Der letzte Schrei von Paris wurde in ganz Europa erhört. Seit der Epoche Ludwigs XIV. eiferte der ganze Kontinent dem französischen Geschmack nach. Ab den 1720er-Jahren – es war die Louis-quinze-Zeit – entwickelte sich der Stil, den wir Rokoko nennen. Eine frühe Form der Globalisierung, denn diese Formensprache verbreitete sich noch flächendeckender als zuvor der schwere Barockklassizismus des Sonnenkönigs. Das Hetjens-Museum in Düsseldorf schwelgt nun in einer schönen Ausstellung im Rokoko, diesem verspielten Dekorationsstil mit seinen unendlich variierten Muschelornamenten (den Rocaillen), der höfischen Kultur mit ihren galanten Festen, der heiteren Theatralik, all den erotischen Szenen, Schäferidyllen und Chinoiserien.
In seiner Funktion als Deutsches Keramikmuseum konzentriert sich das Hetjens vor allem auf das Porzellan. Es war die große Kunsterneuerung des 18. Jahrhunderts. Als es 1708/09 in Dresden erstmals außerhalb Asiens gelang, lichtdurchlässig schimmerndes Hartporzellan herzustellen, verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer durch Europa. Und die 1710 gegründete Manufaktur in Meißen wurde zum Innovationslabor und Trendsetter für das neue Medium.
Für die Ausstellung hat sich das Museum mit der Münchner Kunsthandlung Röbbig zusammengetan. Der Marktführer für frühes Porzellan steuerte eigene Stücke bei, neben Meissener Artefakten aber auch Möbel von Pariser Ebenisten sowie Gemälde des 18. Jahrhunderts. So kann die Ausstellung in stimmungsvoller Inszenierung das Zusammenspiel der Künste vorführen, so wie man sie im Rokoko kombinierte. Vor allem aber vermittelte Röbbig zahlreiche Meissen-Leihgaben von westdeutschen Sammlern. Man staunt über die Fülle und Qualität, wo doch an Rhein und Ruhr und in den benachbarten Bundesländern angeblich nur die Moderne zu Hause ist.
Eines dieser sonst verborgenen Starstücke ist eine Tischuhr in einem auswuchernden Ensemble aus feuervergoldeter Bronze: ein ruinöser Bogen, Bäume mit Porzellanblüten, als Basis eine Terrasse, die eine Meissener Figurengruppe mit einer amourösen Dame und ihrem Kavalier (samt Mops und Diener) aufnimmt. Die Prachtpendule entstand in Paris, wo man erst Jahrzehnte nach Meissen adäquates Porzellan herstellen konnte. So beschafften spezialisierte Händler die Stücke aus Sachsen und integrierten sie mit örtlichen Kunsthandwerkern in solche luxuriösen Ensembles.
Die Ausstellung beschränkt sich auf die frühen Jahrzehnte von Meissen, als dort geniale Künstler wie der Maler Höroldt oder die Modelleure Kirchner und Kändler die luxuriöse Tafelkultur grundlegend aufmischten: mit immer komplizierteren Formen der Service, mit Tischaufsätzen als verschwenderische plastische Kompositionen, vor allem aber den Porzellanfiguren, die in unerschöpflichem Erfindungsreichtum die Welt von damals abbildeten: die Sitten und Berufe, die amourösen Verstrickungen, die beliebte Commedia dell’Arte, die exotischen Sehnsüchte mit Persern, Elefanten und Papageien. Porzellan war höchster Luxus, zugleich war es Spiegelbild der Menschen. Es zeigt ihren Alltag und die Träume, genauso wie ihre Schwächen und Begierden. Oft muss man lachen vor diesen kleinen Kunstwerken, weil man sich selbst wiederfindet. So fern ist uns das Rokoko gar nicht.
„Luxus, Liebe, Blaue Schwerter. Faszination Rokoko“
Hetjens-Museum, Düsseldorf
bis 19. Januar