den von den Verhältnissen schon recht bedrängten „kleinen Beamten“ gab es unübersehbar das Elend der Proletarier, die den beträchtlichen Bodensatz der Millionenstadt bildeten. Mit dem Naturalismus wurde diese Schicht zum Thema. Zuerst in der Literatur und auf dem Theater. Bald auch in den Künsten. Und nicht zuletzt in den Witzblättern.

Weil das Berliner Bröhan-Museum den Nachlass von Hans Baluschek, das Kölner Käthe-Kollwitz-Museum einen großen Fundus von Werken Käthe Kollwitz’ besitzt, haben sich beide Häuser zusammengetan, um dieses Genre – den „Berliner Realismus“ – vorzustellen. Ausgangspunkt ist die Rede von Kaiser Wilhelm II. bei der Einweihung der „Siegesallee“ 1901, in der er sich gegen eine Kunst wandte, „die in den Rinnstein niedersteigt“ – die „weiter nichts tut, als das Elende noch scheußlicher hinzustellen, wie es schon ist …“ Damit war das Schlagwort von der „Rinnsteinkunst“ in der Welt, das von denen, gegen die es gerichtet war, sofort sarkastisch aufgegriffen wurde. Neben Kollwitz und Baluschek war damit auch Heinrich Zille gemeint. Und nach 1918 kamen, beflügelt von der Novemberrevolution und dem roten Russland, Maler wie Dix, Grosz, Scholz, Jaeckel, Hubbuch, der Fotomonteur Heartfield und die Arbeiterfotografen dazu. Sie alle versammelt die Ausstellung in Köln.

Die Ausstellung fängt auch zeitgenössische Kritik ein

Es sind keine überraschenden Bilder, die hier in zehn Kapiteln von „Rinnsteinkunst“ über „Erster Weltkrieg“, „Arbeiterleben“ bis hin zu „Berliner Nachtleben“ und „Rummel und Zirkus“ durchdekliniert werden. Es sind durch Bücher und Ausstellungen längst vertraute Sujets, die bereits in der Weimarer Zeit vertraut und vermarktet waren, wie die „Zille-Bälle“, aber auch die Professorenstellen an den Kunsthochschulen und die Berufungen in die Akademie verraten. Das schloss polemische Auseinandersetzungen – besonders unter Malerkollegen – nicht aus: „Es ist trostlos, was er macht“, bemerkte Hans Purrmann zu Grosz. „Schade, daß der Kerl so ein malerischer Spießer ist“, war Max Beckmanns Kommentar zu Baluschek. Als „eine absolute Gesellschaftskunst mit perversem Einschlag“ bewertete Hans Grundig Otto Dix. Und Karl Hofer schrieb „Auch die Blätter der Kollwitz sagen dem Volk, für das sie gemacht sind, nichts. Das Volk will sich durchaus nicht als Jammergestalt, als krank und elend, vor allem aber nicht als hässlich dargestellt sehen.“

Der Realismus, besonders bei den Künstlern zweiten Ranges, die sich revolutionär dünkten, weil sie „Handgranaten oder ‚Sieg der Barrikade‘ malen“, neigte oft zu einer Art Sozialenquete, bei der die ästhetischen Ansprüche bescheiden blieben. „Soll Malerei kämpfen, muß sie zunächst einmal Malerei sein,“ schrieb Adolf Behne deshalb in der Weltbühne in seiner Philippika gegen John Heartfield. Und Theo van Doesburg, gewiss nicht dem Realismus verbunden, fragte: „Was ist proletarische Kunst? Ist das Kunst, von Proletariern selbst gemacht? Oder Kunst, die nur dem Proletariat dient? Oder Kunst, die proletarische (revolutionäre) Instinkte wecken will?“ Für ihn war „der Kommunismus schon eine ebenso bürgerliche Angelegenheit wie der Mehrheitssozialismus, nämlich Kapitalismus in neuer Form“ – und infolgedessen „nur Erneuerungsmittel für ihre eigene verfaulte Kultur.“ Wie weit das zutrifft, kann man im Kollwitz Museum zu erkunden versuchen.

Graue Bilder der Vergangenheit

Der „Berliner Realismus“ reduziert sich – und die Rückschau verstärkt das – auf den Eindruck, dass das alles nur zum Bild gefrorene Vergangenheit sei. Dazu trägt eine Palette bei, die die Grautöne bevorzugt. Es ist ein Bilderbogen, der zwar nicht zur Gartenlaube wird, aber dem auch der Simplicissimus weitgehend fremd bleibt (obwohl der eine und andere da gelegentlich präsent war). Die malerische Kraft eines Beckmann und Kirchner oder die tückische Eleganz von Dodo und Jeanne Mammen, die durchaus den Berliner Realitäten – wenngleich nicht dem Realismus – huldigten, entdeckt man kaum. Das Milljöh wird nicht zum Juste Milieu. Der „Berliner Realismus“ begnügt sich – und die Fotografien unterstreichen das in ihrer Eindimensionalität – mit einem: „So war es“. Gewiss: in beachtlicher Breite. Jedoch ganz so, wie es Wolfdietrich Schnurre, ein Trotz-alledem-Berliner vor und nach dem Krieg, sah: „Die Erinnerungshinweise in dieser Stadt: Sie sind fast alle sentimental und politisch zugleich; nicht historisch; natürlich, die gibt es auch. Aber Historisches hält einen nicht; es schreckt einen in seiner nutzlosen Versteinerung.“

Service

Ausstellung

„Berliner Realismus: Von Käthe Kollwitz bis Otto Dix“

Käthe Kollwitz Museum, Köln
bis 5. Januar
www.kollwitz.de

Dieser Beitrag erschien in

KUNST UND AUKTIONEN Nr. 18/2019

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